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Berichte

Geld oder Liebe

„Benzin“ von Nikolaus von Reznicek im Stadttheater Bielefeld

Schon im Foyer begrüßt den Besucher eine „Gulf“-Zapfsäule, bewacht von einer feschen rotgewandeten Tankwartin. „Benzin“ ist alles in dieser neuesten Ausgrabung des Stadttheaters Bielefeld, Quelle unermesslichen Reichtums, Treibstoff moderner Mobilität und zuvörderst männlicher Abenteuerlust, vor allem aber Beziehungskitt, wenn man es nicht hat. Ulysses Eisenhardt, Kommandant des aufgrund eines löchrigen Benzintanks notgelandeten Luftschiffes Z 69, braucht es unbedingt, um seinen Weltrekordflug „in 48 Stunden um den Äquator“ fortsetzen zu können.

Milliardärstöchterlein Gladys, Bewohnerin der „wüsten Insel“ mitsamt reicher Ölquellen, auf die es Eisenhardt mit seiner schmucken Crew verschlug, kann es verweigern, um das Objekt ihrer Begierde festzuhalten. Die durchgeknallte Paris-Hilton-Kopie im pinken Pettycoat bedient sich sonst raffinierterer Mittel, um auf das Eiland verirrte Männer zu ihrer Unterhaltung gefügig zu machen – der Hypnose. Doch die verfängt bei dem taffen Zeppelinfahrer nicht, und so muss sie doch auf das schnöde Geld in Form des Raffinerieproduktes zurückgreifen.

Nienke Otten als Violet, Caio Monteiro als Ingenieur Hans Freidank. Foto: Bettina Stöß

Nienke Otten als Violet, Caio Monteiro als Ingenieur Hans Freidank. Foto: Bettina Stöß

Mit seinem „heiter-fantastischen Spiel mit Musik“ huldigt Emil Nikolaus von Reznicek, heutzutage nur noch bekannt durch die Ouvertüre zu seiner Oper „Donna Diana“, 1929 nicht nur dem technikbegeisterten Zeitgeist und seiner USA-Euphorie, sondern verquickt ihn geschickt mit dem homerischen Mythos von Odysseus und der Zauberin Circe, dramatisch aufbereitet von keinem Geringeren als Calderon de la Barca. Das titelgebende „Benzin“ ist hier kaum mehr als ein Schmiermittel für einen stinknormalen Opernstoff um Liebe und Macht, wie er heutzutage als politisch zutiefst unkorrekt gebrandmarkt werden müsste, hängt ihm sozusagen ein modernes Mäntelchen um. Frauen verführen, Männer erliegen – und setzen sich schließlich doch durch. So weit, so platt. Doch Reznicek spielt derart munter mit solchen Klischees, reflektiert und persifliert sie mit einer Fülle textlich-musikalischer Mittel, dass sich zum Schluss doch wieder alles in sein Gegenteil verkehren kann und eine vergnügliche Mehrschichtigkeit entsteht.

Regisseurin Cordula Däuper greift das Spiel mit Klischees genüsslich-detailverliebt auf. Zunächst verwirrt und fasziniert ein buntes und turbulentes Treiben, ein unablässig bewegtes Geschehen, das Bühnenbildner Ralph Zeger buchstäblich „in den Sand setzt“, mit zwei verwehten Zapfsäulen vor einem banalen Tankshop als „Schloss“, in dem Gladys residiert. Die Bühne kann sich auch drehen und den Blick auf einen palmengesäumten Strand mit blutorangenem Abendrot freigeben, romantische Kulisse für allerhand Paarungen. Alle Spielarten sind da vertreten: Funker Machullke (Lorin Wey) mit dem beziehungsreichen Vornamen Emil Nikolaus bezaubert seine Angebetete Lissy (Dorine Mortelmans) mit einer anspielungsreichen Miniatur des Berliner Funkturms, Koch Franz Xaver Obertupfer (Lutz Laible) braucht da schon eine überdimensionale Weißwurst, um Nell (Jasmin Etezadzadeh) zu erobern. Ein vergnügliches Berlin-München-Duell entsteht so. Ingenieur Hans Freidank (Caio Monteiro) ist ganz der rationale, zum Aufbruch mahnende Techniker, der gleichwohl gegen Gladys‘ „beste Freundin“ Violet machtlos ist. Nienke Ottens Koloraturen sind aber auch unwiderstehlich und lassen einmal mehr ahnen, dass sich auf der „wüsten Insel“ nach dem Vorbild der „Ariadne“ von Richard Strauss auch eine Zerbinetta herumtreibt.

Melanie Kreuter als Gladys Thunderbolt, Jacek Laszczkowski als Ulysses Eisenhardt; Damen des Bielefelder Opernchors. Foto: Bettina Stöß

Melanie Kreuter als Gladys Thunderbolt, Jacek Laszczkowski als Ulysses Eisenhardt; Damen des Bielefelder Opernchors. Foto: Bettina Stöß

Dass Gladys die ganze Crew zuvor in Tiere verwandelt hat, entzündet Kostümbildnerin Sophie du Vinage zu skurrilsten Phantasien, vom hüpfenden Frosch bis zum nachplappernden Papagei. Von oben fallender Müll trifft ein Putzfrauenballett (grandios: der Opernchor), das die emanzipierte Vorliebe für „rhythmische Gymnastik“ persifliert. Filmschnittartig springt auch die Musik zwischen den Genres, von Straussischer Expression in die Niederungen von Foxtrott und Tango und zurück. Die Bielefelder Philharmoniker unter Gregor Rot unterstreichen eine fabelhafte Ensembleleistung, spielfreudig, stilistisch flexibel und vor allem in solistischen Aktionen unerhört klangschön. Und doch ist das alles mehr als heitere Klamotte. Hintersinnig unterläuft der Komponist die Erwartungen. So sind die Parts des Hauptpaares (schön zickig Melanie Kreuter, mit etwas festem Heldentenor Jacek Laszckowski) neben großartigen Gesangsensembles nicht herausragend attraktiv, parodieren gerade „Rezitativ und Arie“ manchmal bestürzend simpel. Erst wenn Gladys zur liebenden Frau reift, gibt es in einem wundervollen Zwischenspiel nachdenkliche und anrührende Töne. Die Liebe siegt, und als die Frau – deprimierende Botschaft – sich ergibt, kann sie auch das Kommando übernehmen und dem Mann die Schweinsmaske überstülpen.
Erst 2010 wurde das Werk uraufgeführt, vielleicht weil sein Schöpfer gleich doppelt in Misskredit geraten war: Von den Nazis in die Nähe des „entarteten“ Ernst Krenek gerückt, galt er später als „Deutscher Delegierter“ des „Ständigen Rats für internationale Zusammenarbeit der Komponisten“ als Sympathisant. Immerhin konnte sein Leichnam in Nachkriegswirren ins Familiengrab überführt werden, dank einer Spende der US-Armee, einer Gallone – Benzin.

Isabel Herzfeld

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