Christof Loy hat, daran kann auch im weiteren Verlauf seiner bemerkenswert zeitlosen Inszenierung kein Zweifel bestehen, Hans Werner Henzes Euripides-Adaption „Die Bassariden“ zu weiten Teilen als Choroper inszeniert. Die Bewohner Thebens bevölkern nicht einfach die Szenerie im Sinne dekorativer Tableaus, sie sind zentraler Bezugspunkt der Handlung, ihr Motor, ihr Subjekt. Das wenige, das Johannes Leiacker an Bühnenbild anbietet – ein großes weißes Tuch beherrscht in der Mitte die ansonsten kahle Bühne –, wird erst durch die Anwesenheit des immer wieder in fein strukturierte Einzelgruppen sich aufteilenden, also nicht als anonyme Masse verstandenen Volkes zu einem Raum. Den darin agierenden Antagonisten wächst allein durch seine Präsenz eine Identität zu: Pentheus als dessen König, Dionysos als die im Lauf des Stücks immer rückhaltloser anerkannte Gottheit. Die Musik gibt Loy Recht, denn Henzes Regieanweisung für eine Szene zu Beginn des ersten Satzes der in symphonische Vierteiligkeit gegliederten Oper kann auf viele weitere Passagen übertragen werden: Der „Gesang der Bassariden“ bildet den „Hintergrund“, eine klangliche Grundsubstanz, von dem sich die Solopartien kontrastierend (Pentheus) oder korrespondierend (Dionysos) abheben. Den vielfältigen Anforderungen, von der üppigen Expansion in dynamische Grenzbereiche über schroffe rhythmische Deklamation bis zu betörenden Piano-Flächen war der Staatsopernchor in der Einstudierung Andrés Másperos glänzend gewachsen. Dieser musikalischen Leistung, der die intensive szenische Umsetzung von Loys Konzept in nichts nachstand, verdankte der Abend zu einem erheblichen Teil seine Eindringlichkeit. Marc Albrecht koordinierte alles vom Pult des fabelhaften Staatsorchesters aus souverän und hielt die betörend zwischen tonal angereicherter Zwölftönigkeit und aufgerauter Postromantik changierende Partitur immer unter Spannung. Kaum minder bezwingend die solistischen Leistungen: Die kompetent besetzten Nebenrollen (Sami Luttinen als Kadmos, Christian Rieger als Hauptmann und Eir Inderhaug als Autonoe) wurden überstrahlt vom prägnant charakterisierenden Reiner Goldberg als Teiresias-Tunte und Hanna Schwarz als berührend altersloser Amme Beroe. Michael Volle verströmte als Pentheus machtvolle, nach und nach von Zweifeln und Ängsten erschütterte Autorität, Nikolai Schukoff war als zeitweise mikrofonierter Werbesänger in eigener Sache ein verführerischer, in letzter Konsequenz aber vielleicht nicht genügend bedrohlicher Dionysos. Gabriele Schnaut verwandelte Agaues anfängliches Keifen nach und nach in kontrolliertere Ausdrucksbereiche. Aus dem erstmals seit Henzes Streichung nach der Uraufführung 1967 wieder aufgeführten Kalliope-Intermezzo (erfrischend überdreht und doch länglich) ging sie stimmlich gestärkt hervor. Mit der Katharsis im vierten Satz – den blutenden Kopf ihres Sohnes zieht sie unter dem wie von Schwangerschaft gewölbten Kleid hervor – gestaltete sie einen erschütternden theatralischen Moment. Dies ist eines der wenigen Ausrufezeichen, die Christof Loy in seiner bewusst zurückgenommenen, auf die Klarheit der Personenkonstellationen konzentrierten Deutung setzt. Auch für das orgiastische Potenzial, das die Hinwendung der Thebaner zum Dionysos-Kult nahegelegt hätte, findet er ein schlüssiges Bild ohne grellen Effekt: Nicht als frivole Anwandlung, sondern besonnen, ihre körperliche Würde wahrend, entledigen sich Viele ihrer Kleider und tragen sie wie eine Opfergabe vor sich her. Und würdevoll tritt der Chor auch ab, sich selbst hinter dem weißen Vorhang auslöschend. Doch sein Gesang verstummt nicht; beklommen, mit einem Rest Skepsis über den Triumph horcht Dionysos dem Nachhall. Juan Martin Koch
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