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Kulturpolitik

Ein ungleiches Paar

Die Oper, das Musiktheater und andere Formate · Von Marco Frei

Vielleicht hatte Peter Ruzicka nicht Unrecht, als er im vergangenen Herbst von „Tendenzen der Restauration“ zu berichten wusste, die er im neuen Musiktheater ausmache. Damit meinte der Noch-Leiter der Münchener Biennale für neues Musikthe-ater nicht die Schöpfer selber, sondern Teile der Öffentlichkeit. Tatsächlich wird mehr oder weniger lebhaft diskutiert, was Oper und Musiktheater seien und was sie auszeichnen sollte – nichtnarrativ oder narrativ, abstrakt oder linear erzählt, zuvörderst szenisch oder musikalisch. Ist die Musik autonom, oder soll sie in diesem Genre dem Theater und der Bühne dienen?

Konzept der Postmoderne

Salzburg 1995: Probenarbeit zu Nonos „Prometeo“ mit hohem technischen Aufwand. Foto: Charlotte Oswald

Salzburg 1995: Probenarbeit zu Nonos „Prometeo“ mit hohem technischen Aufwand. Foto: Charlotte Oswald

Diese Diskussion kommt nicht aus dem Nichts heraus, sondern speist sich aus der Münchener Biennale für neues Musiktheater selber – nämlich aus der Kritik an ihrer Leitung unter Ruzicka. Zweifellos fällt auf, dass gegenwärtig gemeinhin das betont Nichtnarrative, dass abstrakte Schöpfungen überwiegen – gerade auch bei der 1988 von Hans Werner Henze gegründeten Münchener Biennale, die seit 1996 von Peter Ruzicka geprägt wird. Ruzicka, der dem abstrakteren Experiment nicht abhold ist, postuliert das Konzept einer Postmoderne. Man mag das kritisieren – nicht wenige Produktionen der Münchener Biennale der vergangenen Jahre zeichneten sich tatsächlich vor allem durch einen ausgeprägten Schnarchfaktor aus.

Allerdings muss Musiktheater eben nicht einer linear erzählten Handlung folgen oder gar der Szene hinterherhecheln. Und die Musik muss sich ebensowenig der Bühne unterwerfen. Wollte man ernst machen mit einer solchen Auffassung, wäre dies nichts anderes als ein gravierendes Missverständnis, das das Musiktheater als das wohl vielfältigste aller Kunstgenres fahrlässig und grob verkürzen würde. Das Problem beginnt bei den Begrifflichkeiten: Gerne wird das Musiktheater mit der Oper gleichgesetzt, als Synonym sozusagen, obwohl schon ein rascher Blick in die zentralen Nachschlagewerke eines Besseren belehrt. Denn es ist gar nicht so leicht und klar zu benennen, wie die Begriffe zu definieren sind.

Im weiten Sinn steht der Begriff „Opera“ für Werke, „die mit begleitetem Gesang eine Handlung auf der Bühne“ darstellten, heißt es etwa in der Enzyklopädie „Musik in Geschichte und Gegenwart“ (MGG). Was aber die verschiedenen Operngattungen sowie ihre Sonderformen und Randerscheinungen zusammenhalte und wie dies wiederum zu definieren sei, das sei ein weites Feld, wird sodann relativiert. Das gelte nicht zuletzt für Kreationen aus dem außereuropäischen Raum. Hier knüpft das Musiktheater an, das sich als Sammelbegriff besser eignet, den vielfältigen Entwicklungen sowohl in der europäischen Bühnentradition als auch im außereuropäischen Raum Rechnung zu tragen – weil er kulturell und künstlerisch weiter und neutraler gefasst ist.

Begriffsvielfalt

„Paukenschlag aus der Provinz“ titelte „Oper & Tanz“ im Jahr 2012, als Salvatore Sciarrinos Bühnenwerk „Luci mie traditrici“ am Niederbayerischen Landestheater Passau, Straubing und Landshut Premiere feierte: die erste bayerische Produktion dieses Werks, wie der Rezensent damals betonte. Foto: Peter Litvai

„Paukenschlag aus der Provinz“ titelte „Oper & Tanz“ im Jahr 2012, als Salvatore Sciarrinos Bühnenwerk „Luci mie traditrici“ am Niederbayerischen Landestheater Passau, Straubing und Landshut Premiere feierte: die erste bayerische Produktion dieses Werks, wie der Rezensent damals betonte. Foto: Peter Litvai

Als Dachbegriff für die verschiedensten Formen der Verbindung von Musik und Szene umfasse der Begriff Musiktheater sowohl die historischen Gattungen (Oper, Singspiel, Musikdrama, Melodrama, Operette, Musical, Ballett, außereuropäische Traditionen etc.) als auch die zeitgenössischeren (Happening, Performance, Multimedia, Instrumentales Theater, Visuelle Musik oder Funk-, Fernseh- und Filmoper etc.), wird in der MGG ausgeholt. Das Fazit lautet: Zwar ist jede Oper ein Musiktheater, aber nicht jedes Musiktheater ist eine Oper. Ergo muss Musiktheater auch nicht nach den Regeln der europäischen Opern- und Theatertradition funktionieren. Und schließlich: Neues Musiktheater ist nicht automatisch gleichzusetzen mit zeitgenössischer Oper.

Man kommt nicht umhin, eines klar zu erkennen: Regeln würden die Chance auf schöpferische Vielfalt und Freiheit vergeben und damit letztlich die ungeheuren kreativen Potenziale der Megagattung Musiktheater zertrümmern. Wer das Musiktheater einzig durch die Brille der europäischen Opern- und Theatertradition betrachtet, ignoriert die vielfältigen Entwicklungen seit dem Zweiten Weltkrieg und die außereuropäischen Traditionen. Und für den, der dies tut, ist es ganz einfach, Verdi, Wagner und Puccini als genuine Musikdramatiker zu bezeichnen – alle anderen gucken demnach in die Röhre. Doch schon hier beginnen die Probleme: Bereits auf Wagners Bühnenkonzept eines Gesamtkunstwerks lässt sich der traditionelle Opernbegriff nur schwer anwenden.

Neue Formen

In der MGG werden Wagners Werke mit der Notwendigkeit verbunden, letztlich auch neue Begrifflichkeiten zu finden – weil herkömmliche Regeln nicht mehr greifen konnten. Das Aufkommen des Begriffs Musiktheater ist in Europa letztlich auch eng mit Wagners Bühnenkreationen verknüpft. Und Luigi Nonos „Prometeo“ von 1981/85? Diese bedeutende Schöpfung will keine Oper sein, ja nicht einmal eine „Azione Scenica“, wie Nono seine früheren Bühnenwerke nannte, sondern eine „Tragödie des Hörens“ – mit allen Konsequenzen. In seinem „Hyperion“ von 1964, eine „Lyrik in Form eines Schauspiels“, lässt wiederum Bruno Maderna den Titelhelden wortlos von einem Soloflötisten gestalten („flauto-poeta“). Und die Reihe ließe sich mühelos fortsetzen.

Selbst das 1998 uraufgeführte Meisterwerk „Luci mie traditrici“ von Salvatore Sciarrino ist keineswegs problemlos als Oper zu bezeichnen, wie dies in der Partitur geschieht. Ja, das Sujet erinnert an Gesualdos Eifersuchtsmord, aber diese Handlung füllt allenfalls den Hintergrund aus – weil sie letztlich keine Rolle spielt. Was Sciarrinos „Luci mie traditrici“ so faszinierend macht, sind die psychischen Konstellationen zwischen den Figuren, die schonungslos freigelegt und geschärft werden – allerdings vor allem in der Musik. Was Wahn und Wirklichkeit ist, bleibt bis zum Schluss offen. Es ist einzig die stille, geräuschhafte Musik, die ausspricht, was im Grunde unausgesprochen bleibt, aber sie ist wortlos – zwar narrativ im klanglichen Ges-tus, jedoch nonverbal.

Rolle der Musik

Das dramaturgisch Innovative an Sciarrinos „Luci mie traditrici“ ist gerade das Erschaffen von Freiräumen zwischen dem Narrativen und Nichtnarrativen – Musik und Szene bedingen sich gegenseitig: Keine dieser Ebenen dient der anderen, sie hängen voneinander ab. Keineswegs unterwirft sich hier die Musik der Bühne, sie ist selber ein originärer, zentraler Teil von ihr – oder anders: Die Musik ist ihre notwendige Erweiterung als assoziativ-intuitiv wirkender Raum, sie wird quasi zu einer akustischen Hörbühne. So ist es nur konsequent, dass Sciarrino mit der Diskussion rund um die Begriffe Oper und Musiktheater nur wenig anfangen kann. „Das ist eine Frage der Etikette, und es sind starre Konzepte“, sagt er auf Nachfrage.

„Die Oper ist eine Gattung, die über Jahrhunderte gewachsen ist und vieles bedeutet.“ Das Musiktheater verbindet Sciarrino hingegen mit jüngeren Tendenzen, die jedoch „genauso limitiert“ seien. Der Begriff Musikthe ater sei ihm zu neutral, und die Diskussion um narratives und nichtnarratives Theater hält er für „ideologisch aufgeladen“ – auch wenn er für sich dezidiert nichtnarrative Haltungen strikt ablehnt. „Das Theater kann nichts anderes in sich tragen als das theatralisch Narrative. Das Theater lebt von der Darstellung, was eine Form des Narrativen ist. Wenn es das nicht hat, ist das Theater tot.“

Traum als Flucht?

Für Salvatore Sciarrino persönlich stellt sich indessen vor allem eine Frage: „Wollen wir uns mit der Realität beschäftigen oder träumen? Wer träumt, erzählt nicht und verfolgt die Reinheit einer absoluten Musik.“ Deswegen hat für Sciarrino die „Flucht ins Nichtnar-rative“ ihr Pendant in Ästhetiken, die einer Haltung des „l’art pour l’art“ folgen und die Realität aus der Musik verbannen möchten. Wie aber ein Bühnenwerk konkret zu sein hat, nach welchen Regeln es funktionieren sollte, dies hält Sciarrino für eine „unnütze, untaugliche Diskussion“ – weil sie letztlich nur „schematisch“ vorgehe. Und vielleicht gibt es doch eine Regel, der Beachtung geschenkt werden darf – dass nämlich das Musiktheater möglichst einnehmen und nicht langweilen sollte. Das gilt jedoch für jedes Kunstwerk, nicht nur für Opern und Musiktheater.

Marco Frei

 

 

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