Gedämpfte Feststimmung
Das Theater Stralsund feiert seinen 100. Geburtstag
Vorpommerns Theater sind in die Jahre gekommen. Der Musentempel in Putbus auf Rügen wird 2018 auf dann 200 Jahre seiner ursprünglich fürstlichen Gründung zurückblicken, Greifswalds Großes Haus feierte das Hundertjährige im vergangenen Jahr, und jetzt ist es Stralsund, das in diesem Jahr auf die ebenfalls hundertjährige Existenz eines Großen Hauses zurückblicken kann. Selbständig aber waren diese Theater nicht immer.
1963 – also zu DDR-Zeiten – wurden alle drei zu den „Vereinigten Theatern Stralsund, Greifswald und Putbus“ fusioniert, 1968 aber aus kulturpolitischen Gründen wieder entflochten, um nach der friedlichen Revolution von 1989 als „Vorpommersche Theater- und Sinfonieorchester GmbH“ – kurz: Theater Vorpommern – erneut zwangsweise fusioniert zu werden (1993). Wer sich über die sehr bewegten Theaterzeiten der Häuser genauer informieren will, dem seien drei repräsentative Publikationen empfohlen (Theater der Zeit, 2015), die rechtzeitig zum Greifswalder „Hundertsten“ ausgeliefert werden konnten.
Das Theater Stralsund. Foto: muTphoto
Aber bleiben wir beim jüngsten Jubilar, dem Haus in Stralsund. Das Jubiläum war Anlass genug, um am 8. April diesen Jahres zu einem Festakt zu laden und ihn mit Polit-Prominenz vom Feinsten zu adeln. So ließ es sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht nehmen, in ihrem Wahlkreis zu erscheinen, und natürlich war auch Ministerpräsident Erwin Sellering anwesend. Dass Mathias Brodkorb, 2015 mit dem für kulturpolitische Fehlleistungen gestifteten „Musik-Gordi“ ausgezeichneter Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, auch ohne Redebeitrag mit Buh-Rufen begrüßt wurde, wunderte angesichts seiner von breiter Öffentlichkeit als erpresserisch eingestuften Spar- und Fusionspolitik nicht. Es war neben Begräbnisplakaten vor dem Theater der fällige Protest an einem Abend sehr ambivalenter Gefühlslagen. Da gab es die vielen Reden mit Bezugnahme auf eine stolze, bewahrenswerte Theatergeschichte, Bekenntnisse zur weiterhin wohlwollenden Begleitung künftiger künstlerischer Arbeit – und recht vorsichtig formulierte Verweise darauf, dass eben diese so wie gehabt und gerade wortreich gelobt wohl nicht fortsetzbar scheint. Auch Intendant Dirk Löschner blieb im verschämt Ungefähren: „Die Geschichte dieses Theaters zeigt: Alle Kontinuität ist auch Kontinuität des Wandels. Das Zauberwort heißt Zusammenarbeit.“ Wie auch sonst hätte er eigene und allgemeine Verunsicherung ausdrücken sollen! Nun, nach jahrelangem zermürbenden Hin und Her zwischen Kultusministerium, Gesellschaftern und Theatern, ist die seitens des Ministers offensichtlich lediglich rechnerisch (richtig???) begründete Fusion des Theaters Vorpommern mit der Theater- und Orchester-GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz beschlossene Sache, inbegriffen Personal- und Sparteneinsparungen an verschiedenen Standorten.
Zum 1. Januar 2018 hieße das neue Konstrukt dann einigermaßen hochtrabend Staatstheater Nordost und ginge – wie nicht nur direkt Betroffene meinen – einer in vielerlei Hinsicht eher ungewissen Zukunft entgegen. Aber davon war eben beim Fest-akt nicht die Rede.
Erwin Sellering, Angela Merkel, Dirk Löschner (Intendant des Theaters Vorpommern) vor dem Festkonzert „Gustav Adolf“ im Foyer des Theaters Stralsund. Foto: muTphoto
Dafür gab es dort erfreulicherweise reichlich Platz für jene, die ungeachtet belastender beruflicher Unsicherheiten weiterhin die künstlerische Flagge eines (noch) leistungsfähigen Theaters Vorpommern hochhalten: das Philharmonische Orchester und der Opernchor des Theaters. Auch letzterer hat seit Jahren zunehmend an Profil gewonnen und sich unter Chorleiterinnen und Chorleitern wie Günther Wolf, Frank-Udo Schulze, Thomas Riefle, Anna Töller und – zur Zeit – Rustam Samedov zu einer tragenden Säule musikalischer Theaterarbeit entwickelt. 23 Mitglieder zählt das Ensemble, was Bernd Roth als Ortsdelegierter der VdO für die unterste künstlerisch vertretbare Grenze hält, aber als dennoch ausreichend ansieht, um damit sowohl allen Ansprüchen des Musiktheaters zu genügen als auch Ausflüge in den oratorischen wie a-cappella-Bereich zu ermöglichen. Und das reichte dann schon mal von Benjamin Britten („Tod in Venedig“, „Peter Grimes“), Richard Wagner („Lohengrin“) und Mathias Husmann (Uraufführung „Zugvögel“) – um nur Weniges zu benennen – bis zu Händels aufführungspraktisch bemerkenswert stilsicher musiziertem „Messias“, der Uraufführung eines Auftragswerkes (zur Orgelweihe in Stralsunds St. Marien) oder – erst kürzlich – einem ausstellungsbegleitenden Chorabend („Klangwellen“) mit Werken von Edward Elgar, Lili Boulanger, Claude Debussy und Eric Whitacre.
Auch der Opernchor des Theaters hat seit Jahren zunehmend an Profil gewonnen.
Der Opernchor des Theaters Vorpommern in der „Gräfin Mariza“. Foto: muTphoto
Wie denn der Chor überhaupt den Blick über den Tellerrand hinsichtlich spartenübergreifender Projekte als besonders reizvolle wie sängerisch und gestalterisch notwendige Betätigungsfelder berücksichtigt sehen möchte, Zusammenarbeit mit anderen Ensembles inbegriffen: Ob solche Vorstellungen auch künftig realistisch sind, muss – siehe oben – abgewartet werden. GMD Golo Berg – innovativer wie künstlerischer Glücksfall für das Theater Vorpommern – hat da kein Vertrauen und wird das Theater demnächst verlassen; Chorleiter Samedow geht ebenfalls. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, und so bot denn auch der Jubiläums-Festakt mit einer repräsentativen Rarität, Max Bruchs selten aufgeführtem und vor allem chorisch anspruchsvollen Oratorium „Gustav Adolf“, ein Erlebnis der durchaus besonderen Art. Wenn man so will, war es der vielleicht so nicht mehr wiederholbare Gegenentwurf zur geplanten Fusion, über deren organisatorische Probleme in einem riesigen Flächenland und damit geradezu zwangsläufigen Repertoire-Einschnitten man gar nicht erst nachdenken will. Es war wohl auch trotzige Demonstration künstlerisch ungebrochenen Gestaltungswillens, dem GMD Golo Berg, das Philharmonische Orchester, der Stralsunder Bachchor, der Chor der Stettiner Oper und der Opernchor des Theaters Vorpommern sowie die Solisten Thomas Rettensteiner, Karo Khachatryan, Anna Wagner und Bernd Roth Instrument, Stimme und beeindruckende Begeisterungsfähigkeit liehen.
Ekkehard Ochs
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