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French Anti-Connection
Renaissance-Opern-Raritäten in Bonn und Hagen · Von Guido Fischer
Nun ist aus der Renaissance mittlerweile längst ein etabliertes Kulturgut geworden und die deutschen
Opernbühnen bekommen das einfach immer noch nicht mit. So nüchtern die Bilanz ausfällt, so überraschend
ist sie zugleich. Denn seitdem in Frankreich die Blütezeit der Barockoper, die großen Tragödien-Würfe
der Lullys, Charpentiers und nicht zuletzt von Jean-Philippe Rameau dank dirigierender Hebammen wie William
Christie und Marc Minkowski wieder im prachtvollen Bühnenlicht stehen seitdem zeigen sich noch nicht
einmal deutsche Originalklangkunst-Experten wie ein Christoph Spering davon infiziert. Obwohl gerade Rameau
kaum zu übertreffen ist, was die Balance aus formaler Strenge, arioser Ausdrucksabgründigkeit und
fulminanten Divertissements angeht. Das mit szenischen Freiräumen zu flankieren, in denen die mythologische
Ikonografie des Librettos weder eingeschnürt noch plump verdoppelt wird, kann zum Rundum-Erlebnis werden.
Jedoch nicht, wie fast zu erwarten, in Bonn, wo allmählich nicht nur die finanziellen Lichter ausgehen.
Am dortigen Opernhaus wagte sich Regisseur Silviu Purcarete an die zweite Oper von Rameau heran. An die 1737
uraufgeführte Castor et Pollux, die der Bonner Dramaturg Jens Neundorf auf eine zweistündige
Fassung zurechtstutzte. Und dabei die Balletteinlagen einfach unter den Tisch fallen ließ. Dafür
setzte aber Purcarete gleich in diesem Spiel um die Zwillingsbruderliebe von Castor und Pollux, um verätzte
Liebestaumel am Rande der Unterwelt, auf Bilderbögen, die bei allem Seelenexhibitionismus und bühnentechnischen
Einfällen schlicht überspannt wurden. Halte- und Ruhepunkte waren kaum fixiert, weder in den magischen
Monologen noch in den kraftvollen Ensemble-Szenen. Hinter der suggestiven, von allerlei symbolischen Mätzchen
durchsetzten Bühnenwelt thronte nur Leere. Bis hinein in die Titelrollen, in denen Rameaus Stimmenarithmetik
beim sachlichen Wort genommen ist. Patrick Henckens (Castor) und Reuben Willcox (Pollux) blieben in den dramatischen
Fallhöhen nahezu alles schuldig. Und auch der schwedische Dirigent Arnold Östmann konnte dem Orchester
der Beethovenhalle nur zu einem domestizierten Historienklang verhelfen, bei dem man vergeblich auf Konturen,
rhythmische Herausforderungen (Phébes Air Rassemblez-vous, Peuple) hoffte.
Auf eine ähnliche Sturzfahrt geriet auch eine für den deutschen Opernmarkt absolute Trouvaille: die
komische Oper Tom Jones von François André Philidor (17261795). Wenngleich die
Erstaufführung am Theater Hagen wenigstens einige lichtene Momente unter den Sängern hatte. Und ein
zumindest musikhistorisch durchaus originelles Septett im Finale des 2. Aktes. Aber sonst bringt diese Komödie
kaum Argumente, um die vollmundig im Programmheft aufgestellte These zu untermauern, dass Philidor zu Lebzeiten
der berühmteste Komponist Frankreichs gewesen wäre Rameau war bei der Uraufführung des
Tom Jones 1765 erst gerade mal ein Jahr tot. Philidor genießt zwar bis heute legendären
Ruf in der Schachwelt. Aber das logische Vermögen, das er in grundlegenden Abhandlungen und in der Praxis
unter Beweis stellte, stand ihm wie eine Bauernwand vor der musikdramatischen Finesse und Fantasie, um sich
in dem berühmten Buffonistenstreit gegen Rameau und für das Melos italienischer Prägung entscheidend
zu präsentieren. Denn in den 150 Minuten Spielzeit gibt es vielleicht gerade eine halbe Stunde Musik. Den
Rest bilden Dialoge, die in ihrer bisweilen unglaublichen Dünnatmigkeit und dümmlichen Aufgedrehtheit
zur Tortur werden. Heiß gestrickt nach dem gleichnamigen Roman von Henry Fielding, als ein Porträt
maroder Bürgerlichkeit und eines des Sonderlings Tom Jones. Regisseurin Renate Liedtke-Fritzsch, die auch
die deutsche Übersetzung erledigte, macht daraus ein Komödienstadl, bei dem die Klischees schnell
in klamaukhafte Schieflage geraten. Einzig Dominik Wortig als nur äußerlich fehlbesetzter Herzensbrecher
besitzt lyrische Schlankheit und sinnfällige Färbungen, um tatsächlich ein Plädoyer für
diese Ausgrabung zu halten.
Guido
Fischer
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