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Hintergrund

Neue Synergien und Begnungen

Katharina von Radowitz im Gespräch mit Bogdan Roščić und
Krysztina Winkel von der Wiener Staatsoper

Zur Saison 2020/21 trat Bogdan Roščić das Amt als Direktor der Wiener Staatsoper an. In derselben Spielzeit ging auch die Abteilung „Vermittlung & Outreach“ an den Start, geleitet von der Musiktheaterpädagogin Krysztina Winkel. Ein Novum an dem traditionsreichen Haus, das sich unter der neuen Leitung mit verschiedenen Ansätzen den Weg in Richtung einer im Wandel befindlichen Gesellschaft bahnen will. Im Doppelinterview geben Direktor Roščić und Musiktheaterpädagogin Winkel Einblick in den noch jungen Prozess und ihre Vision.

Katharina von Radowitz: Lieber Herr Roščić ich würde gerne mit Ihrem Antritts-Statement einsteigen: „Die Wiener Staatsoper ist für alle da. Diesen Anspruch umzusetzen ist heute schwieriger denn je.“ Was heißt es heute, Oper und eine vielfältige Stadtgesellschaft zusammenzubringen?

Bogdan Roščić. Foto: Peter Mayr

Bogdan Roščić. Foto: Peter Mayr

Bogdan Roščić: Die Wiener Staatsoper hat seit jeher einen eigenen Blick auf die Stadt und ihr Publikum. Seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg war das Haus nahezu durchgehend ausverkauft. Man musste wissen, wie man an Karten kommt, musste lange (und nicht immer mit Erfolgsaussicht) für Stehplätze anstehen. Der Opernbesuch war ein gesellschaftliches Statement und ist es im Grunde heute noch. Das macht etwas mit einem Haus. Es gab keine Marketing-Abteilung oder ein Werbebudget, weil man es schlicht nicht brauchte, um die Oper zu füllen. Ich kam als Direktor an ein nach außen seltsam unkommunikatives Haus, das bei mir intuitiv den Impuls auslöste, damit Schluss machen zu wollen. Denn auch wenn das Haus kontinuierlich voll ist, wäre es ein Vernachlässigen unseres ureigenen Auftrags, den Kontakt nach außen nicht zu suchen. Das österreichische Bundestheater-Organisations-Gesetz gibt dafür den Rahmen vor. Bei einem Eigendeckungsgrad von fast 50 Prozent ist es unsere Pflicht, zumindest in das aktive Gespräch mit der Gesellschaft einzutreten. Und damit meine ich nicht nur die Erschließung neuer Zielgruppen. Sondern ganz grundlegend die Verpflichtung, innerhalb einer sich rasant wandelnden Gesellschaft in Österreich darauf zu schauen, welche Zutrittshindernisse neu entstehen und darauf zu reagieren.

Von Radowitz: Wir reden oft davon, wie man mehr Teilhabe an Kultur ermöglichen kann. Darin wird aber auch der Wunsch von Kulturinstitutionen erkennbar, selbst weiterhin Teil dieser Gesellschaft zu sein. Wenn Kulturinstitutionen im gesellschaftlichen Gespräch keine Rolle mehr spielen, geht irgendwann das Licht aus. Liebe Krysztina, was sind Deine Gedanken dazu?

Krysztina Winkel. Foto: Atha Athanasiadis

Krysztina Winkel. Foto: Atha Athanasiadis

Krysztina Winkel: Für uns an der Staatsoper ist es ein zentrales Interesse, wie wir an das anknüpfen können, was den Menschen wichtig ist. Wir suchen das Gespräch über die Frage: Warum macht es Sinn, sich heute mit Musiktheater auseinanderzusetzen? Deswegen steht bei uns die partizipative Arbeit im Zentrum. Wir möchten Themen, die vor allem Jugendlichen, aber auch anderen Gruppen wichtig sind, durch und mit Musiktheater und Ballett eine Plattform geben, auf der sie wahrgenommen und verhandelt werden können. Neben dem kreativen selbsttätigen Machen hat auch das Zuhören große Bedeutung für unsere Arbeit.

Von Radowitz: Als Vermittlerin ist man direkt involviert in diesen Dialog. In vielen Situationen entsteht eine besondere Resonanz, eine Art Zauber, der extrem motivierend sein kann. Setzt sich dies in Richtung des Hauses fort – auch über die Vermittlungsabteilung hinaus?

Winkel: Ja, auf jeden Fall. Es entstehen neue Synergien, es finden Begegnungen statt. Das kann man nicht immer planen: Wenn beispielsweise das Bühnenorchester, das sonst nur Profi-Produktionen spielt, für eine Premiere mit Teenagern probt und die Musiker:innen in den Pausen mit den Jugendlichen ihre Spotify-Playlist teilen. Diese kleinen „Gesellschaftsmomente“ haben eine unglaubliche Wirkung, die ihre Energie in das ganze Haus entfaltet. Hier entsteht gegenseitiges Verständnis, ein Bewusstsein füreinander, das alles Weitere begründet. Wenn der Funke einmal entzündet ist, kommt man dahinter nicht mehr zurück!

Ich will nicht verschweigen, dass dafür auch viel Vermittlungsarbeit nach innen nötig ist. An der Wiener Staatsoper hat eine Produktion normalerweise jahrelange Vorläufe – da sorgt es schon für kleine Schockwellen, wenn man eine Planung vorstellt, die noch in derselben Saison umgesetzt werden soll. Hier ist man als Vermittlerin gefragt, die Logik und Motivation unserer Arbeit zu erklären, die nicht so planbar ist und ganz andere Prozesse erfordert. Ich empfinde bei meinen Kolleg:innen aber eine große Offenheit, Neugier und Unterstützungsbereitschaft. Auf dieser Grundlage kann vieles gelingen.

Roščić: Während meiner Vorbereitungszeit habe ich adressiert, was ich mir als Direktor für das Haus wünsche: Ich habe eine Marketingabteilung eingerichtet und einen offiziellen Freundeskreis gegründet, der die Mittel erwirtschaftet, um die Aktivitäten, von denen wir hier reden, überhaupt durchführen zu können. Ich habe die Dramaturgie aufgewertet und es gibt die neue Abteilung „Vermittlung & Outreach“. Es ist faszinierend, gegen wie wenig Widerstand man in diesem Haus arbeiten muss. Das hat zwei Gründe. Zum einen ist der gesamte Apparat sehr auf den Künstlerischen Geschäftsführer ausgerichtet: Wenn der Direktor was will, dann geschieht das auch. Das kann man ja nicht von jedem Opernhaus behaupten auf dieser Welt... Der Apparat will, dass ihm klar und nachvollziehbar gesagt wird, was zu tun ist. Dann entfaltet er auch bei Innovationen und neuen Prioritäten eine bemerkenswerte Selbstständigkeit, Kreativität und vor allem den Ehrgeiz, es sehr gut hinzukriegen. Und damit sind wir beim zweiten Aspekt, der Grundeinstellung der Menschen an diesem Haus. Es zeigt sich für mich in einem außergewöhnlichen Ausmaß so etwas wie ein „gemeinsamer Geist“, der das Haus und das, worum es hier geht, wahnsinnig ernst nimmt und alles besonders gut umsetzen will. Man denkt immer, ein Opernhaus ist groß und komplex, alles muss schwierig sein. Nein, das muss es nicht! Wenn alle an einem Strang ziehen, sich eigenständig organisieren und Verantwortung übernehmen, entstehen auch an einem großen Haus einfache und unbürokratische Lösungen.

Von Radowitz: Sie haben also die Chance, mit einem bestens aufgestellten Apparat Oper zu gestalten. Was ist Ihre Vision, wenn Sie über den Opernbetrieb der Zukunft sprechen? Mit der Einrichtung der Abteilung „Vermittlung & Outreach“ haben Sie ja ein Zeichen gesetzt. Könnte man sagen: „Die Wiener Staatsoper startet in Sachen Vermittlung spät, setzt sich dann aber auch an die Spitze?“

„Wie wünschen wir uns die Zukunft?“ Ausgehend von dieser Frage entwickelten Jugendliche und junge Erwachsene das Musiktheater „Der letzte Tag“ gemeinsam mit der Wiener Staatsoper und Superar. Foto: Ashley Taylor

„Wie wünschen wir uns die Zukunft?“ Ausgehend von dieser Frage entwickelten Jugendliche und junge Erwachsene das Musiktheater „Der letzte Tag“ gemeinsam mit der Wiener Staatsoper und Superar. Foto: Ashley Taylor

Roščić: Das muss natürlich der Anspruch eines Hauses sein, aber es gibt auch für uns kein Patentrezept, das wir einfach umsetzen könnten. Vielmehr gilt es jetzt ganz pragmatisch an dem Ort, wo das Haus steht, für die Gesellschaft, die es ermöglicht, die richtigen Fragen zu stellen, das Gespräch zu suchen und Aktivitäten zu entfalten, die breitere Kreise ziehen. Das heißt auch, Dinge nicht als gegeben hinzunehmen: Jede Struktur hat auch Veränderungsspielraum, Tradition hin oder her. Das Haus muss durchlässig sein, es darf nichts und niemanden ausschließen. Es muss in der Auswahl dessen, was es auf die Bühne bringt, der Regiesprachen und der Aktivitäten nicht nur Teilpublika ansprechen, sondern vielfältige Anschlüsse herstellen und offenhalten.

Winkel: Wir haben uns viel vorgenommen, und es ist extrem wichtig, dass wir einerseits im Haus unsere Haltung hinterfragen und den „gemeinsamen Geist“ entwickeln. Mindestens genauso wichtig ist es aber, sich über die Staatsoper hinaus auszutauschen und zu vernetzen. Wir sind im guten Kontakt mit den Kolleg:innen an anderen Häusern in Wien, aber genauso national und international. Besonders wichtig sind aber vor allem unsere Community-Partner. Zum Beispiel haben wir eine Kooperation mit den Programmen „Superar“ und „Tanz die Toleranz“ im Kulturhaus Brotfabrik im 10. Bezirk. Damit sind wir vor Ort präsent und kommen in lebendigen Austausch mit jungen Menschen in der Stadt. Mit der Haltung einer lernenden Organisation nehmen wir vielfältige Impulse auf und entwickeln daraus das, was künftig Teil unserer DNA sein und die spezifische Vermittlungsarbeit der Wiener Staatsoper prägen soll.

Von Radowitz: Wie stelle ich mir das in der Umsetzung vor? Wie groß ist denn Deine Abteilung, Krysztina?

Winkel: (lacht) Wir sind zwei Personen in unserer Abteilung, und schon darin steckt ein Fortschritt, immerhin haben wir uns mit dieser Spielzeit verdoppelt… Das ist natürlich ausbaufähig, und wir kommen nicht ohne Freie Mitarbeiter:innen aus. Klar schaue ich da manchmal etwas neidisch auf Häuser, die zehn Theaterpädagog:innen haben. Wir stehen aber noch immer am Anfang, und für das Weitere ist es auch wichtig, die Idee von Outreach erst einmal ganz grundlegend im gesamten Haus zu verankern und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das eine Gesamtaufgabe sein muss. Insofern begreife ich die Situation als Chance – wir sind zwei Kolleg:innen unter tausend anderen, da findet sich immer Unterstützung!

Roščić: Generell bin ich der Ansicht, dass die Staatsoper bei Innovationsthemen in einem gewissen Nachteil steckt, weil sie eben ein Schiff mit einer gewissen Tonnenanzahl ist und beladen mit Erwartungshaltungen, die nicht immer der Gesellschaft der Gegenwart entsprechen. Zudem ist meinem Budget eingepreist, dass der Saal hier jeden Tag voll ist. Ich muss mir also an anderen Stellen Freiräume schaffen, und das habe ich jetzt geschafft: Wir eröffnen in Kürze eine zweite Arbeits- und Spielstätte mit Probenräumen, aber auch mit einem kleinen Saal für knapp 300 Personen, mit kleinem Orchestergraben, Bühne, Licht und Akustik. Also schon ein richtiges „Theaterchen“, in dem Kleinteiligkeit, Niederschwelligkeit und Experimentelles nicht nur erwünscht, sondern notwendig ist. Davon verspreche ich mir sehr viel, gerade im Zusammenspiel mit den eingangs dargelegten Veränderungen in der Organisationsstruktur, die sicher auch noch nicht am Ende angelangt sind.

Von Radowitz: Sie haben also an diesem großen Haus ganz verschiedene Fenster und Türen aufgerissen, nun wird sich zeigen, was aus dieser Offenheit und Durchlässigkeit entstehen kann. Wenn Sie beide in die Glaskugel schauen könnten: Welche Vision von Oper – in Wien, aber auch darüber hinaus – entsteht da?

Winkel: Ich sehe vor allem unsere Rolle in der Stadt Wien und Umgebung – in Richtung der Stadtgesellschaft, die uns in ein paar Jahren hoffentlich neu wahrnimmt und Möglichkeiten sieht, etwas aus ihrer Lebensrealität auf unser Haus zu projizieren und uns als Resonanzraum zu erkennen. Dabei sehe ich uns im Zusammenspiel mit unseren Partnern in der Stadt, mit denen wir gemeinsam das Kulturangebot hier vor Ort gestalten. Neben ganz pragmatischen Fragen, wie der Vermeidung von Redundanzen und Dopplungen, gilt es dabei, unsere Identität als Staatsoper im Bereich Outreach & Vermittlung noch auszuprägen und mit Sinn zu erfüllen.

Roščić: Würde ich überblicken können, wo wir anfangen, wo wir stehen bleiben, wo wir irgendwann ankommen und wie wir dann aussehen, wäre ich ein unfassbares Genie der Weiterentwicklung abendländischer Kultur und man müss-te mich zum gesamteuropäischen Kulturminister machen. Weder präsentiere ich das, noch halte ich das für möglich. Für mich das Wichtigste ist, dass dieses Haus eine kredible Reise antritt. Und mit kredibel meine ich nicht: „Check this box, check that box. Zeitgenössisches Auftragswerk – check. Outreach-Programme in den übelsten Vierteln Wiens – check, check, check. Freundliche, engagierte neue Kollegin wie Krysztina Winkel – check.“ Ich will kein Feigenblattprogramm. Wir sollten uns daran messen lassen, ob in ein paar Jahren Dinge Selbstverständlichkeit erlangt haben, die jetzt nicht so selbstverständlich sind. Und das kann für mich nur bedeuten, dass wir neue Publika erreicht haben werden. Ob das jetzt ein Kind aus dem zehnten Wiener Gemeindebezirk oder ein super verdienender 35-jähriger Rechtsanwalt ist, der bisher nur ins Burgtheater und ins Theater an der Wien geht, weil er sagt: „Was soll ich mit dem spießigen Zeug hier?“ Es geht mir um eine glaubwürdige Offenheit und Öffnung auf vielen Ebenen und mit vielen Einzelmaßnahmen, die dazu führt, dass sich in ein paar Jahren hier ein neu zusammengesetztes und ein vielleicht bezogen auf die Realität der österreichischen Gesellschaft etwas repräsentativeres Publikum einfindet. Wenn das gelingt, war es, glaube ich, ein richtiger und wichtiger Schritt für dieses Haus und vielleicht auch für diese Stadt.

Von Radowitz: Vielen Dank, wir sind gespannt auf die weiteren Entwicklungen!

  • Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus dem „Best of Magazin“ des netzwerk junge ohren (Berlin), November 2021

 

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