Finanziell über die Runden kommt sie, zunächst ohne Subventionen, allerdings nur mit absoluten Spar- oder Null-Budgets: „Die geringen Einnahmen durch Kartenverkäufe habe ich mit meinen Tänzern geteilt. Aber an Geld denkt man am Anfang gar nicht. Man lebt ja auch eher noch wie ein Student, ganz anspruchslos. Man hat einfach unheimlich viel Spaß an allem und nimmt jeden Job enthusiastisch an.“ Einmal tanzt sie fast gleichzeitig in vier Produktionen. Während Holters Stücke nach und nach ausgefeilter werden, sie Unterstützung erhält vom Bayerischen Landesverband für zeitgenössischen Tanz (BLZT), ab 2004 auch von der Schwedischen Botschaft in Berlin und ab 2005 jährlich von der Stadt München (für „Kitchen“ waren es 25.000 Euro), ist sie aber weiterhin zwei-, wenn nicht mehrgleisig aktiv: seit fünf Jahren unterrichtet sie regelmäßig Schauspielstudenten im „Theater Raum München“ in der Disziplin „Körpertraining“. Zwischendurch ist sie als Dozentin Fachbereich Theaterwissenschaft an der LMU eingeladen. 2005 organisiert sie selbst in München einen schwedischen Tanzabend. 2006 hat sie in einem Spielfilm („Blöde Mütze“) eine Sprechrolle und diese Saison eine Tanzrolle in einer Inszenierung von Johannes Schmid für das Bayerische Staatsschauspiel im Marstall. Außerdem tanzt sie im Bewegungs-Chor der Bayerischen Staatsoper in den mehrjährig laufenden Produktionen „Ariodante“ und „Die Meistersinger“ und geht auch mit auf Japan-Tournee. Letzthin hat sie in Konstanz für eine „Prozess“-Inszenierung von Johannes Schmid die Choreografie gemacht, gerade jetzt im März auch für das neue Stück „Das Zimmer der verlorenen Bedeutung“ der Gruppe Bairishe Geisha. Existenz auf SparflammeDas sieht nach vielen Aufträgen aus. Die verteilen sich aber über lange Zeitstrecken. Und ob sie für Miete und Essen reichen? Auf Nachfrage, wieviel sie denn für ihre Auftritte in der Oper bekomme, hält sie sich aus Vorsicht bedeckt. In Schweden wäre es kein Problem, dort muss jeder Bürger seine Steuererklärung öffentlich machen. Bei uns ist sogar das Reden über Gehälter und Gagen ein Tabu. Aber man kann sich ausrechnen, dass jedes ihrer diversen Kurz-Engagements nur ein paar grüne Scheine bringt. „Ich zeichne auch“, sagt sie und zeigt einen Kalender mit grazil-hübschen tanzenden Comic-Figuren. „So kommt dann auch nochmal eine kleine Summe rein.“ Irgendwie hangelt sich Anna Holter durch, wie hunderte anderer Kollegen, ist sich aber der schlechten Ausgangsposition sehr wohl bewusst: „Bei Schauspielern und Sängern laufen die Engagements über Agenturen oder private Agenten. Die kennen die Minimum-Tarife. Tänzer haben nicht gelernt zu verhandeln. Und wenn sie in einer freien Compagnie mitmachen, wissen sie von vorneherein, dass sie nicht viel verlangen können. Letztlich sind sie froh, überhaupt irgendwo tanzen zu können.“ Über diesen Punkt ist die gescheite junge Schwedin, inzwischen Chefin von „Holter + Company“, hinaus. Sie erkennt vor allem auch die künstlerische Bereicherung einer solchen mosaikhaften Laufbahn: Bei einer Show auf einer Handwerks- oder Mode-Messe kriegt man ein Gefühl für synchron-präzises Tanzen und Effekte. Als Mitglied in einem Opern-Bewegungschor lernt man etwas über den großen Theaterapparat mit Dekor, Kostümen und Licht. Am Theater Basel tanzt Holter in Amir Hosseinpours Choreografie für Rameaus Opéra-Ballet „Les Paladins“. Daraufhin holt er sie als Assistentin nach Stockholm für seine Choreografie in Rameaus „Zoroastre“. Eine wichtige Erfahrung für sie: „Meine Company besteht ja nur aus sechs bis acht Tänzern. An der Oper habe ich gelernt, die Kontrolle über sehr viele Mitwirkende zu behalten.“ Zu ihrer eigengeprägten künstlerischen Linie hat Anna Holter wohl in der Arbeit mit der britischen Tanzpionierin Rosemary Butcher gefunden. Bei ihr hat sie gelernt, wie man von einer Grundidee über gemeinsame Improvisationen mit den Tänzern allmählich, vom Instinkt geleitet, zu einem persönlichen choreografischen Ergebnis gelangt. Malve Gradinger |
||||||||||||||||||||||||||
|
|