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Hintergrund

„Licht! Liebe! Leben!“

Geschichte und Gegenwart der Marie-Seebach-Stiftung Weimar

Johann Gottfried Herders Wahlspruch „Licht! Liebe! Leben!“ gehört zum Leitbild der Marie-Seebach-Stiftung in Weimar, die im Oktober 2020 ihr Gründungsjubiläum begehen konnte. Seit mehr als 125 Jahren finden hier pensionierte Bühnenkünstler/-innen eine kultivierte Heimstatt.

Marie Seebach (1829-1897) war eine der großen Schauspielerinnen ihrer Zeit, hochverehrt und in klassischen Frauenrollen wie Gretchen, Louise Miller oder Maria Stuart auf den Bühnen Europas und Nordamerikas gefeiert. Ihr Privatleben stand im Gegensatz zu ihren beruflichen Erfolgen, die sie finanziell unabhängig machten, unter keinem guten Stern: Ihre Ehe zerbrach, der einzige Sohn verstarb im Alter von 32 Jahren.

Die „Ur-Marie“, Gründungshaus mit damaligen Bewohnern, 1898. Foto: historisch

Die „Ur-Marie“, Gründungshaus mit damaligen Bewohnern, 1898. Foto: historisch

Sie beschloss, große Teile ihres beträchtlichen Vermögens in eine Stiftung für verarmte Schauspieler zu investieren. Bei der Suche nach einem geeigneten Ort entschied sich Marie Seebach für Weimar, das sie von Auftritten im Hoftheater gut kannte. Die Stadt Weimar, Herz der deutschen Klassik, Wirkungsstätte von Goethe und Schiller, Herder, Wieland, Bach und Liszt – idealer kann ein Wohnsitz für alternde Künstler nicht sein! Großherzog Carl Alexander und seine Frau Sophie stellten kostenlos ein Grundstück in der Tiefurter Allee zur Verfügung. Die Stiftung sollte sich aus dem von Marie Seebach eingebrachten Vermögen, der finanziellen Unterstützung des Großherzogs und durch Zuwendungen der 1871 in Weimar gegründeten „Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger“ tragen. „Ein herzlich Anerkennen ist des Alters zweite Jugend“: Mit diesen Worten Goethes wurde am 2. Oktober 1895 das Gründungshaus der Marie-Seebach-Stiftung mit 14 Zimmern eröffnet. Schon 1906 bot das Gebäude Platz für 32 Bewohner und einen großen Speisesaal.

Die Notzeit des Ersten Weltkrieges und die folgende Inflation konnten durch unermüdliches Einwerben von Spenden überdauert werden. Der langjährige Kurator und Schauspieler Wilhelm Hinrich Holtz verstand es mit viel Geschick, die Stiftung durch die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Epochen zu führen und dabei ihre Eigenständigkeit zu bewahren: Ende der Kaiserzeit, Weltwirtschaftskrise, Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg, DDR-Zeit. Aus gegenwärtiger Sicht können einige der dabei eingegangenen Verbindungen zu Recht fragwürdig erscheinen.

Die Jahre des Dritten Reiches überlebte das Haus unter anderem mit der Gründung einer weiteren Stiftung durch die Schauspielerin Emmy Sonnemann-Göring; Erbe dieser Zeit ist das heutige Mietshaus in der Tiefurter Allee 37, mit Bibliothek und Veranstaltungssaal über Jahrzehnte Ort für ein reges künstlerisch-kulturelles Leben der Bewohner. In der Staatsphilosophie der DDR gab es für private Stiftungen wenig Platz. Die Marie-Seebach-Stiftung hatte nach dem Krieg große Verluste zu verzeichnen und war wieder existenziell bedroht. Wilhelm Hinrich Holtz gewann den Volkskammerpräsidenten der DDR für die Stiftung. Dieser sagte jährliche Zahlungen des Kulturministeriums zu, die das Überleben des Hauses bis zum Ende der deutschen Teilung sicherten.

Gründungshaus mit derzeitigen Bewohnern, 2020. Foto: Bernd Lindig

Gründungshaus mit derzeitigen Bewohnern, 2020. Foto: Bernd Lindig

Die Wendezeit führte mit der geforderten Angleichung aller Altenheime an den Standard der alten Bundesländer und dem gleichzeitigen Wegfall der Zuwendungen zur nächsten großen Krise. Der in dieser Zeit gebildete Notvorstand konnte jedoch den neuen Thüringer Sozialminister und die damalige Bundesfamilienministerin für die Stiftung begeistern. Man entwickelte Modellkonzepte, nach denen – neben der Weiterführung als Senioreneinrichtung für Bühnenkünstler – auch der Aspekt der Begegnung von Generationen sowie übergreifende Aufgaben in der Seniorenarbeit des Landes Thüringen ihren Platz fanden. Insbesondere mit der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar entstand eine Zusammenarbeit, die mit unzähligen Konzerten von Musikstudent/-innen im Forum Seebach weiterhin Früchte trägt.

Ein neues Heimgebäude (Haus Marie), der Umbau des Gründungshauses und das Gebäude des Soziokulturellen Forums wurden in Angriff genommen und in großen Teilen öffentlich gefördert. 2010 kam es zur Gründung der Gesellschaft „Marie Seebach Kultur Wohnen gemeinnützige GmbH“, gemeinsam getragen von der Marie-Seebach-Stiftung und der Stiftung Sophienhaus; die Zahl der Pflegeheimplätze wurde durch einen weiteren Neubau (Haus Sophie) sinnvoll erhöht.

Pflegebedürftigkeit war zur Gründungszeit der Marie-Seebach-Stiftung ein Ausschlusskriterium, verhinderte also die Aufnahme in das Stift. Außerdem wurden ausschließlich ehemalige Schauspielerinnen und Schauspieler aufgenommen. Beides änderte sich im Laufe der Zeit. 1961 entschied man sich wegen zunehmender Gebrechlichkeit der Stiftsherrschaften, eine (!) Krankenschwester zu beschäftigen. Hartmut Krebs, langjähriges Vorstandsmitglied, wurde 1972 als Heimarzt gewonnen und sorgte sogleich für weiteres Fachpersonal in der Pflege.

Heute bietet die Stiftung Platz für 82 pflegebedürftige Menschen und weitere 21 Bewohner als Mieter. Willkommen sind neben Bühnenangehörigen aller Bereiche gleichermaßen Senior/-innen mit Interesse für Kunst, Kultur und eine stilvolle Geselligkeit. Zur „Seebach Familie“ gehören aber auch die vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedenster Qualifikationen.

Das integrierte Forum Seebach ist als Tagungs- und Veranstaltungszentrum eine Begegnungsstätte von Künstlern und Menschen der Stadt Weimar und dient gleichzeitig als Plattform der kulturellen Aktivitäten für die Bewohner. Ob Lesungen, Konzerte, Filmabende – die Gästeliste der hier aufgetretenen Künstler ist prominent, von Mario Adorf, Iris Berben über Götz George bis Thomas Thieme.

So konnten zum Beispiel im Sommer 2021 die Internationalen Weimarer Meisterkurse im Forum zu Gast sein; die aktuelle Foyer-Ausstellung „Mit Goethe von Weimar nach Großkochberg“ zeigt Zeichnungen und Fotos eines Weimarer Künstlers; großen Beifall gab es, als das Ensemble „ExtraKlang“ im September zu einer musikalischen Weltreise einlud... Die umfangreiche Bibliothek, die selbst gestaltete Zeitschrift „Gretchenkurier“ oder Projekte wie „Ich schreibe Dir meine Geschichte – Alt und Jung im Briefwechsel“ sowie etliche Balkonkonzerte mit Musikern der Staatskapelle Weimar bereichern das Leben der Bewohner auch in der Corona-Pandemie in vielfältiger Weise.

Die Marie-Seebach-Stiftung ist bis heute das einzige Seniorenheim für alte und hilfebedürftige Bühnenkünstler und -künstlerinnen in Deutschland. (Giuseppe Verdi ließ 1896 bis 99 in Anlehnung an die Seebach-Stiftung in Mailand die „Casa di Riposo per Musicisti“ errichten, wo sich auch seine Grabstätte befindet.)

Die Seebachstiftung hat ihren Stiftungszweck seit über 125 Jahren aufrechterhalten und präsentiert sich als Wohnanlage, in der Tradition und Gegenwart nicht nur in der Architektur erkennbar sind, sondern in besonderer Weise gelebt werden: „Kunst und Kultur sind wichtige Hilfen für ein sinnerfülltes Leben, auch im Alter. Sie sollen allgegenwärtiger Geist in unserem Hause sein!“

Christine Hansmann und Bernd Lindig

  • Christine Hansmann ist Mitglied des Kuratoriums und Bernd Lindig wissenschaftlicher Leiter des Soziokulturellen Forums/Forum Seebach.

 

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