1951 hatte das Bolschoi-Theater 175. Jubiläum gefeiert und Maija Plissezkaja war mit dem Titel „Verdiente Künstlerin der Russischen Föderation“ ausgezeichnet worden. Nach ihrer Heirat mit Rodion Shchedrin am 2. Oktober 1958 zog sie in eine Wohnung am Kutusow-Prospekt. Als sie dann ab Ende der 1950er-Jahre wiederholt auf Auslandstourneen geschickt wurde (der persönliche Verdienst pro Vorstellung betrug 40 Dollar), musste ihr Mann quasi als Faustpfand daheim zurückbleiben. So eroberte sie New York (1959), Paris (1961) und England (1963) im Sturm. Zurück in Moskau wurde ihr 1964 die höchste Auszeichnung für Künstler in der Sowjetunion verliehen: der Leninpreis. Eine Filmaufzeichnung (DVD VAI 4264) gibt davon Zeugnis. Offen für moderne ChoreografieSaint-Saëns’ „Sterbender Schwan“, den sie laut Aufzeichnungen mehr als 20.000 Mal verkörperte, machte sie weltberühmt. Ihre Interpretation von Béjarts legendärem „Bolero“ (Ravel) 1975 – da war sie 50 – jedoch zeigte, wie wenig sie sich trotz aller Treue zur russischen Tradition des Bolschoi in ein Korsett purer Klassik sperren ließ. Gegen heftige Widerstände setzte sie moderne Choreo-grafien durch, und das kommunistische Russland verdankte ihr die Akzeptanz von Roland Petits und Maurice Béjarts Schaffen. Von Stalin beklatscht, von Chruschtschow gepiesackt und von Putin verehrt, überwand Maija Plissezkaja im Namen der Tanzkunst die politischen und künstlerischen Grenzen ihres Heimatlandes. Flucht kam für sie nicht in Frage. Überlegungen, sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Paris niederzulassen, schlug sie in den Wind. Seit 1991 lebt sie (allerdings nicht ausschließlich) in München. Angetan haben es ihr „der Ordnungssinn und Fleiß“ der Deutschen. In ihrer Heimat, deren Sprache sie – zwar Weltbürgerin – nach wie vor an erster Stelle zu sprechen pflegt, wurde ihr als Primaballerina Assoluta der Status eines „nationalen Heiligtums“ zuerkannt. Und das, obwohl sie 1993 die spanische Staatsangehörigkeit annahm. Im Rahmen einer zu ihrem 80. Geburtstag im Moskauer Kreml ausgerichteten Gala tanzte sie noch einmal die von Béjart zu ihrem 50. Bühnenjubiläum im Jahr 2000 kreierte Bach-Miniatur „Ave Maya“. Eigene Choreografien
Plissezkajas Stärke lag – nachprüfbar dank zahlreicher Filmaufnahmen, die in den letzten Jahren vor allem bei VAI auf DVD herauskamen – unzweifelhaft in der Rollengestaltung. Der Tanz, die Entwicklung einer Bühnenpersönlichkeit und die darzustellende dramatische Aktion bilden für sie eine untrennbare Einheit, die mittels virtuoser Beherrschung der Balletttechnik (schau-)spielerisch gemeistert werden muss. Viele namhafte Choreografen haben Ballette für sie, die 1972 mit „Anna Karenina“ (nach Tolstoi; DVD VAI 4286/neu VAI 4496) selbst zu choreografieren begann, kreiert. In den 1980er-Jahren folgten „Die Möwe“ (nach Tschechow; DVD Arthaus Musik 101 477) und „Die Dame und das Hündchen“ – alle zur Musik von Ehemann Rodion Shchedrin. Bis heute gibt die Plissezkaja ihre Geheimnisse und ihre unbändige Liebe zum Tanz in ausgesuchten Meisterklassen an jüngere Generationen weiter. Niemals ist sie sich selbst – oder der „Rolle“ ihres Lebens, ihrer Lebensaufgabe „Tanz“ – untreu geworden. Davon künden auch ihre beiden Biografien. So ist es Maija gelungen, ihre phänomenale Karriere als eine der herausragendsten und einzigartigsten russischen Starballerinen von den Anfängen in den 1940er-Jahren am Bolschoi-Theater über dem sowjetischen Regime abgetrotzte internationale Erfolge bis ins hohe Alter fortzuführen. Ihr Erfolgsrezept: Hingabe zur Kunst, eiserne Disziplin bis in die Fingerspitzen und ein von Temperament sprühender Charme voller Ernsthaftigkeit. Vesna Mlakar Autobiografien
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