Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Portrait

Das letzte Wunderkind

Zum 125. Geburtstag von Erich Wolfgang Korngold

Am 29. Mai 1897 wurde in Brünn Erich Wolfgang Korngold geboren. Im Alter von 23 Jahren konnte er mit der „Toten Stadt“, frei nach dem Roman „Das tote Brügge“ von Georges Rodenbach, Libretto von Paul Schott (Pseudonym für Julius und Erich Wolfgang Korngold) 1920 einen der größten Welterfolge der Oper verbuchen. „Die tote Stadt“ wurde am 4. Dezember 1920 gleichzeitig im Stadttheater Hamburg (Dirigent: Egon Pollak) sowie im Stadttheater Köln (Dirigent: Otto Klemperer) uraufgeführt. Bis in die 1950er-Jahre folgten weltweit Aufführungen auf zirka 80 Bühnen, unter anderem auch 1921 in der Metropolitan Opera, wo Maria Jeritza in der Rolle der Marietta ihr Debüt an der Met gab.

„Die tote Stadt“ an der Oper Köln: Anlässlich der Uraufführung am 4. Dezember 1920 am Stadttheater Köln fand am 4. Dezember 2020 die Streamingpremiere im StaatenHaus statt. Am 4. September 2021 feierte sie dann Livepremiere. Foto: Paul Leclaire

„Die tote Stadt“ an der Oper Köln: Anlässlich der Uraufführung am 4. Dezember 1920 am Stadttheater Köln fand am 4. Dezember 2020 die Streamingpremiere im StaatenHaus statt. Am 4. September 2021 feierte sie dann Livepremiere. Foto: Paul Leclaire

Auf einen Schlag war der junge Mann einer der gefeiertsten Komponisten nicht nur Europas. Das Werk wurde in aller Welt gespielt. „Die tote Stadt“ galt als Geniestreich eines Wunderkindes, über das oft gerätselt wurde, ob es gar das letzte sei und Korngold gar der letzte Romantiker. Den einen galt Korngold als modern, den anderen als konservativ. Die Tonalität gab er nie auf, aber er war als Komponist durchaus auf der Höhe seiner Zeit. So komponierte er 1931 die „Vier kleinen Karikaturen für Kinder op. 19“, in denen er die Stile Arnold Schönbergs, Igor Strawinskys, Béla Bartóks und Paul Hindemiths karikierte.

Die Korngold-Rezeption war lange zerstritten und kontrovers. Dass ausgerechnet Theodor W. Adorno 1953 ein Exemplar seiner „Philosophie der neuen Musik“, handschriftlich „mit den freundlichsten Empfehlungen“ Korngold widmete, wirkt geradezu ironisch, wenn nicht gar zynisch angesichts der Tatsache, dass er in diesem Buch über Korngold „das ästhetische Todesurteil sprach“. Arne Stollberg hat in dem von ihm 2008 veröffentlichten Band mit den Beiträgen des ersten Symposions, das dem Komponisten gewidmet wurde, darauf hingewiesen, dass dies der vielleicht absurdeste Ausdruck des musikgeschichtlichen Umgangs mit Korngold ist. 2012 ist die große, umfangreiche Biografie Korngolds von Brendan G. Carroll (der Gründer der Korngold-Society) zum ersten Mal auf Deutsch erschienen (1997 kam sie in englischer Sprache unter dem Titel „The last prodigy“ heraus) und hat einen wesentlichen Beitrag zur Rehabilitierung und Anerkennung des Komponisten geleistet, auch wichtige Impulse für die Korngold-Forschung gegeben, wie schon die große Korngold-Ausstellung vom November 2007 bis Mai 2008 im Jüdischen Museum in Wien.

Schon als junger Mann schrieb Erich Wolfgang Korngold erstaunliche Kammer- und prachtvolle Orchestermusik. Es folgten Arbeiten für die Kulturindustrie Hollywoods, für die er ab 1934 auf Einladung von Max Reinhardt einige spektakuläre und äußerst erfolgreiche Filmmusiken komponierte, die mit Oscars nominiert wurden, darunter „The Adventures of Robin Hood“ (1938), „Der Herr der sieben Meere“ (1940), „Der Seewolf“ (1941), „Captain Blood“ (1935). Das Schreiben für Hollywoods Filmindustrie fügte seiner Reputation in Europa allerdings nicht unerheblichen Schaden zu. Auch dass er nicht entschieden aus dem Bannkreis seines Vaters, des berühmt-berüchtigten, weil antimodernen und antiintellektuellen Musikkritikers Julius Korngold heraustrat (so ambivalent die Vater-Sohn-Beziehung auch war), trug zu seiner Stigmatisierung als „unreflektiert und naiv“ bei.

Korngold, der neben Kammer- und Orchestermusik 23 Filmmusiken schrieb, aber auch einige Operettenbearbeitungen, Bühnen- und Schauspielmusiken, ein Ballett und fünf Opern hinterließ, bewegte sich im Spannungsfeld der Moderne eines Schönberg, Schreker und Zemlinsky. Und doch galt er, der sich selbst als „modern“ empfand, nie als Vertreter der „Wiener Moderne“ und hatte es schwer sich zu behaupten. Noch Brendon G. Carroll schrieb im Nachwort seiner Korngold-Biografie, fast hätte er sie als „Geschichte von enormem, frühem Erfolg und spätem, traurigem Scheitern“ geschrieben, wäre nicht Ende der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts plötzlich und unerwartet eine Art Korngold-Renaissance eingetreten. Schallplatten- beziehungsweise CD-Einspielungen seiner Werke erschienen, er wurde auf der Opernbühne wiederentdeckt und auch die Forschung zeigte mehr und mehr Interesse für den Komponisten. Die „Korngold-Society“ mit ihrem enormen Depot an Archivmaterial bot hierfür eine ideale Plattform.

„Erich Wolfgang Korngold war tatsächlich das letzte Wunderkind. Er wurde in das ruhmreiche Jahrzehnt geboren, in dem das Kaiserreich in Österreich zu Ende ging, und erlebte die Turbulenzen des erstaunlichsten Jahrhunderts unserer Zeit. In wenigen Jahren erfuhr er, wie seine Musik zunächst bewundert und später abgelehnt wurde. Erich Wolfgang Korngold sah sich selbst als den letzten Vertreter einer aussterbenden Spezies“. (Brendon G. Carroll)

Wiederum eine Ironie der Musikgeschichte ist, dass Korngold und Schönberg im amerikanischen Exil in Kalifornien (sie waren als Juden beide dort vor den Nazis sicher) persönlichen, fast familiären Umgang miteinander pflegten. Die aus Europa Verstoßenen rückten in den USA zusammen, „angesichts des Nazi-Terrors dürften Fragen des tonalen oder atonalen Komponierens jedenfalls in den Hintergrund getreten sein und stattdessen die Erkenntnis an Gewicht gewonnen haben, welch kultureller Reichtum, welch einmaliges Nebeneinander verschiedenster Stilrichtungen und künstlerischer Tendenzen – gerade im Wien der ersten 38 Jahre des 20. Jahrhunderts – an die Barbarei der braunen Horden verloren gegangen war“ (Arne Stollberg). Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.

Dieter David Scholz

 

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner