Von 1992 bis 1995 übernimmt Lerchenberg-Thöny die Tanztheaterleitung am Tiroler Landestheater in Innsbruck, ihrer Heimatstadt, und 1996/97 an den Städtischen Bühnen Augsburg. Ihre expressiven Tanzdramen nach literarischen Vorlagen (u.a. „Bluthochzeit“, „Yerma“, „Der Idiot“, „Der Weibsteufel“, „Medea“) oder basierend auf gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen („Rosa Winter – die leidvolle Geschichte einer Sinti“) werden von Publikum und Presse begeistert aufgenommen. Aber die ihr bei den oft hart konkurrierenden Interessen innerhalb eines Mehrsparten- Hauses abgeforderte Hindernisbewältigung erschöpfte, entmutigte die immer hundertprozentig engagierte Tanzchefin, vorübergehend jedenfalls. Sie wollte tatsächlich einen Schlussstrich ziehen. Als Tochter eines Journalisten wirft sie sich, nach einer gedrängten Journalisten-Ausbildung für Quereinsteiger, auf diesen neuen Beruf, schreibt über soziale Themen, verfasst Kinderbücher und -stücke. Und inszeniert selbst ihre „Robin-Hood“-Dramatisierung und ihre Bühnenfassung „Ronja Räubertochter“ nach Astrid Lindgren für die Wunsiedeler Luisen-Festspiele, die ihr Mann, Schauspieler und Regisseur Michael Lerchenberg, seit 2004 höchst erfolgreich leitet. Neue Projekte„Michael hätte schon gerne, wenn ich weiter bei ihm inszenieren würde“, sagt Eva-Maria Lerchenberg-Thöny. Aber gleich drei Projekte, vorgetragen mit der ihr eigenen ernsthaften Intensität, lassen dafür keine Zeit: „Für Mai 2007 mache ich ein Stück im Auftrag der Fundacao Carlos Gomes im brasilianischen Belém. Es ist eine Art Musikhochschule, die über Lehrangebote und eigene Produktionen gezielt auch Sozialarbeit leisten will. Ich gebe dort einen Workshop, um zehn bis zwölf Tänzer für ,Tod einer Nonne‘ auszusuchen und vorzubereiten.“ Die Titelfigur ist die amerikanische Nonne Dorothy Stang, die 30 Jahre lang in Brasilien für die Rechte der landlosen Bauern und den Erhalt des Regenwaldes kämpfte und 74-jährig von Auftragskillern ermordet wurde. „Es ist ein Stück gegen das Vergessen“, sagt Lerchenberg-Thöny. „Ich wollte schon in meinen frühen Arbeiten immer vor allem ‚etwas bewegen‘. Und mir wird plötzlich bewusst, dass sich die journalistische Periode jetzt fürs Choreografieren positiv auszahlt.“ Gesellschaftskritisch grundiert ist auch ihre Version von „Romeo und Julia“, die am 17. März 2007 am Theater Coburg zur Premiere kommt. Es geht mir um das Scheitern der Liebe an starren Machtstrukturen, ob sie nun religiöser oder politischer Natur sind.“ Das Coburger Tanz-Ensemble hat nur sechs Mitglieder. Aber Intendant Dieter Gackstetter, in den 70er-Jahren Ballettchef an der Bayerischen Staatsoper, hat immer noch eine Liebe für den Tanz und sorgt für zusätzliche Gasttänzer. Und schließlich ist da noch das für Mitte 2007 anvisierte Münchner Projekt „Tod am Nachmittag“ über das letzte lebensgierige Aufbäumen eines in die Verzweiflung der Arbeitslosigkeit gestürzten älteren Schauspieler-Ehepaares kurz vor dem Suizid. Nicht schon wieder GiselleWenn sie für dieses Selbstmord-Duo noch einmal ins Tanzkleid schlüpft, mit Dinko Bogdanic als Partner, dann hat das auch eine nostalgische Komponente. Beide gehörten dem Ballett der Bayerischen Staatsoper an, vor Konstanze Vernons Umstrukturierung zum opernunabhängigen Staatsballett. Für die Ende der 70er-Jahre frisch von der Münchner Hochschule für Musik/Abteilung Ballett diplomierte Lerchenberg-Thöny war es das erste Engagement – ein Glück eigentlich, gleich in einem solchen renommierten Ensemble tanzen zu können. Aber nach drei Spielzeiten nagt es an ihr: „Nein, nicht schon wieder ,Giselle‘ proben.“ Der Modern Dance, erkennt sie, ist ihre Bestimmung. Und ihr hoch gewachsener schlank-biegsamer Körper erweist sich in der Folge auch als wunderbares Instrument für den weichen Fluss des modernen Tanzes. Eva Thöny kündigt, holt sich in London und Paris noch fehlende Kenntnisse, tanzt anschließend bei der modern ausgerichteten Krisztina Horváth am Theater Osnabrück und Freiburg – um sich dann risikobereit als Choreografin auf die freie Wildbahn zu wagen. Genau da knüpft sie nun wieder an, furchtlos. Sie hat ja gelernt, Spielstätten zu suchen, Gastspiele zu organisieren, die Werbung selbst zu machen, Training und Proben für ihre Tänzer zu geben – also sich rundum durchzusetzen. Nicht von ungefähr also, dass die Ballettakademie in Kairo sie gleich dabehalten wollte, anlässlich ihrer „Woyzeck“-Version, die sie, stürmisch gefeiert, mit Tänzern der Staatsoper Kairo herausbrachte. Will sie jetzt noch einmal die ganze Last einer freien Compagnie-Chefin schultern? „Ich sehe mich eher am Theater“, gibt sie zu. „Die freie zeitgenössische Szene mit ihren Experimenten ist schon wichtig für die Entwicklung des Tanzes. Aber sie spricht ein Spezialpublikum an. Manche Stücke werden nur zwei-, dreimal gespielt. Im Theater muss man 20 Vorstellungen voll kriegen, muss mit dem Publikum kommunizieren. Und genau das will ich. Tanz ist für mich immer Ausdruck einer Emotion, geht von Bauch zu Bauch. Ich kann problematische Themen ansprechen, die vom Zuschauer unmittelbar angenommen werden, weil der Intellekt gar nicht dazu kommt, abzuwehren.“ Eva-Maria Lerchenberg-Thöny hat sich gerade wieder als Tanzchefin beworben. Man drückt ihr die Daumen. Malve Gradinger |
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