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Kulturpolitik

Am Herzschlag des Lebens

Landesbühnen in Deutschland: Das Beispiel Detmold · Von Christian Tepe

Von Flensburg bis Memmingen, von Aachen bis Radebeul spannt sich ein dichtes Geflecht von 24 Landesbühnen über die Bundesrepublik. Für alle Regionen ohne eigenes Theater gewährleisten sie die kulturelle Teilhabe der Bevölkerung. Oft stehen die künstlerischen Leistungen der Landesbühnen im Schatten der vermeintlich großen Theaterstädte. – Zu Unrecht, wie Klaus Zehelein, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, findet. Deshalb werden mit dem jährlich verliehenen „FAUST“-Preis des Deutschen Bühnenvereins in diesem November die vielen Theaterleute geehrt, die beinahe Tag für Tag über die Dörfer ziehen. Auch am Landestheater Detmold, einem Dreispartenhaus mit 265 Mitarbeitern, darunter 18 festangestellte Chorsänger und 8 Tänzer, ist die Anerkennung durch Zehelein mit großer Freude und Genugtuung registriert worden. Im Gespräch mit Intendant Kay Metzger wirft Christian Tepe für „Oper & Tanz“ einen Blick hinter die Kulissen des
Theateralltags an einer Landesbühne.

Oper & Tanz: Knapp die Hälfte der 600 Vorstellungen des Landestheaters Detmold sind Abstecher auf anderen Bühnen außerhalb Detmolds. Was bedeutet das für die Berufspraxis von Chor, Ensemble und Ballett?

Einsingen auf dem Flur

Kay Metzger: Das ist schon sehr strapaziös. Stellen Sie sich vor, Sie haben abends eine große Choroper, den „Freischütz“ oder „Macbeth“, zu singen: Sie müssen sich morgens schon darauf einstellen, nach einer langen Busreise von zwei bis drei und manchmal noch mehr Stunden direkt in die Maske zu gehen, eine Bühnenbegehung vorzunehmen, dann eine gute Vorstellung zu spielen und schließlich wieder im Bus zurückzufahren. Sie haben wenig Zeit, sich vor der Aufführung noch einmal richtig zu präparieren. Sie kommen an Orte, da gibt es keine gescheiten Räume zum Einsingen, das machen Sie dann wohl oder übel auf dem Flur oder auf der Seitenbühne. Extrem großen Belastungen ist das Ballett ausgeliefert. Jeder Mensch weiß selber, wie die Gelenke einrosten, wenn man stundenlang im Bus sitzt, wie man allmählich steif wird, wie man Verspannungen bekommt. Sobald es auf Reisen geht, müssen sich die Tänzerinnen und Tänzer ganz unglaublich professionell konditionieren, um nicht am Ende Schaden zu nehmen und einen Bänderriss oder eine Muskelzerrung davonzutragen. Das ist härtester Landesbühnenalltag. Da ist mein Respekt überaus groß. Natürlich sind die Abstecher auch für die Bühnentechnik und Beleuchtung aufreibend. Da wird unter höchstem Zeitdruck gearbeitet: Die Mitarbeiter treffen zwischen 11 und 12 Uhr am Abstecherort ein, dann baut die Technik auf, dann muss die Beleuchtung einleuchten. Sie brauchen nur eine kleine Panne zu haben, einen Stau oder einen nicht ganz optimalen Zuweg zur Bühne und schon kann es passieren, dass die Beleuchtung wirklich bis zur Einlasssituation arbeitet. Dann heißt es, einmal ganz kurz durchatmen, und die Vorstellung fährt.

 
Kay Metzger. Foto: Michael Hörnschemeyer
 

Kay Metzger. Foto: Michael Hörnschemeyer

 

O&T: Ihr Spielplan in Detmold ist wie bereits während Ihrer Intendanz am Nordharzer Städtebundtheater vom Mut zum Ungewöhnlichen geprägt. „Der Ring des Nibelungen“ und die Uraufführung von Giselher Klebes „Chlestakows Wiederkehr“ in Detmold oder Brittens „Tod in Venedig“ und Debussys „Pelléas et Mélisande“ in Halberstadt – das sind ja alles, vielleicht mit Ausnahme des „Rings“, keine Kassenschlager für ein Engagement in der Fläche. Wie sind Ihre Publikumserfahrungen mit unkonventionellen Spielplanansetzungen?

Metzger: Sie müssen das Publikum allerorten sehr ernst nehmen. Sie erleben dann sehr positive Überraschungen. An Standorten in der Fläche, die kein Ensemble haben, treffen Sie trotzdem den so genannten Bildungsbürger oder den wirklich engagierten, leidenschaftlichen Theatergänger. Wichtig ist sicher auch, mit welcher Initiative, mit welcher Öffentlichkeitsarbeit ein Betreiber sein Gastspieltheater führt. An einigen Abstecherorten gibt es die gute Tradition, dass vor der Vorstellung eine Einführung durch unsere Dramaturgie stattfindet. So entsteht eine ganz andere Wechselbeziehung, so wächst das Interesse des Publikums, das hat eine gewisse Nachhaltigkeit. Tatsächlich versuchen wir auch Stücke anzubieten, die nicht immer in der ersten Reihe der Bühnenstatistik zu finden sind. Da gibt es natürlich Theater, die ganz vorsichtig einkaufen, die sich wirklich nur auf die „Top Ten“ verlassen und dann gibt es eben Betreiber, die ganz bewusst auch mal eine zeitgenössische Farbe haben wollen, um ihren Spielplan mit Leben und mit Inhalt zu füllen.

O&T: Sie sprachen eben vom Bildungsbürger. Gibt es für Sie persönlich als Theatermacher so etwas wie ein Ethos, eine inhaltliche Aufgabe oder sogar einen Bildungsauftrag? Das sind ja fast alles Begriffe, die in jüngerer Zeit von vielen Intendanten nicht mehr so gerne gehört werden.

Metzger: Ich glaube, das ist das ursächlichste Wesen des Theaters, was Sie in Ihrer Frage beschreiben. Ich finde es fatal, wenn man bei den Konzeptionsgesprächen immer im Hinterkopf hat, was mit dem Stück wohl passieren wird, wenn wir in Hameln, in Stade oder in Remscheid damit gastieren. Theater, ein Spielplan, eine Dramaturgie ohne inhaltliche Ausrichtung wird sich immer sehr schnell in Oberflächlichkeiten verlieren und meine Erfahrung ist, dass ein Publikum das spürt. Wir wollen sehr hochwertige spannende Inszenierungsansätze bringen.

Das unterscheidet uns von dem einen oder anderen Tourneeanbieter oder auch von ausländischen Gastspielen. Es reicht eben nicht, „Nabucco“ als Stehoper mit einer halbwegs angedeuteten Dekoration zu bringen, sondern es muss wirklich auch eine Inszenierung wahrnehmbar sein und es müssen Sänger auf der Bühne agieren, die wissen, was sie tun, die genügend Unterbau haben, um wirklich fesselnde, lebendige Figuren auf die Bühne zu bringen. Wir wollen kein verstaubtes oder liebloses Theater machen, sondern Überzeugungstäter sein. Wir legen auf sehr gute Gesangsstimmen wert, aber schauen auch ganz genau, dass wir echte Singschauspieler haben.

O&T: Obwohl durch die weitgehende Mobilisierung fast alle Bürger auf dem Land die großen Theaterstädte leicht erreichen können und zudem noch eine hohe Sättigung mit CDs und Videos zu konstatieren ist, exis-tiert bei den Menschen ein ungebrochenes Interesse an einem künstlerisch anspruchsvollen Theater vor Ort. Wie erklären Sie sich das?

 
Ballett „situations“. Mireia Facal und Mikel Larrabeiti. Foto: Michael Hörnschemeyer
 

Ballett „situations“. Mireia Facal und Mikel Larrabeiti. Foto: Michael Hörnschemeyer

 

Metzger: Wir sollten nicht vergessen, dass viele Menschen gar nicht so mobil sind. Das fängt bei Kindern und Jugendlichen an und geht bei älteren Zuschauerinnen und Zuschauern weiter. Und dann schauen Sie sich die Bahnverbindungen an: Wenn Sie aus einem entlegenen lippischen Dorf nach Hannover mit dem Zug fahren wollen, um dort in die Oper zu gehen, dann müssen Sie feststellen, dass Sie abends nicht mehr zurückkommen. Die Zuschauer, die wirklich reisen, das sind Opernfreaks, die ganz dezidiert aussuchen. Aber das sind die Ausnahmen. Der alltägliche Theaterbesucher in Bad Lippspringe oder in Wolfsburg, der ist dankbar, wenn er nach einem harten Arbeitstag noch einmal eine Tasse Kaffee trinken kann, dann gemütlich ins Theater flanieren und die Vorstellung sehen kann und am nächs-ten Morgen wieder fit für die Arbeit ist. Deswegen darf man nicht leichtfertig sagen, wir sind heute alle mobil, also soll sich der Kunde doch gefälligst ins Auto oder in den Zug setzen und schauen, wo er sein Theater findet – und wir sparen dann die Bespieltheater vor Ort ein, die ja sowieso kein Ensemble haben. Ich glaube, wir müssen uns viel deutlicher bewusst machen: Das Leben findet in der Kommune statt und nirgendwo sonst und die Kommune muss der Herzschlag unseres Lebens sein. Da erwarte ich auch ein Umdenken sowohl von den Landesregierungen als auch von der Bundesregierung.

Gewachsene Partnerschaften

O&T: Wie kommen die Produktionen der Landesbühne zu den Städten und Gemeinden, die kein eigenes Ensemble haben?

Metzger: Zunächst existieren über viele Jahre gewachsene Partnerschaften, zum Teil mit Gemeinden, die sich am Etat beteiligen. Außerdem ist an den meisten Landesbühnen ein Verkaufsleiter tätig, der die Kontakte pflegt, neue Kontakte sucht und wirklich bei jedem Bespieltheater auch mal persönlich anklopft. Zudem organisiert die Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen (INTHEGA) jährlich zwei Informations- und Verkaufsmessen mit den Ständen der einzelnen Landesbühnen, aber auch der Tourneeanbieter und Privattheater. Hier gibt es natürlich Konkurrenz, hier finden Sie siebenmal eine „La Traviata“ und neunmal eine „Zauberflöte“. Da ist es sehr wichtig, dass ein Haus einen guten Ruf genießt. Manchmal besuchen die Betreiber auch unsere Vorstellungen in Detmold, um dann ihre Schlüsse für ihren Spielplan zu ziehen.

 
Ensemble in Giselher Klebes letzter, 2008 in Detmold uraufgeführter Oper „Chlestakows Wiederkehr“ nach Nikolai Gogols
 

Ensemble in Giselher Klebes letzter, 2008 in Detmold uraufgeführter Oper „Chlestakows Wiederkehr“ nach Nikolai Gogols
„ Der Revisor“. Inszenierung: Kay Metzger.
Foto: Michael Hörnschemeyer

 

O&T: Bei aller Aufschwungseuphorie oder Aufschwungsrhetorik, die wir in den letzten Wochen hören durften, sind ja doch die Geldbörsen vieler Bürger und Kommunen ziemlich leer. Hat sich bei Ihnen die Krise bemerkbar gemacht, was die Auslastung zuhause in Detmold und die Gastspielnachfragen betrifft?

Metzger: Erstaunlicherweise kaum. Wir hatten in der letzten Spielzeit eine ganz kleine Delle auf dem Gastspielmarkt und konnten das durch Mehreinnahmen in Detmold abfangen. Gleichwohl haben wir gemerkt, dass es in der jetzt laufenden Spielzeit und in den ersten Buchungen für 2011/12 erstaunlich gut bis besser läuft. Allerdings ist das Geschäft härter geworden. Sie kommen zum Beispiel zu einem Veranstalter, der sagt Ihnen, er habe früher in einer Aboreihe acht Vorstellungen zusammengestellt, jetzt kaufe er nur noch sechs ein. Diese sechs Vorstellungen sind selbstverständlich noch mehr umkämpft als die acht vorher. In der Ausdünnung des Angebots sehe ich ein strategisches Problem: Je weniger Angebot Sie haben, desto weniger Nachfrage lösen Sie aus. Sobald die Besucherzahlen runtergehen, ist jeder Kämmerer hellwach: ein Teufelskreis! An einem Standort wie Detmold mit seiner aus dem Fürstenhaus gewachsenen Traditionsbühne, wo die Abos zum Teil vererbt werden und ein Theaterförderverein mit über 600 Mitgliedern aktiv ist, haben Sie eine gewaltige Lobby. Aber der Einzelkämpfer, der ganz alleine mit seinem kleinen Team in einer Stadt, in einem Kulturdezernat für sein Gastspieltheater kämpfen muss, der ist natürlich viel schneller einem massiven Gegendruck ausgeliefert. Diesen unermüdlichen Streitern für das Theater gilt meine höchste Anerkennung.

O&T: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Christian Tepe

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