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Kulturpolitik

Lernen und Wachsen durch den Tanz

Gespräch mit Bridget Breiner, Ballettdirektorin des Musiktheaters im Revier · Von Georg Beck

Bridget Breiner wuchs in den USA auf. Sie tanzte unter anderem am Bayerischen Staatsballett, dem Semperoper Ballett Dresden und lange Jahre als erste Solistin für das Stuttgarter Ballett, wo sie gleichzeitig eine erfolgreiche Karriere als Choreografin begann. Ihr Debüt am Musiktheater im Revier (MiR) feierte sie 2012 mit der Inszenierung des Opern-Tanz-Abends „Großstadt-Triptychon“. In der Spielzeit 2012/2013 stellte sie sich als neue Direktorin des Ballett im Revier der Öffentlichkeit vor. Ihr Ballett „Ruß“ wurde im Herbst 2013 mit dem Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet. Mit ihrer letzten Kreation „Charlotte Salomon: Der Tod und die Malerin“ wurde sie 2015 erneut mit dem Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet. 2016 wird Bridget Breiner erstmals für die Ruhrfestspiele choreografieren. Für „Oper & Tanz“ sprach Georg Beck mit der Ballettdirektorin.

Bridget Breiner. Foto: Die Arge Lola

Bridget Breiner. Foto: Die Arge Lola

Oper & Tanz: Wo und wie hat das eigentlich angefangen mit dem Tanz und mit der Tänzerin Bridget Breiner?
Bridget Breiner: Alles begann in Columbus, Ohio, wo ich aufgewachsen bin. Wie fast jedes andere kleine Mädchen im mittleren Westen der USA wollte ich tanzen. Mit fünf oder sechs Jahren bin ich einmal in der Woche in eine kleine örtliche Ballettschule gegangen. Ich hatte ein wenig Talent, so dass mich die Lehrer weiter an die Ballettakademie geschickt haben. Wir haben glücklicherweise in einer Stadt gewohnt, wo es eine „academy“ und eine „company“ gab: „BalletMet“ heißt sie, Edwaard Liang ist dort heute Ballettdirektor.

O&T: Das muss man sich in der Tat als Glücksfall vorstellen.
Breiner: Und ob! Es ist ja nicht so, dass in den Vereinigten Staaten jede Stadt eine eigene „company“ hat, so wie in Deutschland – es ist wirklich ein Luxus, dass man hier immer wieder mit Ballett, Oper oder Musik in Kontakt kommen kann. Mit siebzehn bin ich dann nach München gegangen, da ein Lehrer von mir in Ohio die deutsche Szene ein wenig kannte.

O&T: Wann genau sind Sie weggegangen?
Breiner: Das war 1991. Es sollte eigentlich nur für ein paar Jahre sein. Aber nun ja – wie Sie sehen, ich bin immer noch da.

O&T: Um noch einmal auf die Anfänge zu kommen: Gab es Vorbilder?
Breiner: Ja, Shirley Temple! (lacht) Ich wollte eigentlich in Richtung Broadway und auch so ein Tap-Dancing-Singing-Superstar-Kind sein. Das war mein Traum. Aber sehr schnell habe ich dann doch meine Liebe zum Ballett entdeckt.

O&T: Sie sagen Superstar: Hat Martha Graham für Sie eine Rolle gespielt?
Breiner: Zunächst nicht, aber ich habe ihre Arbeit und ihre Technik dann später in München studiert.

O&T: Was bedeutet das für Sie, ein Leben als Tänzerin? Man muss auf vieles verzichten?
Breiner: Ja, das stimmt. Als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war, habe ich gemerkt, dass ich hier eine Entscheidung treffen muss. Aber umgekehrt gewinnt man auch sehr viel!

„Schwanensee“ in einer Choreografie von Bridget Breiner. Foto: Sebastien Galtier

„Schwanensee“ in einer Choreografie von Bridget Breiner. Foto: Sebastien Galtier

O&T: Das kann man nun wahrlich sagen: Mittlerweile gab es zwei Mal den Deutschen Theaterpreis für Ihre Choreografien.
Breiner: Ich meine damit nicht nur die Auszeichnungen, es ist die alltägliche Arbeit beim Tanz. Das ist schon großartig, sich jeden Tag mit Körper und Seele und mit Kunst auseinandersetzen zu dürfen. Man möchte zwar nicht immer jeden Tag, aber man muss doch.

O&T: Martha Graham meinte, Tanzen sei „sometimes not pleasant, sometimes fearful“, aber nichtsdestotrotz…
Breiner: … nevertheless inevitable, unvermeidlich, ja. Das ist schön, dass Sie an Martha Graham erinnern. In unserem Ballettsaal haben wir auch ein Zitat von ihr an die Wand gemalt, wo sie sagt: „Du musst nicht über deine Arbeit nachdenken, du musst sie machen, sonst stirbt sie“. And she said: „There is no satisfaction ever.”

O&T: Wirklich nicht?
Breiner: Doch manchmal schon, aber man ist eben nie perfekt.

O&T: Kommen wir einmal zu Ihrer Arbeit als Ballettdirektorin hier am MiR. Vielleicht gleich mit dem Stichwort Tanzvermittlung. Welche Bedeutung hat das für Sie?
Breiner: Eine sehr große! Wir haben hier ja das Projekt „Move!“, das noch mein Vorgänger Bernd Schindowski begonnen hat. Ich finde, das ist eine unserer wichtigsten Arbeiten. Dabei gehen Tänzer von uns in die Schulen und, stellen Sie sich vor, die Schülerinnen und Schüler kriegen sogar Noten dafür!

O&T: Das hört sich nach einem Erfolgsmodell an.
Breiner: Ja, unbedingt! Und ganz nebenbei lernen die Jugendlichen ein wenig Disziplin und Verantwortung, was ja nun wirklich nicht unwichtig ist.

„Charlotte Salomon. Der Tod und die Malerin“: Das Ballett von Bridget Breiner thematisiert die Geschichte der jüdischen Malerin Charlotte Salomon, die 1943 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordert wurde. Bridget Breiner selbst tanzt die Charlotte. Foto: Costin Radu

„Charlotte Salomon. Der Tod und die Malerin“: Das Ballett von Bridget Breiner thematisiert die Geschichte der jüdischen Malerin Charlotte Salomon, die 1943 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordert wurde. Bridget Breiner selbst tanzt die Charlotte. Foto: Costin Radu

O&T: Wie weit würden Sie gehen: Orientierung auch fürs Leben, Orientierung durch Kunst?
Breiner: Ja, durch Kunst, durch Bewegung… Man muss natürlich sehen, dass die Schülerinnen und Schüler keinen klassischen Tanz bei uns lernen, aber sie kommen in Kontakt. Die wollen dabei sein, kommen in die Vorstellungen. Man kann das ja gar nicht hoch genug einschätzen, was es bedeutet, Musik von innen zu erleben, einmal eine Bewegung zu machen, die ganz perfekt fließt.

O&T: In diesem Alter ist man empfänglich für solche intensiven Erlebnisse, ja?
Breiner: Als ich fünfzehn war, habe ich den Film „Heinrich V.“ gesehen, nach Shakespeare, mit Kenneth Branagh, der auch Regie geführt hat. Das hat mich damals stark berührt. Wir hatten Shakespeare zwar in der Schule studiert, aber so kannte ich das bis dahin nicht. Man ist in diesem Alter zwar einerseits verschlossen, aber doch auch sehr bereit.

O&T: Kommen wir von „Move!“ zu Ihrer Company – wie sie sich bewegt, was sie bewegt. Sie sind zwölf Tänzer?
Breiner: Im Moment sind wir zwölf, das stimmt.

O&T: Wie kommen Sie damit klar?
Breiner: Dass wir so wenige sind? Ja, das ist schwierig. Alle tanzen sehr viel. Wir müssen Stücke auf die Bühne bringen, die für unsere Größe auch passen. Eigentlich haben wir vierzehn Stellen. Einer unserer Tänzer ist aber derzeit an Leukämie erkrankt, was auch emotional sehr belastend ist für die Tänzerinnen und Tänzer.
Aber das Gute an einer kleinen Company ist, dass jeder irgendwann seine Chance bekommt. Und ich achte sehr darauf, dass das so bleibt. Sicher, einige sind erfahrener oder begabter, aber jeder soll hier sein Solo haben.

O&T: Alle sind Solisten für Sie?
Breiner: Ja, wenn das nicht so wäre, wäre es ganz schön schwierig.

Da Tanzen ja auch Hochleistungssport ist, kann es immer wieder zu Verletzungen kommen. Aber natürlich tun wir unser Bestes, um dagegen zu arbeiten.

O&T: Ich greife das Stichwort Krankheit auf. Es gibt eine aktuelle Studie zur Tänzergesundheit. Darin finden sich recht markante Erhebungen, zum Beispiel: Ein Drittel aller Tänzer leidet unter einer chronischen Erkrankung. Oder: Jeder Tänzer erleidet jährlich etwa drei chronische Fehl- oder Überlastungsschäden. Wie ist die Situation am MiR? Können Sie das bestätigen, ergänzen?
Breiner: Da Tanzen ja auch Hochleistungssport ist, kann es immer wieder zu Verletzungen kommen. Das ist bei jedem Athleten, bei jeder Fußballmannschaft so. Aber natürlich tun wir unser Bestes, um dagegen zu arbeiten: Wir haben ein Training, das sehr kinesiologisch aufgebaut ist mit dem Ziel, dass der Körper weiß, wie es funktionieren soll. Die meisten Verletzungen kommen ja, weil man nicht den optimal kinesiologischen Weg geht.

O&T: Ein Plädoyer für Prävention?
Breiner: Sicher, andererseits weiß jeder Tänzer, dass man immer aufpassen muss. Man muss wissen, ob man weiter pushen kann oder ob man besser aussetzt. Und da müssen auch klare Entscheidungen getroffen werden und ein guter Kontakt zwischen Tänzern, Ärzten und Ballettleitung sein. Wenn das unklar ist, kommt man leicht in eine Situation, wo man zu viel macht oder nicht genug aufpasst. Eine richtige Arbeit kann Vielem vorbeugen.

„Charlotte Salomon“ mit Bridget Breiner als Charlotte und Jiri Jelínek als Tod. Foto: Costin Radu

„Charlotte Salomon“ mit Bridget Breiner als Charlotte und Jiri Jelínek als Tod. Foto: Costin Radu

O&T: Wie ist es Ihnen persönlich ergangen in Ihrer Laufbahn?
Breiner: Ich hatte eine lange Karriere, aber mit 31 hatte ich ein ernstes Problem am Fuß. Ich habe fast ein Jahr pausieren müssen, das war eine sehr schwere Zeit. Und als ich wieder angefangen habe zu tanzen, musste ich bei Null anfangen. Ich habe mit einem Trainer gearbeitet, der jede kleinste Bewegung analysiert hat. Und heute kann ich wieder tanzen, auch weil ich in dieser Arbeit technische Fehler korrigieren konnte, die mich lange Zeit begleitet haben.

O&T: Kommen wir zu einem anderen Thema, das mit dem Komplex Gesundheit/Prävention zusammenhängt, auch wenn es vielleicht irgendwie „unkünstlerisch“ klingt. Ich meine das Tarifrecht. Spielt das eine Rolle für die Balletdirektorin Bridget Breiner?
Breiner: Oh ja! Ich denke, gerade im Ruhrgebiet hat der Betriebsrat eine starke Bedeutung. Wir sind immer auch im Kontakt mit den Company-Sprechern, so dass sie auch wissen: Wir wollen hören, was für sie wichtig ist. Gegenseitiger Respekt hilft sehr.

O&T: Als Ballettdirektorin müssen Sie auf Arbeitszeiten achten – aber in Bridget Breiner steckt ja auch die Choreografin, die Projekte im Kopf hat, der es um Kunst geht. Frage also: Können Sie damit leben?
Breiner: Natürlich ist das nicht immer einfach, eben weil wir nur so eine kleine Company sind. Manchmal müssen wir schon etwas kreativ mit dem Probenplan sein. Aber wir kommunizieren das immer.

O&T: Mit offenen Karten?
Breiner: Ja, auf jeden Fall.

O&T: Denken Sie, dass es gut ist für Tänzer, sich gewerkschaftlich zu organisieren?
Breiner: Nun, so lange die Tänzer jung sind, wollen sie vor allem eines: Tanzen! Da denken sie also meist noch nicht darüber nach, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Aber später kann das durchaus sehr sinnvoll sein. Zum Beispiel ist man im Theater ja eigentlich nach fünfzehn Jahren unkündbar. Für Opernchor oder Orchester ist das gut, denn die Musiker haben ja auch jenseits der 30 noch Gelegenheit sich weiterzuentwickeln. Im Ballett aber ist das etwas anders: Die tänzerische Karriere endet irgendwann, und da die Theater das dann kaum finanzieren können, sind viele Tänzer gezwungen bereits mit 30 ihr Haus zu verlassen. Das ist wirklich hart.

O&T: Obwohl sie für die Kunst brennen.
Breiner: Ja, sie brennen für die Kunst! Aber dennoch müssen oft gerade die bedeutenden Solisten der großen Companies das Theater auf dem Höhepunkt ihrer Karriere verlassen. Das kann dann sogar den Qualitätseinbruch einer ganzen Company zur Folge haben. Wenn es also eine veränderte Regelung der Unkündbarkeit für das Ballett gäbe, könnten viele Solisten länger tanzen und ihre Karriere dann beenden, wenn sie es wollen.

O&T: Womit wir beim Thema „Transition“ sind. Sie persönlich hatten ja das unglaubliche Glück, als Ballettdirektorin weitermachen zu können – aber was machen die anderen?
Breiner: Das ist interessant, dass Sie mich das heute fragen, weil sich gerade auch jemand von Transition Tanz Deutschland angekündigt hat, um mit der Company zu sprechen. Tatsächlich kenne ich zurzeit eine Reihe von Tänzern, die als Ballettmeister oder als Lehrer in der Schule arbeiten wollen. Andere studieren Kunstmanagement, Lichtdesign, Kostüm- oder Bühnenbild. Physiotherapie ist auch ein Weg.

O&T: Was ja wirklich schon eine ganze Reihe von Alternativen ist.
Breiner: Was aber nicht heißt, dass es leicht ist. Man muss bereit sein Neuland zu betreten und wieder zu lernen.

O&T: Macht man sich das eigentlich klar, dass es mit 30, spätestens 35 aufhört?
Breiner: Unterschiedlich. Manche tun es, andere denken überhaupt nicht darüber nach und wollen nur tanzen.

O&T: Mit dem Leben haben wir angefangen, haben uns mit Ihrer Arbeit hier am MiR beschäftigt – kommen wir zum Schluss auf die Kunst zu sprechen. Was sind Ihre künstlerischen Vorhaben, Ihre Pläne?
Breiner: Da sind eigentlich drei Sachen, die für mich wichtig sind. Und, ich muss zugeben, eine davon steht ganz oben und ist die Wichtigste, nämlich die künstlerische und tänzerische Entwicklung jedes einzelnen Mitglieds der Company zu fördern, dass sie lernen und wachsen. Denn wenn das nicht passiert, sind alle meine anderen Pläne zweitrangig.

O&T: Was unmittelbar einleuchtet.
Breiner: Für mich ist es eine riesige Freude, zu sehen, wie sich die Tänzerinnen und Tänzer entwickeln. Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für eine Kraft gibt!

O&T: Und das passiert in der Arbeit?
Breiner: Ja! Das beginnt schon, wenn man eine Saison plant. Das Wichtigste ist, dass man unterschiedliche Choreografen zu Gast hat, dass die Company etwas Neues lernen kann. Das Zweite ist, dass man Choreografien bringt, die künstlerisch interessant sind. Und das Dritte ist, dass das Publikum sich bewegen lassen kann von dem, was wir präsentieren.

O&T: Da Sie gerade das Publikum erwähnen: Haben Sie das Gefühl, es wird angenommen?
Breiner: Ja, absolut. Manchmal ist es ganz verrückt: Kurz bevor wir keine Vorstellung mehr haben, sind wir restlos ausverkauft.

O&T: Das klingt gut und sollte so bleiben.
Breiner: Ich hätte nichts dagegen.


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