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Berichte

Potenzial nicht ausgeschöpft

Das Semperoper Ballett in der Gläsernen Manufaktur · Von Alexandra Karabelas

Site-Specific-Arbeiten, also die Platzierung vom Tanz an öffentlichen Orten, sind längst auch an großen Häusern en vogue. Was in der so genannten freien Szene jedoch oft dem zwingenden künstlerischen Impuls des Choreografen entspricht, nämlich einen spezifischen Platz oder ein Gebäude choreografisch zu beschreiben und auf diese Weise einer anderen Wahrnehmung zuzuführen, ist jetzt den Tänzerinnen und Tänzern des Semperoper Balletts in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen in Dresden nur unzureichend gelungen. Bis auf ein, zwei Ausnahmen setzten sich die diesjährigen „Jungen Choreografen“ weder substanziell mit der spezifischen Architektur des absolut reizvollen Ortes auseinander noch gingen sie auf die industriellen Themen und Vorgänge ein, die sich in dem Haus mitten in der sächsischen Landeshauptstadt alltäglich ereignen. Stattdessen dominierten kleine, zum Teil kitschige Miniaturen, die auf jeder kleinen Kammertheaterbühne besser aufgehoben gewesen wären. Hier aber entstand der Eindruck eines von beiden Protagonisten – Semperoper und VW – nur oberflächlich kuratierten und daher gönnerhaften Programms, das in keinem Verhältnis steht zu dem Potenzial eines solchen Projektes. Dass hier etwas nicht zusammenpasste, zeigte sich bereits im ersten Stück „Unreachable“, choreografiert von Duosi Zhu und Raquél Martinez. Gezeigt wurde ein kurzes Ballett auf Spitze, das alle Ingredienzien einer romantischen Interpretation beinhaltete: Tänzerinnen im Sarah-Kay-Look mit Schirmchen, eine Malerin, ein Jüngling, eine Bank, auf der man sich anschmachtete, Personen aus zwei verschiedenen Epochen, deren Schicksale irgendwie miteinander verschränkt waren. Die in jeder gläsernen Fassade spürbare Dynamik der Manufaktur ließ diese Inszenierung noch altmodischer erscheinen.

Ein Konzept für die Manufaktur geschaffen: „Real D” von Claudio Cangialosi mit Jon Vallejo,  Anna Merkulova und Ensemblemitgliedern. Foto: Ian Whalen

Ein Konzept für die Manufaktur geschaffen: „Real D” von Claudio Cangialosi mit Jon Vallejo, Anna Merkulova und Ensemblemitgliedern. Foto: Ian Whalen

Bedeutend stärker fügte sich der nachfolgende, schnörkellose Pas de deux von Claudio Cangialosi ein, geschaffen für Gina Scott und Saverio Pescucci, die die Kreation mit tiefer Empfindung füllten und auf diese Weise auf die klassische Schönheit, die Tanz haben kann, verwiesen. Yuki Ogasawara widmete sich einem zuweilen allzu ernst und schwer wirkenden Trio, in dem die Mutter- und Vaterfigur zu Reibeflächen bei der Selbstfindung einer jungen Frau werden. Mit Caroline Beachs „The Holding Light“ bevölkerte eine zunächst nicht nachvollziehbare, surreal wirkende, aber spannende Szenerie die Tanzfläche unter dem gläsernen Dach. Kanako Fukimoto im knappen Glitzerkleidchen stakt im Halbdunkel herum und sucht das Scheinwerferlicht. Daneben: Jossia Clement im Egon-Schiele-Look und Ian Whalen in Hosenträgern. Bis zum Schluss weiß man nicht genau, worum es hier geht. Zunächst bewegen sich die Tänzer in Stille, hantieren mit einem riesigen Scheinwerfer, bis sich explosiv-repetitiv wie ein anschwellender Bocksgesang Musik Bahn bricht und Clement und Whalen in einem langen Duett umeinander ringen. Aufgeladen die Spannung nach diesem sich einer Bedeutung so konsequent entziehenden Stück Tanz. Im nächsten Solo von Johannes Schmidt („Ich das Neue, Du das Dunkel“) gelingt es Cindy Hammer, die Spannung durch ihre Physis, durch eine gewisse Härte in der Ausstrahlung und eine konsequent reduzierte Getriebenheit zum Ausdruck bringende Bewegungssprache zu halten. Weit außerhalb des Blickwinkels der Zuschauer beginnend, arbeitet sie sich durch das große Foyer der Manufaktur vor, bis sie sich – allein auf der Tanzfläche – vor einer übedimensionalen Projektion auf die Kuppelwand des Besucherpavillon dem Moment hingibt. Als Referenz an die Dichte und Produktivität der Künstlerinnen und Künstler des Expressionismus um die Jahrhundertwende in Dresden kann „Zeitgeist“ von Zarina Stahnke gelesen werden. Altertümlich große runde, aber auch bestechend faszinierende Bewegungen kennzeichnen diesen Pas de Quatre, den vier Tänzerinnen, wie einem Bild von Matisse entsprungen, vor den Augen der Zuschauer zelebrieren. Als Symbol dient ein großes weißes Plakat, das eine von ihnen mit Zeichen bemalt. Bleibt zuletzt „Real D“, wiederum von Claudio Cangialosi. Er allein legte ein Konzept vor, das Ort, Architektur und Aura der Gläsernen Manufaktur gerecht zu werden versuchte – ein getanzter Film, in dem mit verschiedenen Projektionen auf Flächen im Foyer und parallel vorweg oder nachgetanzten Szenen eine wilde Verfolgungsjagd inklusive Verschwörerthematiken à la James Bond mitreißend inszeniert wurden. Alles in allem: ein nachdenkenswerter Versuch für beide Akteure, VW und das Ballett der Semperoper, sich des ungewöhnlichen Aufführungsorts zu bemächtigen.

Alexandra Karabelas


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