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Berichte

»Die Vögel« im Digital-Modus

Oper ohne Publikum an der Bayerischen Staatsoper

Es hätte ein „Centennial“ auf Staatsopernniveau werden sollen: eine Neudeutung des am 20. November 1920 im Münchner Nationaltheater uraufgeführten „lyrisch-phantastischen Spiels ‚Die Vögel‘ nach Aristophanes“ von Walter Braunfels – nun am 31. Oktober 2020 mit einer hochklassigen Besetzung unter Dirigent Ingo Metzmacher und dem eventuell politisch motivierten Bühnen-Duo Frank Castorf/Aleksandar Denić. Es wurde eine Corona-Stream-Premiere vor 50 Zuschauern… und noch weniger…

Chor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper: Foto: Wilfried Hösl

Chor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper: Foto: Wilfried Hösl

Die Parabel des von Hoffegut und Ratefreund angezettelten Aufstands aller Vögel gegen die Götter um Zeus, die Warnung durch Prometheus, das Scheitern, aus dem nur Hoffegut als um die Liebe bereicherter Mensch hervorgeht – da drängen sich jede Menge Bezüge auf: zur Münchner Revolution von 1918 bis 1919, aus der immerhin der bis heute blühende „Freistaat“ hervorging; zu der Umwandlung des „Königlichen Hoftheaters“ in das Staatliche Nationaltheater; zum Scheitern des Künstlers Braunfels an der Moderne der 1920er-Jahre, an den Nazi-Kulturbarbaren, an der Moderne der 1950er-Jahre – letztlich sogar zum Missbrauch heutiger Natur durch den Menschen.

Nichts davon hat Regisseur Castorf interessiert. Inzwischen ist seine szenische Phantasie mit Bühnen-Installateur Denić so zusammengeschrumpft, dass wieder nur ein Drehkonstrukt-Mischmasch zwischen verfallenem Bauhof, randständigem „Flamingo“-Bordell und Großbildschirm mit Sendemast herauskam; dort dann Film-Sequenzen aus Hitchcocks „Vögeln“ von 1963 und später der „Challenger“-Katastrophe von 1986 – alles trotz vielerlei Krempel und natürlich etlicher Live-Video-Verdoppelung monostilistisch erinnernd an Castorf-Inszenierungen der „Walküre“ wie der „Reise ans Ende der Nacht“; gähnend öde auch die Arrangements von Chor und Solisten. Doch da beginnt auch die Positiv-Seite des fast dreistündigen Streams. Der zunächst aus dem Off hereintönende Staatsopernchor war von Stellario Fagone klanglich schön geformt und durfte dann in phantastischen Kostümen (Adriana Peretzki) als „vogelbunte“ Mischung aus Faschingsball und Sex-Nachtclub mal trippelnd, mal vogelzart singend, mal dichtgedrängt, mal mit und mal ohne Maske eine doch sehr diesseitige Welt beschwören – nur wie bekannt Castorf-monochrom: Frauen als Luder und Schlampen, Männer in Unterwäsche bis zu SS-Uniformen mit Hakenkreuzen.

Chor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl

Chor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl

Kontrastierend, aber eben musikalisch-gesangliche Freude auch von den Solisten: alle gut besetzten kleinen Rollen, gipfelnd in einem volltönenden Prometheus von Wolfgang Koch, dessen donnernde Warnung durch spannungslosen Schmuddel-Look geschmälert wurde. Der aufrührerische Rategut von Michael Nagy klang zwar mal schön, mal kämpferisch engagiert, wirkte aber trotz SS-Uniform zu ungefährlich. Im szenischen Wirrwarr ertönte am Anfang, zu Beginn des 2. Aufzugs und am Ende Klangzauber: Koloratursopranistin Caroline Wettergreen sah nicht nur rollengerecht zart aus, sondern bewältigte die Zerbinetta-Königin-der-Nacht-Stratosphären-Linien der Nachtigall so unangestrengt rein, süß und leuchtend, dass wohl jeder wie Hoffegut verwandelt worden wäre – und Charles Workman dies mit emotional fein aufgeladenen Tönen seines lyrisch warmen Baritons hörbar und mit feinem Spiel sichtbar machte. Die musikdramatische Feinzeichnung zwischen beiden wurde aber leider wieder konterkariert durch eine Castorf-Fixierung: In einem Bretter-Kabäuschen müssen die beiden per Video kopulieren – unnötig! Erfreulicherweise wurde dies auch wieder überspült vom spätromantischen Rauschen der Braunfels-Partitur aus dem hochgefahrenen Orchestergraben. Dort saß das deutlich reduzierte Staatsorchester zwar auf Abstand, doch Ingo Metzmacher hatte die mal solistisch, mal jetzt zwar klein, aber fein spielenden Orchestergruppen reizvoll geformt. Zu hören war, dass Braunfels – wie Strauss und Schreker – nie die „Schönberg-Linie“ überschritt, aber Tonarten bis zum cis-Moll und die Harmonik bis an tonal äußerste Ränder ausreizte. Doch er hat als sein eigener Librettist die deutlich kämpferische Aristophanes-Vorlage nicht zu einer gesellschaftspolitischen Attacke geformt: Krieg, Revolution und demokratischer Kampf – musikdramatisch nichts davon. Ein wenig Aufwallung im Aufstand der Vögel war zu hören, Blitz und Orchesterdonner für den Sieg des Zeus, doch Nachtigalls schmerzlich süßes Abschieds-„Ah“ und Hoffeguts Liebesende-Trost mit „Ich habe gelebt!“ – das bleibt zu geborgen, zu schlicht: Von ferne grüßen Blut- und Leidenschaftsleere. Es ist also nicht die Verkleinerung durch Corona, auch nicht das verquaste szenische Vielerlei: Braunfels‘ „lyrisch-phantastischem Spiel“ fehlt es an dramatischer Bühnenwirksamkeit.

Wolf-Dieter Peter


Verordneter Unsinn

Das emotional packendste, weil schmerzlichste Bild kam im Vorspann: der Schwenk der Kamera über die rund 800 gähnend leeren Parkettplätze – was für ein verordneter Un-Sinn! Da hat die Staatsoper in einem zweimonatigen, wissenschaftlich begleiteten und evaluierten Test von Belüftung und Aerosol-Strömung bewiesen, dass kein Ansteckungsrisiko besteht. Da haben die eine Autostunde entfernten Festspiele Erl bewiesen, wie unaufwändig ein Sitzen im Schachbrett-Muster alle Abstandsgebote einhält. Da ist aus den kleinen Zuschauerzahlen bei den „Montags-Konzerthäppchen“ bekannt, wie diszipliniert und regelbewusst sich letztlich alle Theaterbesucher verhalten. Nichts davon hat Wirkung gezeigt. Wie auch? Ein Kunst-Minister, der sich einmal bei einer Premiere zeigt und sonst theaterfern verwaltet, der nicht jeden zweiten Tag in einer Pressekonferenz mal zur Staatsoper, zum Staatsschauspiel, zum Kammerorchester, zur freien Oper in der „Pasinger Fabrik“, zu jeder einzelnen freien Theatergruppe bis zum bundesweit führenden „Metropoltheater“ kämpferisch fordert: „Öffnen und gemäß Konzept spielen!“ Also blanke Utopie: Der aller Kunst dienende Minister ruft von seinen rund 300 Schreibtisch-Mitarbeitern eine stattliche Anzahl zusammen, ordnet Dienstreisen in jedes Theater seines Bundeslandes an; dort Treffen mit dem Intendanten, Technischen und Betriebsdirektor; Prüfung des Lüftungs- und Hygiene-Konzepts – und prompt wären mal 100, mal 2- bis 1.200 Besucher möglich! Doch vom Schreibtisch aus verwaltet sich Kultur wohl hygienischer.

Wolf-Dieter Peter

 

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