Geistige Lethargie, seelische Passivität, Bequemlichkeit und Routine sind ihr verhasst, wo es im Musiktheater doch um nichts weniger als das „Reinmenschliche“, um eine Zukunft ohne Herrschaft des Menschen über den Menschen geht. Dem aus diesem Anspruch resultierenden permanenten energetischen Überdruck fühlten sich nicht immer alle Mitarbeiter des Hauses in gleicher gelassener Stärke gewachsen. Während der zweiten Hälfte der Ära Mielitz in Dortmund mehrten sich insbesondere seitens der technisch-künstlerischen Gewerke die Klagen über den Führungsstil der Opernintendantin, was die Lokalpresse seinerzeit zu der genüsslichen, jedoch völlig ungebührlichen Kommentierung veranlasste: „Theatermacher sind fast von Natur aus exzentrisch – aber manche Führungskräfte scheinen dann doch ein Ego zu haben größer als die Sonne.“ Das ist nicht allein eine persönlich desavouierende Redeweise, sondern auch eine rundherum kunstfremde Fehleinschätzung. Sie verkennt, wie der Theater-Furor von einem Menschen so vollkommen Besitz ergreifen kann, dass sein Ego bis in die letzten Fasern in ein Kunst-Medium verwandelt wird. „Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen“, stellte Arnold Schönberg einst klar.
Nach der von Christine Mielitz selbst forcierten vorzeitigen Auflösung ihres Vertrages zum Ende dieses Jahres ist es müßig, abermals alle Einzelheiten der kommunikativen Querelen am Dortmunder Opernhaus Revue passieren zu lassen. Im Kern rührt der Konflikt an die beinahe unauflösbare Crux aller Theaterberufe, mit der namentlich eine Künstlergewerkschaft wie die VdO immer wieder hart konfrontiert wird: Allen Theaterschaffenden – und nicht allein der Führungsriege – ist letztlich doch die Liebe zum Theater ins Herz geschrieben, ihnen allen wird die rückhaltlose Identifikation mit ihrer Arbeit zur unverzichtbaren Quelle ihrer Motivation und ihrer Freude am Beruf. Doch es sind für diese Menschen ihre jeweiligen Talente und Befähigungen auch ein kostbares Mittel zur eigenen Existenzsicherung. Sie sind schließlich selbst Menschen, die um der humanistischen Mission der Kunst willen manchmal bis an die Grenze der Selbstentäußerung und noch darüber hinaus gehen sollen und wollen. Deshalb steht die Theaterleitung in einer besonderen Schutz- und Sorgepflicht für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, damit aus deren aufopferungsvollem Engagement für die Kunst nicht ein andauernder Raubbau an der eigenen Gesundheit wird. Diese Verantwortung wahrzunehmen, gehört zu den vornehmsten Aufgaben jeder Intendanz – gerade auch in ihrer Funktion als Ermöglicherin von großer Kunst. Hier sind in der Ära Mielitz gewiss Fehler gemacht worden. Aber anstatt die Gelegenheit zu nutzen, diesen für die Theaterpraxis beinahe schon konstitutiven Konflikt zwischen Kunst und Leben einmal sorgsam auszudiskutieren, gingen die Auseinandersetzungen in Dortmund in persönlichen Invektiven und Feindseligkeiten unter, wobei die Kunst, wie so oft, zur Marginalie zu werden drohte. Dabei gibt es durchaus auch künstlerische Gründe, die nach acht Jahren mit der häufig und gerne regieführenden Opernintendantin Christine Mielitz für einen Neuanfang am Dortmunder Opernhaus sprechen. Ein Nachlassen von Präzision, Konsequenz und geistiger Flexibilität lässt sich den Arbeiten der leidenschaftlichen Theaterfrau zwar keinesfalls attestieren, doch Teile des Publikums vermissten manchmal doch so etwas wie einen außerordentlichen Theatercoup, das Unerwartete, die große Überraschung. Selbstbewusste Frauenfiguren
Hinzu kommt Mielitz’ Präferenz eines bestimmten Frauentypus, der in vielerlei Gestalt ihre Werkdeutungen durchzieht. Da sind immer wieder diese wunderbar selbstbewussten Frauencharaktere zu sehen gewesen, die in ihrem traumwandlerischen Habitus zugleich wie Wesen aus einer ganz anderen, fremden Welt wirken. Auch darin ist Mielitz eine progressive Wagner-Weiterdenkerin. Wem das gefällt, der findet darin sein vollkommenes Opernglück. Andere Zuschauer hingegen sehnten sich nach neuen Erfahrungen, nach neuen Sichtweisen der unerschöpflichen Kunstgattung Oper. Es gibt Theaterbesucher, die behaupten, fast jede weibliche Protagonistin einer Mielitz-Inszenierung wirke wie eine artifizielle Doppelgängerin der Operintendantin, diese aber wiederum agiere in ihrem öffentlichen Auftreten wie unmittelbar aus einer Oper entsprungen. Doch das gehört wohl ebenfalls wieder in das Reich der kunstabschätzigen Polemik. Feinnervig bis ins DetailAuch im Zentrum ihrer Dortmunder Abschiedsinszenierung steht indes ein Frauenschicksal. Christine Mielitz hatte sich für ihre Erarbeitung von Puccinis Einakter-Triptychon vorgenommen, das oft unterschätzte Mittelstück über die Muttertragödie der „Schwester Angelica“ gleichsam endgültig zu rehabilitieren. Klug vermeidet sie jene Extreme, mit denen man bislang versucht hatte, dem Kitsch-Verdikt, der auf dem Stück lastet, beizukommen, wie zum Beispiel in der Düsseldorfer Inszenierung von Dietrich Hilsdorf, wo am Ende ein fahler Engel der um ihr Kind trauernden und um Erlösung flehenden Mutter eine Totgeburt entgegenstreckt. Mielitz konzentriert sich dagegen ohne alle Metaphysik oder negative Theologie ganz auf das Psychogramm der verzweifelten Mutter. Dafür hat sie in der Sängerdarstellerin Svetlana Ignatovich eine begnadete Mitstreiterin gefunden, der trotz einer in den exponierten Passagen ihrer Partie etwas angestrengten Höhe ein Seelendrama von mitreißender Hingabe gelingt. Lyrischen Stimmungszauber und eine unaufdringliche vokale Süße verströmt der von Granville Walker ausgezeichnet einstudierte Damenchor des Theaters Dortmund. Feinnervig bis in das letzte Detail und mit einem subtilen Gespür für die subkutanen Strukturen von Puccinis Atmosphärenzaubereien musizieren die Dortmunder Philharmoniker unter Jac van Steen den „Mantel“ und „Schwester Angelica“, um dann in „Gianni Schicchi“ mit elektrisierendem Impetus die scharfen orchestralen Krallen auszufahren. Akribisch lässt Mielitz im spätveristischen Eingangsstück, dem düsteren vokalen Ehedrama aus dem Binnenschiffermilieu, jede Regung zwischen den Menschen körperlich ausdeuten – es riecht geradezu nach Schweiß, Sperma, Alkohol und Öl. In Abweichung vom Libretto wirft am Ende Schiffseigner Michele (Simon Neal – ihm gebührt die Palme des Abends) die Leiche seines von ihm getöteten Nebenbuhlers ins Hafenbecken, die Anker werden gelöst und die hoffnungslose Ehehölle findet ihre infinite Fortsetzung. Dass manchmal auch eine Zurücknahme an Aktionen auf der Bühne einen Zuwachs an hintergründigem Spielwitz bedeuten kann, beweist Mielitz erfolgreich mit der Erbschleicher-Komödie „Gianni Schicchi“, die sonst oft mit einer zu deftigen Portion Klamauk in Szene gesetzt wird. Auf ganz legalem Weg wird nach einer Interimszeit von sechs Monaten im Sommer 2011 Jens-Daniel Herzog das Erbe von Christine Mielitz in Dortmund antreten. In einem Interview bezeichnete sich der bisher als Regisseur hervorgetretene Herzog etwas kokett als Unternehmer seiner eigenen Marke, womit wohl ein ganz neues Kapitel zum Thema „Beruf und Berufung am Theater“ aufgeschlagen wäre. Christian Tepe |
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