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Berichte

Sternstunde in Salzburg

Kurzbesuch bei den Festspielen 2021

Im Schicksalsjahr 2020 sind die Salzburger Festspiele ein hohes Risiko eingegangen: Während andernorts reihenweise abgesagt wurde, entwickelten sie eine Strategie, um wenigstens einen Bruchteil ihrer Pläne zu verwirklichen. Nur zwei Opernproduktionen wurden realisiert, das Publikum saß im Schachbrettmuster. Die Sache war ein Erfolg, eine Ermutigung für die gebeutelte Kulturszene. Die Botschaft: Mit Hartnäckigkeit lässt sich auch unter dem Diktat der Pandemie einiges bewirken. Dieses Jahr hat man noch eins draufgesetzt und die Plätze wieder vollständig verkauft – mit corona-kompatibel kurzen Veranstaltungen und einem flexiblen Präventionskonzept. So trat, nachdem ein Besucher der „Jedermann“-Premiere positiv auf Covid-19 getestet worden war, die nächste Sicherheitsstufe in Kraft, die unter anderem das Publikum verpflichtet, während der Veranstaltungen durchgängig FFP2-Masken zu tragen.

Das Gespenst der Pandemie ist allgegenwärtig. Trotzdem ist die Atmosphäre am Abend der Wiederaufnahme von Händels „Il trionfo del tempo e del disinganno“ fröhlich und lebhaft. Menschen gewöhnen sich an Dauergefahren. Ist das nun leichtsinnige Verdrängung oder Pragmatismus?

Regula Mühlemann (Bellezza), Cecilia Bartoli (Piacere), Lawrence Zazzo (Disinganno), Ensemble. Foto: SF / Monika Rittershaus

Regula Mühlemann (Bellezza), Cecilia Bartoli (Piacere), Lawrence Zazzo (Disinganno), Ensemble. Foto: SF / Monika Rittershaus

Ob raffinierte Programmierung oder Zufall – das frühe Oratorium passt erstaunlich gut zu den großen Fragen, denen sich die Öffentlichkeit in diesen Zeiten stellen muss. Ähnlich Hofmannsthals „Jedermann“, dem Nukleus der Festspiele, verhandelt es die Endlichkeit des Menschen und seine Einstellung dazu. Händel schrieb es während seiner römischen Wanderjahre auf ein Libretto aus der Feder des hochgebildeten Kardinals Benedetto Pamphili.

Die Figuren Bellezza, Piacere, Disinganno und Tempo sind keine Menschen, sondern Allegorien: Die Zeit und die Erkenntnis, wie der Regisseur Robert Carsen das mehrdeutige Wort „disinganno“ versteht, wollen der Schönheit ihre Kurzlebigkeit vor Augen führen. Die hat allerdings einen mächtigen Verbündeten: Das Vergnügen ist wild entschlossen, die Oberhand zu behalten.

So weit, so schlicht, dies ist eben keine Opera seria. Was das Publikum im Haus für Mozart zu sehen bekommt, kommt dann eher aus der Abteilung Überwältigungsstrategien. Den Rahmen bildet eine Show: „The world’s next topmodel“. Junge Frauen drehen sich für die Jury um die eigene Achse, jeder Zoll Verführung. Einen Chor gibt es nicht, stattdessen wimmeln Statisten herum, multiplizieren die Affekte und absolvieren zwischendurch mal kurz Streetdance-Einlagen. Überall blinkt und glitzert es; der Regisseur Robert Carsen und sein Bühnen- und Kostümbildner Gideon Davey greifen tief in die Trickkiste bewährter Mittel. Das Memento mori mit einem bühnenbreiten Spiegel abzubilden, in dem sich auch das Publikum sieht, ist keine ganz taufrische Idee. Den Wettbewerb gewinnt natürlich Bellezza, idealtypisch verkörpert von Regula Mühlemann. In ihrem Sopran leuchten jugendliche Frische, Grazie, Berührbarkeit, die Koloraturen artikuliert sie mühelos, ihr Parlando ist klar und lebhaft.

Cecilia Bartoli als durchtriebene Agentin Piacere hält das Vermarktungskarussell nach Kräften am Laufen. Sie sprüht vor Witz und Boshaftigkeit, aber genauso intensiv lotet sie in Tiefen. In „Lascia la spina“ – Vorläufer des berühmten „Lascia ch’io pianga“ aus der Oper „Rinaldo“ – hebt sie, pianissimo flüsternd und den Puls förmlich abtastend, alle Erdenschwere auf. Der Countertenor Lawrence Zazzo gestaltet den Part des Disinganno mit großer Ruhe und organischen Verzierungen, der Stimmklang fließt frei. Der Tenor Charles Workman dagegen muss sich erst freisingen, doch dann gelingt ihm eine ergreifende Darstellung des Tempus durch alle Affektwechsel hindurch.

Im Orchester entfaltet „Il trionfo“ einen wahren Klangfarbenzauber. Eben hat noch das Streichertutti mit punktierten Rhythmen und schrägen Intervallen den Piacere charakterisiert, da gefriert dem Hörer schier das Blut, wenn sich zu Beginn der Arie die Klangfarben von Blockflöte, Cello und Theorbe pianissimo zu einem unauflösbaren Amalgam verbinden.

Marianne Crebassa (Dorabella), Bogdan Volkov (Ferrando). Foto: SF/Monika Rittershaus

Marianne Crebassa (Dorabella), Bogdan Volkov (Ferrando). Foto: SF/Monika Rittershaus

Solche Momente machen die kleinen Unfälle wett, die Gianluca Capuano und seinen Musiciens du Prince-Monaco auf der Strecke passieren. Wenn die Sänger weit hinten auf der Bühne agieren, ist ihnen das Orchester gelegentlich voraus. Die virtuosen Geigensoli klingen anfangs fest und unsauber. Bei dem berühmten Orgelsolo, das sich der ehrgeizige Händel selbst in die Partitur schrieb, sind die Orchestersolisten dann aber als gleichberechtigte Partner dabei. Je mehr sich Bellezza darauf einlässt, was ihr Tempo und Disinganno anraten, desto mehr beruhigt sich auch das optische Geschehen. Am Schluss verlässt sie die Bühne durch eine rückwärtige Tür. Der Raum dahinter leuchtet. Was sie dort vorfinden wird, bleibt dem Zuhörer verborgen.

Ein ganz anderes Regiekonzept verfolgt Christof Loy in seiner Lesart von Mozarts „Così fan tutte“, die 2020 in einer stark komprimierten Fassung herausgekommen war. Loy verzichtet konsequent auf Ablenkung, Bebilderung, Ausstattung. Sein Bühnenbildner Johannes Leiacker hat eine seiner hocheleganten weißen Wände auf die Bühne des Großen Festspielhauses gestellt, darin zwei Flügeltüren, davor eine Freitreppe, fertig.

Loy vertraut auf die Kraft des Stoffes und der Musik. Mit allem Recht. Schon mit der Ouvertüre gibt Joana Mallwitz am Pult der Wiener Philharmoniker eine Visitenkarte ab: Seidenweich im Klang und hellwach für jede Nuance und jede Wegbiegung spielt das Orchester unter ihrer hochdifferenzierten Zeichengebung, klar artikuliert und allezeit nah am Seelenleben der Figuren. Dieses Seelenleben schlägt Purzelbäume in „Così“. Wie genau Loy das Auf und Ab der Gefühle zeichnet, trifft ins Herz. Wo enden Flirren und Flirt, wo schauen die Beteiligten – alle! – in den Abgrund dessen, was wir so unbedarft „Liebe“ nennen? Das Entsetzen darüber zeigt sich oft nur einen Wimpernschlag lang. Mallwitz hat ein traumwandlerisches Gespür für diese Feinheiten, sie und das Orchester tragen die Sänger auf Händen.

Das umjubelte Ensemble des vergangenen Jahres war in gleicher Besetzung wieder angetreten. Anstelle des erkrankten Johannes Martin Kränzle hat bei der zweiten Vorstellung Michael Nagy den Part des Don Alfonso übernommen, ein agiler, hochsensibler Interpret mit hellem, klarem Bariton. Alfonso hat mit seiner Wette auf die Treulosigkeit der Frauen den ganzen Liebeswirrwarr angezettelt. Doch sein Zynismus hat Risse, dahinter zeigen sich Anflüge von Weltverzweiflung.

Elsa Dreisig fühlt in der Arie „Per pietà, ben mio“ Fiordiligis Konflikt herzzerreißend nach, spannt weite Bögen und beweist auch in extremen Lagen, wie perfekt sie ihre Sopranstimme führen kann und wie mühelos sie sie aufblühen lässt. Marianne Crebassa und Andrè Schuen verbreiten im Duett „Il core vi dono“ einen Mozart-Duft der verführerischsten Sorte, und Bogdan Volkov singt die Arie „Un’aura amorosa“ schier betörend, ganz zart, agogisch fein und noch im pianissimo deutlich hörbar.

Eine Sternstunde ist diese „Così“-Essenz, der Jubel entsprechend. Den meisten Applaus heimst am Schluss die Dirigentin ein.

Verena Fischer-Zernin

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