Kraftsprühende
Wiederentdeckung
Hans Sommers »Rübezahl« am Theater Altenburg-Gera
Wieder punktet das Musiktheater Altenburg-Gera mit einer spannenden Entdeckung. Solche Ambitionen könnten bald vom Tisch sein, wenn (nach Abbau von 74 Orchesterstellen seit 1990) die weitere Abstufung auf 66 Musiker erfolgt! Kulturenthusiasten wehren sich mit einer Postkartenaktion an Aufsichtsrat Wolf und Staatsminister Hoff. Es geht um viel, viel mehr als den Erhalt dieser hochkulturellen Hoffnungsperle.
Die komplexe Partitur „Rübezahl“ des Mathematikers und Spätromantikers Hans Sommer (Uraufführung im Hoftheater Braunschweig am 15. Mai 1904) erfährt im Theater Gera eine kraftsprühende Wiedergabe. Ausschließlich das eigene Ensemble besetzt die komplexen Parts und erhält deshalb erst recht rauschenden Beifall.
Magnus Piontek als Rübezahl, Hans-Georg Priese als Wido. Foto: Sabina Sabovic
Der Textdichter Eberhard König und Hans Sommer machten die Quelle aus dem bereits für „Freischütz“ und „Black Rider“ genutzten „Gespensterbuch“ von August Apel und Friedrich Laun zum Diskurs über Kunst und Leben: Der Maler Wido beteiligt sich – gegen den Rat des Berggeistes Rübezahl – am Aufstand gegen den bös-verhärteten Vogt Buko von Neiße, dessen Ziehtochter Gertrud er liebt. Rübezahl ergreift als Stadtpfeifer in Gestalt des Vaters von Widos Mitstreiter Bernhard Kraft Partei für die Liebe des Paars und seine Vereinigung. In einer furiosen Geisterstunde kommt Buko durch Tote aus den Gräbern um.
Der Wille zur tiefen Botschaft tritt klarer hervor als etwa in den trügerisch pseudonaiven Opern Humperdincks und Siegfried Wagners, dessen Humor und Esoterik Sommer verblüffend nahesteht. Der komödiantische Ton von Gertruds Magd Brigitte bricht wie der Part Rübezahls die Schwere und zieht das Werk Richtung Volksstück und Naturalismus. Laurent Wagner holt das in bestens gelingender Feinabstimmung aus dem Philharmonischen Orchester heraus. Und es ist sehr schön, wie das Orchester die Solisten befeuert, ohne sie zu gefährden.
Dieser tönende Enthusiasmus mit Totaleinsatz aller Kräfte auch hinter den Kulissen macht die Entdeckung zu einem Höhepunkt der Spielzeit im gesamten deutschsprachigen Raum. Wer eine der ganz raren deutschen spätromantischen Choropern sucht: Da ist sie!
Dieser tönende Enthusiasmus mit Totaleinsatz aller Kräfte auch hinter den Kulissen macht die Entdeckung zu einem Höhepunkt der Spielzeit im gesamten deutschsprachigen Raum. Wer eine der ganz raren deutschen spätromantischen Choropern sucht: Da ist sie! Der mit Gästen eindrucksvoll verstärkte Chor kristallisiert den Aufstand – machtvoll wie Vollmers nächtliches Heer in den „Gurreliedern“ – und dazu den „danse macabre“ auf dem Friedhof klangschön, laut und deutlich (Leitung: Holger Krause). Das hat auch szenische Wirkungsmöglichkeiten. In Gera wird das Chorensemble im lautstarken Jubelfinale zu einem utopischen Bild der Harmonie in Regenbogenfarben.
Hans-Georg Priese, Alexander Voigt (Stäblein), Jueun Jeon (Bernhard Kraft), Kai Wefer (Otto Kettner) und Herren des Opernchors. Foto: Sabina Sabovic
Maler Widos freier Oberkörper leuchtet pastellfarben, als sei er sein eigener Pinsel. Er wälzt und kratzt in Kunst- und Liebesnöten über die Spielschräge, eine raumfüllende Palette. Die überzeugende und intelligente Energie von Hans-Georg Priese in der Rolle des Wido kommt nur in wenigen tenoralen Höhenkillern der Partie an verzeihliche Grenzen. Anne Preuß als Gertrud darf im weißen Erlöserinnenkleid wallen wie Brünnhilde. Johannes Beck im schwarzen Nietenleder-Wams mit weißblondem Schmierscheitel zeigt mit vokaler Kontur die Anstrengung, ein Bösewicht zu sein. Jueun Jeon als Widos Gefährte Bernhard Kraft glänzt mit schlank-virilem Tenor und ist erste Wahl für diese Fachpartie in zweiter Reihe. Ebenso teils in Doppelrollen mit akzentuierter Spannweite überzeugen Marja Mäkela, Alexander Voigt, Kai Wefer, Xiangnan Xao und der stumme Knabe Adrian Pinquart in finaler Pantomime als „Erlöser von Neiße“.
„Hilf zu, Rübezahl!“: Sommer verzweifelte seinerzeit an der Besetzung und wäre beglückt gewesen über Magnus Piontek. Der junge Bass kann das alles; in den Verkleidungsszenen das vokale Scherzo, als Beherrscher der Geister die Cantante-Linie, in den Deklamationen der ersten Erscheinung die Beschwerden über die Bildungsferne seiner Geister und im Finale die Klage über die unveränderliche Unbelehrbarkeit aller Menschen.
Kay Kuntze und Duncan Hayler schlugen den freudigen Anwesenden ein Schnippchen à la Rübezahl: Es gab phantastischen Kostümaufputz mit reichlich Glanz, schwarz vermummte Geisterlemuren und in der Verständlichkeit fördernden Personenaufstellung ganz viele Wagner-Retroreflexe und -Pseudomoderne. Die Köpfe dieser Produktion zeigen Versiertheit mit Emanationen der Tolkien- und Manga-Szene, haben offenbar schon früh und intelligent bei „Primalgames“ auf der Leipziger Buchmesse spioniert.
Roland H. Dippel
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