Durch den Luftstrom aus der Lunge entsteht während der Phonation eine Wellenbewegung der Stimmlippenkante: Trifft der Luftstrom auf die geschlossenen Stimmlippen (Abbildung 1a), werden diese auseinandergedrückt (Abbildung 1b). Der passierende Luftstrom hat aber nicht nur die Kraft, die Stimmlippen zu trennen, sondern auch die, die Stimmlippen wieder zusammenzuführen. Dies geschieht aufgrund derselben Strömungsgesetze, die uns verbieten, bei einem einfahrenden Zug zu nah an der Bahnsteigkante zu stehen, da wir vom Luftstrom angesogen und dabei mehr als unsere Stimme verlieren würden. Sind die Stimmlippen dann wieder geschlossen, besteht dieser Sog nicht mehr und der Luftstrom führt wieder zu einem Auseinanderweichen der Stimmlippen.
Im medizinischen Sinne ist das „Stimmband“ (Ligamentum vocale) nur ein Teil dessen, was meist damit bezeichnet werden soll. Es ist – wie die anderen Bänder des menschlichen Körpers auch – ein faserartiger Bindegewebsstrang; die Stimmlippe in ihrer Gesamtheit besteht aber zusätzlich zum Stimmband aus dem Stimmlippenmuskel (Musculus vocalis) sowie aus einer Schleimhautoberfläche und darunterliegendem Bindegewebe. Der mehrschichtige Aufbau der Stimmlippe mit den gut beweglichen, weichen Schichten von Schleimhaut und Bindegewebe und den weniger gut beweglichen, härteren Schichten des Stimmbandes und Stimmmuskels führt durch die unterschiedlichen Elastizitäten beziehungsweise Steifheiten dazu, dass aus dem Auseinanderweichen und Annähern der Stimmlippen durch den Luftstrom eine charakteristische Wellenbewegung resultiert. Die Frequenz dieser Wellenbewegung ist abhängig vom Spannungszustand der Stimmlippen und entscheidet über die Frequenz des erzeugten Tones. Stark gespannte Stimmlippen erzeugen einen hohen, wenig gespannte Stimmlippen einen tiefen Ton. Die Schwingung ist zusammenfassend ein Ergebnis des subglottischen (= unterhalb der Stimmritze) Anblasedrucks und dem Verhältnis zwischen Masse, Spannung und Länge der Stimmlippen. Laryngoskopie und mehrDiese Zusammenhänge verdeutlichen, dass bei Veränderungen des Stimmklangs eine Untersuchung der Stimmlippenschwingung auf mögliche Unregelmäßigkeiten unentbehrlich ist. Eine einfache Kehlkopfspiegelung (Laryngoskopie) reicht zwar aus, organische Veränderungen der Stimmlippen zu entdecken, sie kann aber keine Auskunft über das Schwingungsverhalten geben, das im Übrigen auch ohne sichtbare organische Veränderungen gestört sein kann. Da die hochfrequente Schwingung für das menschliche Auge nicht sichtbar ist, muss hierfür entweder die Schwingung „verlangsamt“ werden oder ein zeitlich hochauflösendes Verfahren eingesetzt werden. Für die „Verlangsamung“ steht die Methode der Laryngostroboskopie zur Verfügung: Während der Kehlkopfspiegelung misst ein Mikrofon die Frequenz des erzeugten Tons. Das Stroboskop erzeugt nun frequenzspezifische Lichtblitze, die bei aufeinander folgenden Schwingungsabläufen jeweils nur einen kurzen Teil belichten. Werden diese Einzelbilder hintereinander abgespielt, zeigt sich für den Betrachter ein kontinuierlicher Schwingungsablauf, quasi in „Zeitlupe“. Da die Bilder aus verschiedenen Schwingungsperioden stammen, dürfen die aufeinander folgenden Schwingungsperioden jedoch nicht stark voneinander abweichen. Die Durchführung einer Laryngostroboskopie kann auf zwei Arten erfolgen: mittels eines starren Endoskops durch den Mund oder eines flexiblen Endoskops durch die Nase. Während die Untersuchung durch den Mund den Vorteil einer besseren optischen Auflösung beziehungsweise höheren Vergrößerung hat und im Normalfall einer kürzeren Vorbereitungszeit bedarf, bestehen die Vorteile der flexiblen Endoskopie in einem geringeren Würgereiz und einer physiologischeren Stimmproduktion während der Untersuchung. HochgeschwindigkeitskamerasUm den tatsächlichen Schwingungsablauf sichtbar zu machen, bedarf es wie oben erwähnt eines Systems, welches ausreichend viele Bilder in kurzer Zeit aufnehmen kann. Hierfür stehen digitale Hochgeschwindigkeitskameras zur Verfügung, die etwa 4.000 Bilder in der Sekunde aufnehmen können. Die dabei anfallende gewaltige Bild- beziehungsweise Datenmenge limitiert jedoch im klinischen Alltag die Dauer einer Aufnahme. Ein wichtiger Aspekt für den Arzt wie für den Patienten bei der endoskopischen Untersuchung bedarf besonderer Erwähnung: Die Stimmproduktion während einer Laryngostroboskopie, insbesondere bei einer starren Endoskopie, bei der die Zunge herausgestreckt und festgehalten wird, unterscheidet sich von der Stimmproduktion während des „normalen“ Singens. Dem wird jeder Sänger, der bereits irgendwann eine solche Untersuchung hat durchführen lassen, zustimmen. Nun muss man diese Tatsache aber auf der anderen Seite auch bei der Interpretation des Befundes berücksichtigen, was besonders dem Sänger schwerfällt, der seinem „Instrument“ ja in der Regel nur selten bei der Arbeit zusehen kann und jede Schwingungsunregelmäßigkeit oder Spaltbildung mit Argwohn oder sogar Bestürzung zur Kenntnis nimmt. Die Laryngostroboskopie ist zwar ein wichtiger, aber trotzdem nur ein Teil der Untersuchung und bedarf der Interpretation und Erläuterung durch den erfahrenen Phoniater/Stimmarzt in Zusammenschau mit anderen Untersuchungsergebnissen wie der funktionellen Stimmuntersuchung, bei der die Stimm- und Atemfunktionen beim Sprechen und Singen überprüft werden. Organisch versus funktionellStimmstörungen können mit oder ohne sichtbare Veränderung an den an der Stimmbildung beteiligten Organen auftreten (organische versus funktionelle Stimmstörungen). Hierbei muss das „sichtbar“ betont werden, da zum Beispiel bereits kleine strukturelle und für das Auge nicht sichtbare Veränderungen der Stimmlippen Schwingungs- und somit Stimmklangänderungen verursachen können. Ebenso gilt auch hier der Grundsatz, dass die Funktion die Form bedingt und umgekehrt. So kann zum Beispiel eine dauerhafte Fehlbelastung der Kehlkopfmuskulatur durchaus zu morphologischen Veränderungen wie den gefürchteten Phonationsverdickungen (Stimmlippenknötchen) führen. Durch das fein aufeinander eingespielte Miteinander von Lunge und Atemwegen, Stimmlippen und Ansatzrohr, zentralem und peripherem Nervensystem, Kehlkopf- und Gesamtmuskelspannung sowie akustischer und sensibler Wahrnehmung bei der Stimmproduktion ist die Zahl der „Störfaktoren“, die dieses Gleichgewicht durcheinanderbringen können, groß. Ein professioneller Sänger kann den ein oder anderen „Störfaktor“ sicherlich technisch kompensieren, problematisch wird es erfahrungsgemäß aber dann, wenn dieser längere Zeit oder in einer zu starken Ausprägung auftritt oder mehrere Faktoren zusammentreffen. In diesem Fall hat es sich bewährt, frühzeitig gemeinsam mit dem Arzt nach den Ursachen zu suchen, da aus einer Kompensation auch rasch eine Fehlkompensation und ein zusätzliches Problem werden kann. Ein Beispiel aus dem klinischen Alltag ist der vermehrte Krafteinsatz der Kehlkopfmuskulatur (Hyperfunktion) zum Ausgleich einer bronchialen Einschränkung (mit einem reduzierten subglottischen Druck), zum Beispiel durch eine allergisch bedingte chronische Bronchitis. Eine dauerhafte Hyperfunktion führt fast zwangsläufig zu einer Veränderung an den Stimmlippen, sei es durch die Entwicklung von Phonationsverdickungen, Wasseransammlungen (Ödemen), Gefäß- oder andere Veränderungen. UmgebungsdiagnostikEin wichtiger Bestandteil in der Stimmsprechstunde ist auch die „Umgebungsdiagnostik“, mit deren Beschreibung man problemlos ein eigenes Kapitel füllen könnte; an dieser Stelle seien nur einige wichtige Punkte erwähnt, die je nach Krankengeschichte und Befund abgeklärt werden sollten: Chronische Infekte der Nase oder der Nasennebenhöhlen können Infekt-Herde für wiederkehrende Kehlkopfinfektionen sein. Ein Magensäurereflux (= Rückfluss), der auch unbemerkt ohne das klassische Symptom „Sodbrennen“ bestehen kann, kann die Rachen- und Kehlkopfschleimhäute schädigen. Allein eine behinderte Nasenatmung und/oder ein Schnarchen können durch die unphysiologische Mundatmung zur Austrocknung der Stimmlippenschleimhaut führen. Und auch Allergien können indirekt über eine behinderte Nasenatmung oder direkt die Schleimhaut schädigen. Im weitesten Sinn gehören auch psychische Faktoren zur „Umgebungsdiagnostik“. Das „Instrument“ des Sängers ist wie in der Einleitung erwähnt in das „Wohl und Weh“ des gesamten Organismus eingebunden und es reicht beispielsweise für ein Vorsingen nicht, eine schöne Stimme zu besitzen – diese muss auch zum richtigen Zeitpunkt in Topform sein, die physische oder psychische Verfassung des Sängers interessiert das Auditorium dabei wenig. Die Stimme ist doch mehr als ein „Tongenerator“ für die Übermittlung verbal-semantischer Inhalte, sie ist zum Ausdruck von Emotionen prädisponiert (was auf der Bühne im besten Falle zum Erfolg, im schlechtesten Falle zu einem Stimmversagen führt). Auch wenn die psychischen und psychosomatischen Faktoren einer gestörten Sängerstimme an dieser Stelle nicht abschließend erläutert werden können, sind sie ein wesentlicher Teil in der Diagnostik von Stimmstörungen und sollten unbedingt gebührend und professionell Beachtung finden. Dirk Deuster
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