Wenn man die Texte liest, könnten sie – abgesehen von der expressionistischen Diktion der beiden frühen Werke – heute geschrieben sein. Vor allem aber die mit seismographischem Gespür geschaffene Musik zwingt zur unmittelbaren Anteilnahme. Die Geschehnisse in „Erwartung“ und in „Die glückliche Hand“ lassen verstehen, wie sie Schönberg zur Aufgabe tonaler Beziehungen drängten. Das musikalische Geschehen kann zu derartigen Vorgängen am Ende nur ins Leere laufen. Anders sieht das in der Oper „Von heute auf morgen“ aus, die der Komponist in einem Brief als „heiter bis lustig, manchmal sogar komisch“ bezeichnete. Die hier angewendete Zwölftontechnik birgt kompositorische Strenge in sich, die eine sozusagen federleichte Wiedergabe verlangt. Dem trauten der Regisseur dieses Stückes, Immo Karaman, und sein Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer nicht recht. Damit es heiter, lustig, ja komisch werden soll, lassen beide die gesamte Wohnungsausstattung des streitenden Ehepaares einschließlich Kühlschrank, Waschmaschine und Badewanne wie auch Beleuchtung wiederholt vorüberfahren und am Schluss zu einem Gerümpelberg auftürmen. Nicht wenige Theaterbesucher freuen sich vor allem darüber. Weil Wortverständlichkeit unbedingt notwendig, aber nicht leicht ist, wird der gesamte Text eingeblendet. So sind Auge und Ohr und dazu noch Verstand gleichzeitig gefordert. Hendrikje Wangemann als Frau würde auch bei weniger „Möbelrücken“ szenisch-musikalische Lebendigkeit erreichen. Sie setzt dem Mann gehörig zu und Wolfgang Newerla hat da vor allem zu reagieren. Was der Freundin abgefordert wird, bietet Susanna Andersson beweglich. Timothy Fallon als deren Partner darf den eitlen, etwas einfältigen Tenor spielen. Schon hier entsteht eine Diskrepanz zwischen Regie und Musik. Dem für „Die glückliche Hand“ verpflichteten, in Venezuela aufgewachsenen Regisseur Carlos Wagner fehlt jedes Gespür für die Vorgänge und die Musik in „Die glückliche Hand“. Er betrachtet das Ganze im Gegensatz zu Schönberg als bloßes Spiel. Der Mann schwebt im Raumfahreranzug herab und findet sich bald auf einem Fußballplatz, auf dem sich sechs Fußballer (Mitglieder der Kampfsportgruppe der Universitäts-Sportwissenschaft) in sachsen-grünweißer Kleidung (Bühneneinrichtung und Kostüme Daphne Kitschen) tummeln. Offensichtlich wollten der Regisseur und die Ausstatterin in diesem bedrohlich ernsten Stück den Zuschauern auch einigen Spaß bereiten. Da hat es Matteo de Monti als ernsthaft agierender und eindringlich singender Mann ohne Namen schwer. Die enormen gesangstechnischen Anforderungen an den das Stück eröffnenden und beschließenden (unsichtbaren) Chor bewältigen die von Stefan Bilz vorbereitete Mitglieder des Opernchores souverän. Zu welchen Leistungen der Leipziger Opernchor insgesamt fähig ist, hatte er ja schon 1994 in Schönbergs „Moses und Aron“ bewiesen. Den Höhepunkt des Abends schafft Deborah Polaski als Frau in „Erwartung“. Zunächst minutenlang an einem Tisch sitzend, dann stehend, erfüllt sie Wort und Musik mit bezwingender, tief bewegender Ausdruckskraft. Hier vertraut die Regisseurin der Musik und deren Interpretin. Allerdings versetzt Sandra Leupold die Sängerin im Gegensatz zur farbenreichen Musik, die wie jene zu „Die glückliche Hand“ eine differenzierte Ausleuchtung düsterer szenischer Vorgänge verlangt, in einen weiß getünchten, grell ausgeleuchteten Raum. In keinem der drei Stücke führen die Abweichungen von den Vorgaben der Partituren zu vertieften Einsichten – im Gegenteil. Stets auf der Höhe der Aufgaben stehen das Gewandhausorchester und der Dirigent Axel Kober. Vor allem in „Die glückliche Hand“ und „Erwartung“ erschließt Kober mit den beweglich reagierenden Musikern das feingliedrige, farbenreiche und auch in zarten Abschnitten ausdrucksdichte Geschehen eindringlich und nachhaltig. Da wird kaum spürbar, welche enormen Anforderungen die Musik Schönbergs an die Interpreten stellt. Werner Wolf
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