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Laboratorium für das Ballett

Christian Spuck im Gespräch · Von Alexandra Karabelas

Elf Jahre lang prägte Christian Spuck als Hauschoreograf mit mehreren neuen Einaktern und Abendfüllern das Repertoire des Stuttgarter Balletts. Seit einem Jahr erfährt das Ballett Zürich unter seiner Leitung eine Neuausrichtung. Sein Konzept dort kann als logische Konsequenz seiner Lehrjahre in Stuttgart gelesen werden. Alexandra Karabelas sprach mit dem renommierten Ballettchef.

Oper & Tanz: Herr Spuck, Sie hatten anderthalb Jahre Zeit, sich auf den Job als Direktor des Balletts Zürich vorzubereiten. Wie sind Sie zu Ihrem eigenen Spielplan gekommen?
Christian Spuck: Naja, es gibt ja keine Ausbildungsstätte für Ballettdirektoren. Da ist einfach „learning by doing“ angesagt. Ich habe also zuerst versucht herauszukriegen, was denn das Zürcher Ballett ist, indem ich mir viele Vorstellungen, die Tänzer, das Publikum und die Arbeit von Herrn Spoerli angesehen habe. Danach habe ich geschaut, wie es andere Häuser machen und mir ein Netzwerk aufgebaut. Irgendwann kam dann der Instinkt dafür, was ich selbst machen möchte und was in Zürich funktionieren würde, und ich begann das Programm zusammenzubauen.

Christian Spuck. Foto: Judith Schlosser

Christian Spuck. Foto: Judith Schlosser

O&T: Sie setzten mit einer eigenen Version von „Romeo und Julia“ sowie „Leonce und Lena“ die Tradition des erzählenden Abendfüllers am Opernhaus Zürich fort. Was interessiert Sie daran? Sie hätten auch ein anderes Konzept entwerfen können.
Spuck: Es heißt ja immer, das erzählende Ballett sei am Aussterben. In Wahrheit erleben wir doch eine permanente Renaissance des Formats. Nur wird heute weniger traditionell erzählt. Man sieht einen Brückenschlag zwischen Abstraktion und Narration: eigensinnige Zwischenformen, die abstrahiert vorgehen und dennoch eine Geschichte transportieren wollen. Das interessiert mich persönlich sehr: das erzählende Ballett weiter und anders zu denken.
Ich habe das ja auch bei „Das Fräulein von Scuderi“, meiner letzten Arbeit für das Stuttgarter Ballett, ausprobiert. Dort haben wir Handlung über Bild und nicht über Bewegung vermittelt und dem Tanz somit Freiräume geschaffen, ohne konkret etwas zum Ausdruck bringen zu müssen. Am Ende tanzen alle auf einem Ball. Auf einer Metaebene kreiste das Ballett um sich selbst und stellte in Frage, ob wir hier überhaupt mit dem Tanz eine Geschichte erzählt haben.

O&T: Sie starteten in Zürich mit einer Neufassung von „Romeo und Julia“. Auch John Crankos erster Abendfüller für Stuttgart war damals, 1961, „Romeo und Julia“. Inwieweit erwiesen Sie hier Ihrer alten Compagnie Ihre Referenz?

Schlüsselwerk „Romeo und Julia“

Spuck: In der Tat war Prokofjews Partitur zu „Romeo und Julia“ die erste Ballettmusik, die ich in meinem Leben hören durfte. Ich war damals zwölf Jahre alt. Die erste Ballettproduktion, die ich im Fernsehen gesehen habe, war zufälligerweise dann auch „Romeo und Julia“, und zwar in der Choreografie von John Cranko mit Marcia Haydée und Richard Cragun. Und diese Choreografie war dann die erste, mit der ich als Schüler der John-Cranko-Schule auf der Bühne stehen durfte. „Romeo und Julia“ stand bei mir also immer am Anfang eines Weges. Somit machte es doch Sinn, in Zürich mit einer eigenen Version von „Romeo und Julia“ zu starten – eine doppelte Premiere für mich: zum einen die Eröffnung des Hauses und für mich zum ersten Mal eine Arbeit nach einer fertigen Partitur mit einer vorgegebenen Geschichte. Natürlich habe ich mich dabei nicht ganz von Crankos Version gelöst, von ihm habe ich das Handlungsballett gelernt. Nur wählte ich in meiner Fassung einen anderen Ausgangspunkt. In Zürich arbeiten wir mit Shakespeares Konzept vom Theater im Theater. Wir lassen eine Schauspieltruppe entscheiden, „Romeo und Julia“ nachzuspielen.

O&T: Sie setzen ihre eigene Arbeit in den Kontext der Ansätze und Ästhetiken von Wayne McGregor, Marco Goecke, Douglas Lee, Edward Clug oder William Forsythe, alles Choreografen, die, wie Sie, von Reid Anderson für das Stuttgarter Ballett entdeckt und gefördert wurden. Was interessiert Sie an diesem Stuttgarter Choreografennetzwerk?
Spuck: Mir ist, neben meinem eigenen Werk, wichtig, dass Uraufführungen zeitgenössischer Choreografen stattfinden. Meine Vision ist hier, dass die wichtigsten Choreografen, die gerade aufregende Ballette in der Welt kreieren, gerne und länger als die üblichen sechs Wochen nach Zürich kommen. Ich fände es schön, wenn wir hier eine Art Laboratorium für neue Entwicklungen im Ballett und Tanz werden würden. Ich setze insgesamt auf Austausch, offene Arbeitsprozesse und Vernetzung.

Stabilität beim Neuanfang

O&T: Reid Anderson hat Sie vor einem Jahr mit einer großen Geste, einer Abschiedsgala, nach Zürich entlassen, verbunden mit dem Ausruf „made in Stuttgart“. Was haben Sie von ihm für Ihre Arbeit als Ballettdirektor gelernt?
Spuck: Ruhe zu bewahren. Dann eine Programmatik zu entwickeln, die verschiedene Aspekte des klassischen und zeitgenössischen Tanzes umfasst. Schließlich die Courage, jungen Choreografen zu vertrauen.

O&T: Mit Ihnen sind Katja Wünsche und William Moore aus dem Stuttgarter Ballett nach Zürich gewechselt. Gleichzeitig haben Sie fast achtzig Prozent der alten Compagnie behalten. Was bringen die beiden spezifisch mit?
Spuck: Katja Wünsche und William Moore sind sowohl im klassischen wie im zeitgenössischen Fach formidable Tänzer. Es zeichnet sie auch aus, dass sie große Freude daran haben, Rollen zu entwickeln beziehungsweise die Vision eines Choreografen umzusetzen. Sie bringen sich im kreativen Prozess ein und überzeugen in der täglichen Arbeit durch große Selbstverantwortlichkeit. Beide gaben mir beim Neuanfang in Zürich große Stabilität.

Alexandra Karabelas

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