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Berichte

Militärisches Piff-Paff-Puff

„Ein Feldlager in Schlesien“ an der Oper Bonn

Mit sechswöchiger Verzögerung (coronabedingt) gelangte Giacomo Meyerbeers „Ein Feldlager in Schlesien“ an der Oper Bonn endlich zur Premiere. Ein Abend der Superlative und auf mehreren Ebenen bedenkenswert! Auch weil das preußisch-militärische Piff-Paff-Puff des zweiten Aufzugs mit dem riesigen Aufgebot an Chor und Extrachor in das Parkett, auf den Rang und die Vorderbühne der Oper Bonn gezogen wurde. Die Gesänge vom Tod fürs Vaterland wirkten fast zerschmetternd. Nach diesen Szenen war das Publikum mit Applaus nicht so zögerlich wie nach dem virtuosen Charakterstück, mit dem die zu einem „Wanderstamm“ gehörende Hauptmannstochter Vielka ein ungarisches Panduren-Bataillon bezirzt (bravourös: Elena Gorshunova).

Tobias Schabel (Saldorf), Michael Ihnow (Chronist), Chor und Extra-Chor. Foto: Thilo Beu

Tobias Schabel (Saldorf), Michael Ihnow (Chronist), Chor und Extra-Chor. Foto: Thilo Beu

Seine Uraufführung erlebte das Werk anlässlich der Wiedereröffnung des durch einen Brand zerstörten Berliner Knobelsdorff-Baus 1844. Bis in die Wilhelminische Zeit – zuletzt wahrscheinlich 1891 – stand das außergewöhnliche Opus regelmäßig auf dem Spielplan. International konnte es sich trotz der Mitwirkung von Jenny Lind in Wien als „Vielka“, trotz der Umarbeitung zu „L‘étoile du nord“ und trotz der Mitwirkung von Eugène Scribe als Ideengeber für den deutschsprachigen Textautor Ludwig Rellstab nicht neben „Robert le diable“, „Les Huguenots“ und „Le prophète“ behaupten. Eine stark gekürzte Einspielung mit dem Berliner Konzertchor und dem Symphonischen Orchester Berlin unter Fritz Weisse von 1984 und wohl auch der immense Kraftakt der Oper Bonn in der Reihe Fokus ‘33 werden wenig an der Unrettbarkeit dieses Werks für das heutige Repertoire ändern.

Der erste Akt ist nach heutigem Verständnis am ehesten noch als Singspiel in großer Besetzung zu bezeichnen, der zweite als riesiges Chortableau mit dem Feldlager vor dem „Hintergrund des Riesengebirges mit der Schneekoppe“ als Kantate und der dritte als apotheotisches Kammerspiel zu Hofe. Um den Preußenkönig Friedrich II. dreht sich alles, aber dieser tritt nicht auf. Die Hauptpartie ist Vielka. Sie leistet den entscheidenden Anschub dafür, dass Conrad (Jussi Myllys), der dem König durch einen Kleidertausch zur Flucht verhelfen konnte, als Flötist in die Hofkapelle aufgenommen wird. In einer Paradenummer hält Vielka die Ungarn von der Brandschatzung ab. Im dritten Akt ist es demzufolge der Koloratursopran und keine männliche Stimme, mit der sich das Flötenspiel des Königs zum Duett vereint. Im zweiten Akt mit dem Feldlager sind die Stimmgruppen nach Geschlechtern getrennt – mit unterschiedlichen Zuordnungen. Die Frauen sind in der Bereitschaft zum Tod fürs Vaterland bei Meyerbeer und Rellstab vollauf emanzipiert. Das Produktionsteam sicherte sich gegen eventuelle Kritik an den militärischen Aspekten des Plots und der Musik, vor allem im zweiten Aufzug, ab: „Unweigerlich schaut man aber auf dieses Theater mit dem Wissen um all das Kriegerische, das sich zwischen Uraufführung und heute ereignet hat“, heißt es da.

Martin Tzonev (Tronk), Elena Gorshunova (Vielka), Michael Ihnow (Chronist), Chor und Extra-Chor. Foto: Thilo Beu

Martin Tzonev (Tronk), Elena Gorshunova (Vielka), Michael Ihnow (Chronist), Chor und Extra-Chor. Foto: Thilo Beu

Jakob Peters-Messer beabsichtigte in seiner Regie, die Kontraste des Werks aufzuzeigen. Sebastian Hannak, verantwortlich für das Bühnenbild, setzte im zweiten Akt ein Podest für die Militär-Chöre ins Parkett. Chorgruppen standen auch an den Seiten, während ein Teil des Publikums für den Mittelakt auf andere Plätze und die Bühne umzog. Weniger Probleme beinhaltete der erste Akt mit dem Einzug des Panduren-Bataillons. Der Schlussakt gewann Distanz durch das arabeske Rokoko-Ambiente.

Aber Peters-Messer versuchte auch, die dramaturgische Struktur des ungewöhnlichen Stücks zu visualisieren. Hannak relativierte die historisierenden Kostüme mit elektrischen Lampen. Das höfische Ambiente zeigte er durch einen Hängeprospekt, wie er im 19. Jahrhundert zu den wichtigen Bühnenmitteln gehörte – eine kleine Szene im Gegensatz zu der weiten Fläche für die unteren Stände und Gruppen. Bei allen Argumenten, mit denen nicht nur in Bonn Theaterschaffende in letzter Zeit Vorwürfe gegen szenische Mittel abzufedern versuchen, bemühte sich das Produktionsteam um inhaltliche Deutlichkeit und objektivierende Gestaltung. Immerhin handelt es sich um ein Opus für einen preußischen Prestige-anlass aus der Komponistenfeder eines Juden, in dem eine Frau mit explizit migrantisch-nomadischem Herkunftshintergrund durch eine Rettungsaktion eine Monarchie stabilisiert.

Aus der Spielform der Inszenierung von Jakob Peters-Messer war weder eine antimilitaristische noch distanzierende Haltung zu erkennen. Michael Ihnow ging als zugesetzter Chronist durch das Stück. Sven Bindseil steckte die Männer in preußische Uniformen, die Frauen gaben mehr oder wenige schmucke Marketenderinnen ab. Marco Medved hat Chor und Extrachor für die im Umfang locker „Nabucco“ und „Lohengrin“ erreichenden Aufgaben bestens vorbereitet. Der gezielt strahlend, brillant, laut vorgetragene Feldlager-Akt mit seinen schneidigen Couplets und protzigen Strophengesängen hätte möglicherweise andere, vielleicht sogar fragende und gedecktere Farben haben können. Der Editor Volker Tosta hatte vor der Premiere den Bonner GMD Dirk Kaftan darauf hingewiesen, dass dessen Tempi – an späteren Eintragungen von Metronomzahlen verifizierbar – zu schnell waren. Möglicherweise wollte Kaftan mit seiner Lesart die Szenen schärfen und damit eine im musikalischen Ausdruck manifeste Kritik an dem kriegsverherrlichenden Tableau anbringen. Das war in der Premiere allerdings nicht plausibel. Die in größerer Nähe zur romantischen Kontrastdramaturgie stehenden Rahmenakte gelangen Kaftan weit besser. Straffe Vokal-Athletik und virtuoses Brio überwogen.

Im Dezember 2021 wurde die Giacomo-Meyerbeer-Gesellschaft gegründet und promotet die Verbreitung von dessen Werk sowie die Auseinandersetzung mit dessen für die deutsche Kultur- und Wissenschaftsgeschichte wichtigen Familienangehörigen. „Die Beurteilung der Musik Meyerbeers leidet heute noch immer unter den irreparablen Schäden, die ihm ein Richard Wagner oder ein Robert Schumann durch ihre Schriften und Rezensionen zufügten.“ Das soll durch Vortragsveranstaltungen und Kooperationen anders werden. Konzerte der Giacomo-Meyerbeer-Gesellschaft widmen sich unbekannten Werkgruppen wie Meyerbeers Vokalstücken in deutscher Sprache sowie seinem umfangreichen Liedschaffen.

Roland H. Dippel

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