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Die Stimme als Instrument

Ein Porträt der Komponistin Adriana Hölszky · Von Jelena Rothermel

Keine Handlung, kein Text, keine Sänger: Adriana Hölszkys Bühnenkomposition „TRAGÖDIA – der unsichtbare Raum“ definiert sich durch Abwesenheiten. Musiktheater ist es trotzdem. Das Drama vollzieht sich in den Klängen, die den Text nicht „vertonen“, nicht illustrieren oder auf einer anderen Ebene – eben der musikalischen – kommentieren, sondern die selbst zu handelnden Figuren werden. Regelrechte Klangkörper wandern durch den Raum, türmen sich auf, ballen sich zusammen und explodieren. Die Plastizität der Klänge ist ein – vielleicht sogar das – Charakteristikum der Musik Adriana Hölszkys. Dieses „Werk mit theatralischen Räumen“, uraufgeführt im Jahr 1997, treibt Hölszkys musiktheatralisches Denken auf die Spitze. „Das ist nicht nur ein Werk zum Hören“, meinte einmal die Komponistin, „die Klänge sind wie abstrakte Objekte, wie Räume, die aufeinanderprallen. Und das erleben die Zuhörer nicht nur mit ihren Ohren.“ Befreit vom Ballast der Operntradition und des Textes kann der Hörer sich auf den reinen Klang einlassen und ihn erfühlen. Um das zu erreichen, arbeitete Hölszky mit klassischen Orchesterinstrumenten, mit exotischen Instrumenten wie Caxixi oder Maracas, aber auch mit Live-Elektronik und Tonband. Das Tonband wurde im Studio mit Stimmen, Klängen und Geräuschen bespielt. Während der Opernaufführung mischt ein Sampler die Klänge des Akustik-Orchesters mit den Geräuschen vom Tonband und projiziert sie auf zahlreiche Lautsprecher, die auf der Bühne und im Raum verteilt stehen. Durch akus tische Illusionen und das Wandern der Klänge durch die Lautsprecher entsteht dann der Eindruck einer sich im Raum bewegenden Klangmasse.

Die Komponistin Adriana Hölszky. Foto: Mozarteum

Die Komponistin Adriana Hölszky. Foto: Mozarteum

TRAGÖDIA ist nicht Hölszkys erste Arbeit für die Opernbühne, aber in ihrem Verzicht auf scheinbar unentbehrliche Bestandteile die vielleicht radikalste. Die 1953 in Bukarest geborene Komponistin begann 1988 mit einem Paukenschlag auf der ersten Münchner Biennale. Ihr „Singwerk auf ein Frauenleben“ mit dem Titel „Bremer Freiheit“ wurde schon früh als Meilenstein der Musikgeschichte bezeichnet. Hölszky und der Librettist Thomas Körner beziehen sich auf die historische Geschichte der Gesche Gottfried, die im frühen 19. Jahrhundert zahlreiche Verwandte und Bekannte vergiftete. Rainer Werner Fassbinder hatte 1987 ein Schauspiel mit dem gleichen Titel auf die Bühne gebracht, an dessen Text sich Körner anlehnt. Wie Fassbinder stellt auch Hölszky Gesche in den Mittelpunkt. Ihre mörderischen Gedanken bilden eine geschlossene musikalische Sphäre. Das strukturierende Element des Singwerks ist Gesches Lied „Welt ade – ich bin dein müde“, das als immer wiederkehrender Choral die Morde begleitet. Die übrige Zeit reist der Zuhörer durch „Klanglandschaften“: Orchester, Chor, Solisten und Tonband formieren sich mal zum intimen Kammerensemble, mal zum Zupforchester oder großen Sprechchor.

Musik schreiben, Text vergessen

Klangräume sind das bestimmende Thema im 1995 in Wien uraufgeführten Musiktheater „Die Wände“. Noch einmal arbeitete Hölszky mit Thomas Körner zusammen, der sich wieder auf ein Schauspiel als Vorlage stützt: „Les Paravents“ von Jean Genet, ein Skandalstück über den französischen Algerienkrieg. Wie auch in ihren anderen Werken vertont Hölszky das Libretto hier nicht Wort für Wort, sondern arbeitet dessen Strukturen heraus und lässt sich vom Klang der Worte inspirieren. Das Libretto ist eine Materialgrube: Sie zerstückelt Wörter, baut sie um und setzt sie neu in Beziehung. „Arbeiten mit dem Text heißt nicht Vertonung, sondern Musik schreiben, indem man den Text ‚vergisst‘ und neu komponiert. Der Text ist aufgelöst und dient als Baustein eines neuen Organismus“, so beschreibt es Hölszky selbst. An „Les Paravents“ faszinierte sie die assoziative Sprache Genets, der selbst schon mit dem Klang der Worte komponiert hatte. Körner komprimiert das absurde Theater auf einzelne, in sich geschlossene Bilder. Als Trennwände dienen die Zwischenspiele: Erst erklingen filigrane Membranen aus drei solistischen Posaunen oder dem Schlagzeug-ensemble. Doch die Membranen werden dicker und monumentaler, der Chor baut unüberwindbare Blöcke aus Tönen. Dazwischen vollzieht sich der Rausch. Das Werk beginnt wie ein Melodram: Über einen Geräuschteppich aus Rascheln und Scharren sprechen die Sänger ihren Text. Doch am Ende ist von dem feinen Tongewebe nichts mehr übrig. Wortfetzen, das Trommeln des Schlagzeuges oder das Ächzen des Akkordeons überlagern sich zu „migrierenden Klangteppichen“, entfalten sich wieder in ihre Einzelklänge oder bilden eine bombastische Klangmasse. Der Zuhörer kann die Geräusche den Instrumenten nicht mehr zuordnen. Adriana Hölszky irritiert diejenigen, die meinen, schon alle Farben eines Orchesters zu kennen. „Die Wände“ zeigt ihnen die unendliche Vielfalt der Klänge und Geräusche.

„Der gute Gott von Manhattan“ bei den Schwetzinger Festspielen 2004. Foto: Monika Rittershaus.

„Der gute Gott von Manhattan“ bei den Schwetzinger Festspielen 2004. Foto: Monika Rittershaus.

So viel „Oper“ wie nie „Giuseppe e Sylvia“, uraufgeführt im Jahr 2000, wirkt dagegen fast traditionell. Der Regisseur und Schriftsteller Hans Neuenfels lässt in seinem Libretto Giuseppe Verdi und Sylvia Plath im Totenreich aufeinandertreffen. Ihre Begegnung arrangiert ein Filmregisseur aus dem Diesseits. Mit Zitaten aus Literatur, Film und Theater diskutiert Neuenfels die Frage nach der überzeitlichen Wirkung von Kunst. Hölszky orientiert sich sehr genau an den Vorgaben des Librettos: Tutti- oder Gongschläge gliedern die Szenen, jeder Figur sind musikalische Sphären zugeordnet. Verdi wird durch einen Kinderchor und das große Orches-ter begleitet, Geräusche und Elektronik charakterisieren den Regisseur. Auch die Kamerafahrten zeichnet Hölszky nach: Musikalische Figuren vergrößern und verkleinern sich wie unter einem Objektiv. Die Solisten dürfen diesmal auch Melodien singen: Es erklingen Kantilenen und Buffo-Geplapper, die einer Verdi-Oper entsprungen sein könnten. So viel „Oper“ war noch nie in Hölszkys Musiktheater.

„Der gute Gott von Manhattan“ nach dem gleichnamigen Hörspiel von Ingeborg Bachmann wird 2004 in Schwetzingen uraufgeführt, ohne Tonband, ohne elektronische Verzerrungen. Das Orchester ist zwar mit exotischen Instrumenten bestückt und im Zuschauerraum verteilt, aber es bleibt meist leise im Hintergrund. Der Text muss zu hören sein, denn er erzählt eine Geschichte: Jan und Jennifer lieben sich, doch ihre Liebe gefährdet die Ordnung. Signale vom „guten Gott“, dass die Zeit ihrer Liebe vorüber sei, werden von zwei Eichhörnchen überbracht, von den Liebenden aber ignoriert. So steht am Ende der „gute Gott“ selbst mit einer Kofferbombe vor Jennifers Tür. Sie stirbt durch die Detonation, Jan aber überlebt, weil er für einen kurzen Moment „die Lust verspürte, alleine zu sein“. Die Handlung vollzieht sich linear, sie hat einen Anfang und auch ein Ende. Es gibt keine Simultan-Szenen wie in den Opern zuvor. Und die Musik ist symmetrisch angeordnet: Zwei Akte mit jeweils sechs Bildern gibt es, die Klappachse bildet das Duett der Eichhörnchen in der klassischen A-B-A-Form der Oper. Für fünf Cent singen sie in wagemutigen Koloraturen von den berühmten Paaren der Weltgeschichte, deren Liebe tödlich ausging. Ein Akkordeon, zischende Flötenglissandi und allerhand Geräusche bilden das Fundament. Der „gute Gott“ hat auch die musikalische Ordnung zementiert. Doch die Katastrophe bahnt sich ihren Weg: Ein bizarres Klanggewebe aus Mundharmonika, Akkordeon, Cymbalon, Celesta und Cembalo begleitet das Paar von Anfang an. Darin hinein brechen explosionsartig die Blechbläser. Die Klänge überschlagen sich, zerreißen fast vor Spannung und explodieren, als auch die Kofferbombe detoniert. „Was bleibt, ist Leere und Dunkelheit“, schreibt Maria Kostakeva.

Faszination für die Stimme

 „Die Wände“ am Oldenburgischen Staatstheater 1996/1997. Foto: Jörg Landsberg

„Die Wände“ am Oldenburgischen Staatstheater 1996/1997. Foto: Jörg Landsberg

Die Plastizität der Klänge und die schier unendliche Geräuschvielfalt sind zwei Merkmale der Musik Adriana Hölszkys. „Hybris/Niobe“, das 2008 uraufgeführte A-capella-Drama, verdeutlicht ein weiteres: Ihre Faszination für die menschliche Stimme. In einem Doppelabend brachten die Schwetzinger Festspiele Agostino Steffanis „Niobe“ von 1688 und Hölszkys Uraufführung „Hybris“. Yona Kim, die Librettistin, kreuzte Jakob Michael Reinhold Lenz’ „Landplagen“ mit dem Ovidtext, der Niobes Schicksal schildert: Die Trauer um ihre ermordeten Kinder lässt die Königin zu Stein erstarren. Aus Stolz hatte sie sich über die Götter gestellt, die Rache an den Kindern nahmen. Die „Ausdehnung ins Maßlose“ regte die Fantasie von Librettistin und Komponistin an. Sie kombinierten die Maßlosigkeit der Hybris Niobes mit der Maßlosigkeit der Landplagen, die als Feuer, Hunger, Pest und Erdbeben auf der Erde wüten. 6 Solisten und 30 Chorsängerinnen und -sänger sind diesmal für die Musik zuständig. Die Solisten werfen Wortfetzen hin und her, die eine durchlässige Faktur bilden. Die Chor-interludien, die die vier Landplagen charakterisieren, klingen dagegen monumental. Sie überfluten das Publikum mit Gelächter, Gebrüll und Gekrächze. Die menschliche Stimme singt und spricht nicht nur, sie ist auch ein Instrument. Hier und in den anderen Werken Hölszkys verschwimmt die hörbare Grenze zwischen vokal und instrumental und zwischen Gesang und Sprechen.

Die Musikkritikerin Eleonore Büning schrieb einmal über Hölszkys Musik: „Sie ist leicht zu fühlen, schwierig zu hören, kaum zu sagen.“ Man muss sie also erleben, um ihre Faszination zu verstehen. 2014 wird es gleich zwei Uraufführungen geben: Für das Nationaltheater Mannheim entstand das Musiktheater „Böse Geister“ nach Dostojewskis gleichnamigem Roman. Und das Opernhaus Düsseldorf führt Adriana Hölszkys Ballett „Deep Field“ auf.

Jelena Rothermel

 

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