Im Juli war dies auch Thema des Symposions „Schweigen die Sirenen?“ – in Anlehnung an Rolf Riehms Oper „Das Schweigen der Sirenen“ – in der Tutzinger Evangelischen Akademie. So gesehen folgt Younghi Pagh-Paans Kammermusiktheater „Mondschatten“, das am 21. Juli beim ISCM World New Music Festival als Auftrag der Staatsoper Stuttgart uraufgeführt wurde, dem aktuellen Trend. Denn das Libretto, das die Stuttgarter Chefdramaturgin Juliane Votteler in Zusammenarbeit mit der Komponistin erarbeitet hat, geht auf Sophokles’ „Ödipus auf Kolonos“ zurück: Nach seinen quälenden Irrfahrten findet der frühere Herrscher von Theben im Eumenidenhain inneren Frieden und wird zu den Göttern abberufen. Darüber hinaus wurden Texte des koreanischen Philosophen Byung-Chul Han sowie zen-buddhistische Haikus einbezogen. Doch bleiben diese kulturellen Verflechtungen nicht abstrakter Selbstzweck, sondern verweisen auf existenzielle Fragestellungen. Bevor nämlich Ödipus seinen inneren Frieden findet und zu den Göttern abberufen wird, sieht er sich gezwungen, sich unter dem Schutz des Koloneer Landesherren Theseus gegen seinen Widersacher Kreon und seinen Sohn Polyneikes zu behaupten. Die Quintessenz des Werkes ist demzufolge die Frage, wie man in den Tod geht: mit Hass und Rachegedanken oder innerlich befriedet und geläutert? Diese spirituellen Keime bewogen Pagh-Paan zur Zusage, als sie Ende der neunziger Jahre von Klaus Zehelein wegen des Projekts angesprochen wurde. Deswegen wurden zudem die Texte von Han und die zen-buddhistischen Haikus integriert, sieht doch die aus Korea stammende Bremer Kompositionsprofessorin in Sophokles’ spätem Ödipus zahlreiche Bindeglieder zum Taoismus, wie sie in einem Interview für Oper&Tanz (Ausg. 3/06, S. 10) unlängst bemerkte. Doch gab es bei der Uraufführung viele Probleme. Da wurde im Programmheft eine „endgültige Fassung des Originallibrettos“ abgedruckt, die von dem gesungenen Text vielfach abwich. Offenkundig gab es Meinungsverschiedenheiten, obwohl Votteler und Pagh-Paan bereits 2003 für „Moira“ für Mezzosopran und Akkordeon nach Sophokles zusammengearbeitet hatten. Die Textabweichungen waren verwirrend, man tappte im Dunkeln. Das zweite Dilemma war die Inszenierung unter Ingrid von Wantoch-Rekowski, die bei der Musikbiennale Berlin 2001 Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ umgesetzt hatte. Schon alleine die Kostüme (Regine Becker) bedienten westliche Fernost-Klischees, was der Idee einer Verschmelzung der Kulturen zu etwas Neuem zuwiderlief. In sinnlosen Tanzbewegungen, die von der Metaphorik und Symbolik in der Partitur nicht einmal etwas ahnten, schleppten sich die Darsteller durch das Guckkasten-Spektakel. Das Bühnenbild (Stefan Heinrichs) mit dem in einem Wasserbecken aufgestellten, Gaze umhüllten Kubus atmete IKEA-Katalog-Ästhetik. In diesem Würfel hockte nun das Staatsorchester Stuttgart unter Johannes Debus, obwohl die Musiker wegen der schlechten äußeren Bedingungen schon genug zu kämpfen hatten. Denn man saß auf dem Pariser Platz in einem zu der Gleisschneise des Stuttgarter Hauptbahnhofs hin offenen Innenhof eines Bürokomplexes. Die Züge ratterten, es rauschte der Verkehr, die Polizeisirenen heulten: Vieles blieb ungehört. Eine filigrane Verschmelzung westlicher und fernöstlicher Einflüsse, die eine eigene Klangwelt und neue Hörerfahrung schafft, konnte nicht erwachsen. Da Orchester und Sänger – mit Nigel Robson (Ödipus), Gerd Grochowski (Theseus und Kreon), Katharina Rikus (Antigone) und Anja Metzger (Polyneikes und Sphinx 1) sehr gut besetzt – verstärkt wurden, kam es zu einer für Pagh-Paan ungewöhnlichen Vordergründigkeit. Die „urbane Geräuschkulisse“ sei in das musikalische Konzept miteinbezogen worden, so der Pressetext. Tatsächlich jedoch konnte sich ein Werk nicht entfalten, von dem musikalisch wie textlich eine erneuernde Wirkung ausgehen könnte. Eine Aufführung im geschlossenen Raum tut not. Marco Frei |
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