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Kulturpolitik

Auf ein Wort mit...

... Bettina Wagner-Bergelt, Künstlerische Leiterin
des Tanztheters Wuppertal

Die Nachfolge auf eine künstlerisch-menschlich singuläre Persönlichkeit ist immer schwer. Prompt machte das Wuppertaler Tanztheater nach dem Tod von Pina Bausch mit Querelen Schlagzeilen. Als dann im Herbst 2018 Bettina Wagner-Bergelt die Künstlerische Leitung übernahm, kehrte Ruhe ein – mehr noch: Die seit Frühjahr 2019 laufende Wiederbelebung von Pina Bauschs frühen Arbeiten aus den 1970er-Jahren belegen die unverminderte Strahlkraft dieser Tanztheatralik. Da die erste Runde, in der eine neue Künstlerische Leitung gefunden werden sollte, erfolglos blieb, verlängerte Bettina Wagner-Bergelt auf Wunsch aller Beteiligten ihren Vertrag noch um eine Spielzeit.

Oper & Tanz: Warum fiel Ihre Entscheidung zur Neueinstudierung auf „Die sieben Todsünden“ (1976), „Blaubart. Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper ‚Herzog Blaubarts Burg‘“ (1977) und das Macbeth-Stück „Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloss, die anderen folgen“ (1978)? Lässt sich daran die Wirkung von Pina Bausch schon gut zeigen?

Bettina Wagner-Bergelt: Ja, das Herausholen des Tanzes aus diesem repräsentativen Kontext, weg vom Zelebrieren reiner Virtuosität, dem Spiegeln gesellschaftlicher Hierarchien, deren Grundlage aus dem Ballett des 19. Jahrhunderts stammt und mit den Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts nichts zu tun hat. Dass man mit dem Körper, speziell auch dem leidenden Körper, ganz andere Dinge ausdrücken muss – der Tänzer nicht mehr als Schauspieler einer Rolle, sondern als wirklicher Mensch, der maximale Identifikation ermöglicht. Also ging es letztlich um Wahrheit, die eben nie nur privat blieb.

Bettina Wagner-Bergelt. Foto: Milan Nowotnick Kampfer

Bettina Wagner-Bergelt. Foto: Milan Nowotnick Kampfer

Pina Bausch filterte aus den Tausenden Fragen, die sie ihren Tänzerinnen und Tänzern bei der Erarbeitung stellte, ein Gewebe heraus, in dem dann letztlich jeder Zuschauer etwas ihn Betreffendes finden konnte – etwa weil in „Macbeth“ eben jeder gleichsam „Mörder“, vor allem aber auch Opfer sein konnte, die Beziehungen von Enttäuschungen, falschen Hoffnungen und Erwartungen, auch purer Machtgier geprägt sind – sehr realistisch eben. Da hat sie mit einer Unerbittlichkeit hingeguckt, die grandios ist. Das war neu. Das hat in diesen neugierigen 1970er-Jahren sofort enorm ausgestrahlt – bis heute: Ich war eben bei „Peeping Tom“, einer der großen freien Truppen in Belgien, die mir sagten: Ohne „das Erlebnis Pina“ sähe unsere Arbeit wahrscheinlich ganz anders aus.

O&T: Erst also dieses lange andauernde Befragen ihrer Truppe – und dann das andere Erarbeiten?

Wagner-Bergelt: Sie hat ja – bevor das dramaturgische Mode wurde – ganz grundlegend dekonstruiert, erst einmal formal die tänzerische Bewegung aus diesem klassischen Kanon herausgelöst und dann auch erzählerisch. Sie hat die klassische Dramaturgie gleichsam atomisiert und dann diese verschiedenen Menschen und Situationen aufeinanderprallen lassen, mit ihren Träumen und Vorstellungen. Daraus entstand dann etwas Hochexplosives wie „Blaubart“, das Macbeth-Stück, oder „Palermo Palermo“.

Da sind diese 1970er-Jahre aus meiner Sicht eben exemplarisch: wie Pina sich 1975 Glucks „Orpheus und Eurydike“ aussucht, diesen Opernreformer, der statt Koloratur-Stars Menschen auf der Bühne wollte – wie sie dann Sänger und Tänzer nebeneinander auf die Bühne stellt, sich an die Erzählung hält, aber vor allem die menschliche Problematik offenlegen will… Dann schon zwei Jahre später dieser revolutionäre Umgang mit Bartóks Musik, diese x-fache Wiederholung der gleichen Stelle in „Blaubart“, das mitunter Manische in uns. Ein Tänzer sagte zu mir: „Man muss Orpheus getanzt haben, um in ‚Blaubart‘ richtig gegen die Wand zu rennen.“

O&T: Derzeit schwappen ja Modebegriffe wie „Achtsamkeit“ oder „Mindbody“ durch die Gegend – ist das bei Pina nicht schon vor 40 Jahren selbstverständlich?

Wagner-Bergelt: Genau! Die Suche nach Wahrhaftigkeit und Genauigkeit, denn da sind Erleben, Denken und körperlicher Ausdruck in Einem gefordert… Pina wollte etwas schaffen, in dem wir uns als Menschen treffen können.

O&T: War da nicht ein tragisches Lebensgefühl dominierend?

Wagner-Bergelt: Ich würde eher sagen: Sie war schonungslos. Alles, was sie gesehen hat, mit diesem sezierenden Blick, konnte sie verarbeiten im kreativen Prozess, auch wenn sie nie zufrieden war, es noch genauer wollte, sie immer zu wenig Zeit hatte, arbeiten, arbeiten, arbeiten: diese vielen Facetten, schonungslos ehrlich. Was Menschen einander antun, wie gemein sie sein können, aber dann auch die Schönheit von Frauen, das Spiel mit Kleidern und Haar… und dann immer wieder das Scheitern von zarter Annäherung und sexuellen Kontakten. Verquere sexuelle Beziehungen sind ja in sehr vielen Stücken Thema.

O&T: Besteht darin jetzt und heute nicht die Schwierigkeit, mit neuen jungen Tänzern, die diesen Prozess mit Pina nicht durchlaufen können, das zu erarbeiten?

Wagner-Bergelt: Ja, aber das war es letztlich immer. Denn mit ihrer seit den Mittsiebzigern praktizierten Fragetechnik hat sie aus ihren Tänzern oft Dinge hervorgeholt und ausgegraben, von denen die oft nicht wussten, dass sie tief in ihrem Inneren überhaupt vorhanden, verdrängt waren, dass man sie thematisieren und zeigen kann. Das war oft auch eine Entblößung. Und wenn das echt und dann womöglich auch schmerzlich war, dann hat sie oft eben genau das genommen. Es war also ihre Kreativität und die Selbstentäußerung der Tänzer, die so eine Art der Unterwerfung von Persönlichem leisten mussten.

O&T: Wie ist da ein Transfer möglich, um Pinas Stücke wiederzubeleben?

Wagner-Bergelt: Zu uns kommt ja eine Mischung aus ehemaligen Folkwang-Absolventen wie Pina selbst, aber auch von modernen und klassischen Compagnien in Paris oder London. Gerade letztere wollen über die Form, die sie kennen, hinaus. Das ist dann das herausfordernd Spannende: Pina ist es erfreulicherweise gelungen, nicht nur etwas tolles Einmaliges mit diesen eingeschworenen damaligen Generationen zu erschaffen, sondern eigenständige Kunstwerke. Also kann der heutige Tänzer zunächst etwas Aufgezeichnetes lernen, oft unter Anleitung desjenigen, der oder die das damals kreiert hat. Es gilt also, das ambivalente Paradox aufzulösen: dass es in der Choreografie, im Dialog bis hin zu kleinen Gags und Pointen, authentisch sein soll, aber die Nicht-Pina-Generation eben auch sie selbst sein, also, wie Pina sagte, „ihren Platz“ finden kann. Es soll dahin führen, dass sie nicht Plagiat von jemandem sind, der das damals erfunden hat und sie jetzt seine Rolle vor-spielen. Daran arbeiten die Probenleiter, die alle ehemalige Pina-Tänzerinnen und -Tänzer sind. Bei der Einstudierung von „Das Stück mit dem Schiff“ haben wir mit der Künstlerin Saar Magal einen Weg gefunden: erst Original einstudieren, dann durfte die-/derjenige mit dem Material frei spielen, mit und ohne oder zu anderer Musik sich ausprobieren – und dann wurde das wieder zum Original zusammengesetzt: erstaunliche Erfahrungen. Gerade denen, die aus der eher klassischen Ausbildung kommen, gelingt es dann oft zu einer Tiefe in sich zu finden, zu einer neuen, anderen Haltung. Dafür kommen sie in dieses Ensemble.

O&T: Anknüpfend an „Nicht Asche… sondern das Feuer“: Woher kommt heute noch das Feuer, das eine Pina-Aufführung entfachen kann – bis hin zu der inzwischen weltweiten Wertschätzung?

Wagner-Bergelt: Ich verstehe Pinas Stücke als Literatur. Das war womöglich die Anfangsschwierigkeit, dass die Zuschauer das nicht „lesen“ konnten, mit den Folgen: Frustration und Ablehnung… Dass das so etwas Anspruchsvolles wie Arno Schmidt oder Döblins „Berlin Alexanderplatz“ ist, Montagetechnik, Rückblicke, Vorausgriffe, Dichte, einfach ein verwirrender Kosmos – das musste man sehen und erahnen lernen. Dabei konnten und können die Erlebnisse durchaus unterschiedlich oder bei einem abermaligen Besuch ganz andere sein. Bei mir, bei den ersten Eindrücken Ende der 1980er-Jahre und, wie ich höre, bei vielen auch heute: Man geht „verliebt“ in diese oder jenen Darsteller heraus: „War die oder der oder das nicht toll?“ – „Und das erschreckend?“ Darum finde ich: Es ist nichts Tragisches, sondern etwas Ehrliches – wie Ingeborg Bachmann sagte: „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.“ Nach einer Pina-Aufführung merkt man: „Ja, man kann das aushalten! Es ist nicht immer schön, nicht alles positiv. Es gibt ganz schreckliche Dinge zwischen uns – das Leben eben als großes Rätsel!“ – Ich meine, Pina will mit ihren Choreografien zeigen, dass das Leben bestanden werden kann und dass es manchmal glückliche, gelungene Momente gibt.

O&T: Also so etwas wie „Ego-Stärkung“ nicht nur bei den Tänzern, sondern auch im Publikum?

Wagner-Bergelt: Ich glaube schon. Wenn nach ihren Gastspielen in München Zuschriften zu mir in die Dramaturgie kamen: „Wie können Sie uns so was zumuten? – Wir wollten einen schönen Abend“, hab‘ ich immer geantwortet und zurückgefragt: „Finden Sie nicht, dass wir alle über Liebe und Tod, über Glück und Scheitern nachdenken sollten?“ Mitunter kam dann später ein Brief zurück: „Sie haben recht, diesmal hab‘ ich das anders erlebt.“ Also Irritation – und dann ein großer Gewinn.

Im Gespräch mit Beatrix Leser und Wolf-Dieter Peter

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