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Berichte

Ein archaisches Matriarchat

Robert Carsens legendäre „Kátja Kabanová“ in Köln · Von Christian Tepe

Es gibt in dieser düsteren Opernballade mit ihrer rastlos vorwärtsdrängenden Handlung, ihrem opaken Schicksalston einen seltsamen Fremdkörper, der den dramatischen Fluss störend aufhält. In seinem sarkastischen Tonfall steht dieser Einschub im äußersten Kontrast zu dem Ernst, zu der Hingabe und Liebe, mit der Janáceks Musik die Titelheldin auf ihrem Weg bis zum Freitod in den eisigen Fluten der Wolga umfängt und umschmeichelt, ja im Sinne einer Metaphysik der Oper verteidigt und errettet. Gemeint ist die Szene des erotischen Stelldicheins von Dikoj und der Kabanicha, beide Angehörige der herrschenden Kaufmannsklasse und Exponenten einer repressiven Sozialordnung. Die masochistisch getönte sexuelle Appetenz des alten Dikoj und die sich anbahnende „Liebesszene“ unterlegt Janácek mit einer rätselhaft erfindungsarmen, teilnahmslosen Musik.

 
Kátja Kabanová in Köln, Ensemble. Foto: Klaus Lefebvre
 

Kátja Kabanová in Köln, Ensemble. Foto: Klaus Lefebvre

 

Zum großen Verdruss des Komponisten hat man diesen Auftritt häufig gestrichen, so auch seinerzeit bei der sonst verdienstvollen deutschen Erstaufführung in Köln. Überhaupt hadern viele Inszenierungen mit der Kabanicha, der bösen Schwiegermutter, die oft zu einer keifenden Karikatur verzeichnet wird.

Wie sich bei einer adäquaten Besetzung dieser Figur gleich das ganze Stück drehen lässt, zeigt auf fast erschreckende Weise die überragende Doris Soffel in der aktuellen Kölner Produktion. Wenn ihre Kabanicha am Ende der besagten Szene das auf Selbsterniedrigung zielende Werben Dikojs endlich erhört, geschieht dies mit den degoutanten Wonnen eines sadistischen Triumphs. Der sexuelle Gestus steht hier nicht für sich selbst, auch geht es nur vordergründig darum, die Doppelmoral der Kaufleute zu entlarven. Diese Sexualität der Kabanicha ist vielmehr ein entsetzliches Symbol, eine Fratze für die Erbarmungslosigkeit eines der Gesellschaft vorgelagerten archaischen Matriarchats. Dessen monströser Anspruch auf unbedingte Unterwerfung wird gerade vom zartfühlenden Naturell Kátjas herausgefordert. Ohne zu outrieren findet Doris Soffel für die Kabanicha auch vokal die harten, schneidenden Akzente. Dagegen fällt Rebecca Nash in der Titelpartie trotz der leuchtenden Höhe ihres ausdrucksreichen Soprans deutlich ab. Ihr fehlt als Person das slawisch Weiche. Sie ist darstellerisch einfach nicht die Kátja, von der Janácek schreibt: „Die Hauptperson ist eine Frau von so sanftem Gemüt, dass eine leichte Brise sie schon davonwehen würde, geschweige denn der Sturm und das Gewitter, das über sie hereinbricht.“

Über Robert Carsens bereits 2004 für die Antwerpener Oper entstandene, berühmte Inszenierung sind zu Recht schon manche Elogen geschrieben worden. Hier nur so viel dazu: Ist es prinzipiell problematisch, wenn große Bühnen wie zum Beispiel Hamburg oder Wien den Reiz ihres ohnehin schon mageren Premierenangebots mit Zweit- und Drittverwertungen nochmals reduzieren, so hat Köln mit der Übernahme dieser Produktion, einem Meilenstein in der Inszenierungsgeschichte des Werkes, richtig gehandelt. Interessanterweise kann man hier aber auch beobachten, wie schnell so eine Jahrhunderttat beginnt „historisch“ zu werden, ohne dabei etwas von ihrem künstlerischen Wert einzubüßen. Es ist immer noch sehr poetisch, sehr sinnlich und vor allem zutiefst abgründig, wie auf der vollständig unter Wasser gesetzten Bühne die weißgewandeten, langhaarigen Vorgängerinnen Kátjas auf ihre Schicksals- und Leidensgefährtin warten. Doch steckt darin auch etwas von einem für das jüngst vergangene Fin de Siècle typischen genießerischen Ästhetizismus, bei dem einem Zweifel kommen, ob nicht die Lust an den stimmungsvollen Bildern die ethische Dimension dieser Frauentragödie zu sehr verdrängt.

Ähnliches lässt sich über die musikalische Seite des Abends sagen. Markus Stenz und dem Gürzenich-Orchester kommt das Verdienst zu, die Genialität von Janáceks Instrumentationskunst auf unnachahmliche Weise transparent gemacht zu haben. Überall entdeckt Stenz neue überraschende Details, lässt er das Orchester in einem schier unerschöpflichen Farbenspiel wie die unergründliche Wolga schimmern. Aber manchmal vermisst man den Schmerzensklang, die dramatischen Zuspitzungen, das Obsessive dieser Musik: ein in aller Schönheit etwas zu abgeklärter, emotional distanzierter Janácek. Sorgsam bewältigt der Chor seine überschaubaren Aufgaben mit den kleinen textlosen Einsätzen. Nur ganz am Ende ist die Mischung mit dem Orchester vielleicht noch optimierbar; das klang eher diffus-verschwommen als geheimnisvoll.

Christian Tepe

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