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Berichte

Schmachten, Jauchzen, Geniessen

»Adriana Lecouvreur« in Halle

Francesco Cileas (1866-1960) Melodramma nach dem gleichnamigen Sensationsstück von Eugène Scribe ist eine geschätzte Rennbahn für die besten Rosse im Stall des Opernbusiness, dass sie mal in der Vokalarena so richtig losgaloppieren und – salopp gesagt – sportiv einander übertrumpfen können.

Trotz des Todes der Titelheldin durch ein vergiftetes Veilchensträußchen ist das Bühnengeschehen im Auditorium Anlass zum Schmachten, Jauchzen, Genießen. Auch das Hallenser Premierenpublikum und viele Angereiste zeigten sich begeistert und applausfreudig. „Adriana Lecouvreur“ macht Eindruck, wenn man – wie in Halle – die richtige Besetzung hat, eine Besetzung um Romelia Lichtenstein, die hier nahezu alles von Händel über „Lucrezia Borgia“ bis zum „Vampyr“ und „Pique Dame“ gesungen hat – immer exzellent und ausdrucksstark. Sie darf zum ersten Auftritt beim Text-Repetieren im berühmten Entrée „Io son l’umile ancella“ mit dem attraktiven Fürsten von Bouillon (Ki-Hyun Park) und dem Abbé von Chazeuil (Ralph Ertel) kokettieren wie die Operetten-Mätresse „Madame Pompadour“, später mit Standardgesten leiden, leiden, leiden. Diese beiden Herren haben hörbare Qualitäten.

Romelia Lichtenstein als Adriana Lecouvreur. Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH Halle /

Romelia Lichtenstein als Adriana Lecouvreur. Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH Halle /
Anna Kolata

Romelia Lichtenstein hat im letzten Akt wunderschöne Piano-Töne für „Poveri fiori“, während die Racheattacke des gesprochenen „Phädra“-Monologs verpufft. Das liegt daran, dass die erste Hälfte der Ballettszene gestrichen wurde. Der Konversationskrieg Adrianas und der Fürstin von Bouillon, der sich zum Fortissimo-Ensemble hochputscht – verschenkt! Zum verbliebenen Rest garniert ein Paar (Olga Shalaevskaya, Andriy Holubovskyy) aus dem Ballett Rossa mit Spitzen-Figuren den Zeitsalat. Der Chor steht dabei in fein arrangierten Gruppen. Dieses Finale ist eigentlich immer ein echter Party-Kracher, wenn die Society mit lüsterner Neugier den immer lauteren Schlagabtausch der Fürstin und der Diva beobachtet. Die Situation als Spielmoment bleibt in Halle ungenutzt und die Reaktionen der Anwesenden auf den prominenten Zickenkrieg belanglos. Verschenkt die schöne Möglichkeit, den seine punktuellen Einwürfe präzise fokussierenden Chor (Leitung: Jens Petereit) zum szenischen Mitspieler zu machen.

Offenbar will Christian Floeren mit Barock-Versatzstücken zeigen, dass das ein Film über die Comédie Française werden soll: Stück im Stück. Die Projektionen des Zuschauerraums neutralisieren die Wirkungen der farbüppigen Kostüme. Das immer zu Scherzen aufgelegte Quartett von Adrianas Kollegen darf sich für keinen Kalauer zu schade zeigen. Dieses Theatervolk spielt in den 1920ern Rokoko. Kwang-Keun Lee wertet den oft unterschätzten Bariton-Part von Adrianas heimlichem Verehrer und künstlerischem Vertrauten Michonnet auf, bleibt beim Dauer-Schmachten immer viril und pointiert. Dazwischen erscheint in schicksalsschwangeren Momenten der Tod, der die in den feschen Maurizio von Sachsen und noch mehr in ihre eigene Bühnenkunst verliebte Adriana holt. Ihre Rivalin im Silberhaar, die viel Champagner trinkt, vor Maurizio ihre machtvolle Büste wogen lässt und zugleich des Abtes Liebesdienste kokett ködert, zieht alle vokalen Register. Svitlana Slyvia stattet die hier nur frustriert-böse Fürstin von Bouillon mit durchgängig effektvollem Dauerforte aus.

Es bleibt ein Rätsel, warum die Sänger bei guter Staffelung der Orchestergruppen ohne Überschall häufig viel lauter intonieren als nötig. Josep Caballé-Domenech machte das vor der Pause vor, während – seltener Fall – danach die instrumentale Balance seltsam vergröberte. Bruno Ribeiro muss deshalb in der oberen Mittellage Dauer-Gas geben, obwohl sich sein Material im Mezzopiano so schön entfalten könnte. Sein Maurizio von Sachsen ist ein grundsympathischer Bursche mit lauterer Ausstrahlung.

Ulrich Peters, Generalintendant des Theaters Münster, setzt sich immer gründlich mit historischen und fiktionalen Fakten der von ihm inszenierten Werke auseinander. Egal, ob der Fürst sich an den Schauspielerinnen vergreift oder die Fürstin in Torschlusspanik an Maurizio herumfingert – in allen Momenten von Leidenschaft und aggressiver Häme bleibt die Inszenierung arglos und zahm. Cilea selbst wusste um 1900 wahrscheinlich besser, warum seine in das Spätbarock projizierten Fantasien von Gewalt und degenerierter Überzivilisation eine Erfolgsgarantie waren.

Roland H. Dippel

 

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