Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Portrait

Auf der gleichen Ebene

Yuval Weinberg, neuer Künstlerischer Leiter des SWR Vokalensembles – Im Gespräch mit Burkhard Schäfer

Mit Beginn der Spielzeit 2020/21 ist Yuval Weinberg, Jahrgang 1990, Nachfolger von Marcus Creed als Chefdirigent des SWR Vokalensembles. Burkhard Schäfer hat mit dem nun jüngsten Künstlerischen Leiter eines ARD-Klangkörpers gesprochen.

Burkhard Schäfer: Herr Weinberg, wie verlief Ihr musikalischer Werdegang?

Foto: SWR / Alexander Kluge

Foto: SWR / Alexander Kluge

Yuval Weinberg: Mit fünf Jahren begann ich, Klavier zu spielen, und im Alter von acht trat ich einem Kinderchor bei, der allerdings ansonsten nur aus Mädchen bestand. Ich war also der einzige Junge. Relativ schnell wechselte ich deshalb in den Jugendchor, wo ich aber schlussendlich ebenfalls gleich wieder als Junge allein war, diesmal eben mit den älteren Mädchen. So begannen meine Erfahrungen im Chor gleich mit einer herausfordernden Aufgabe. Wir hatten immer mehrere Proben in der Woche, über drei, vier Stunden hinweg, mit sehr schwerem Repertoire, weil viele zeitgenössische Komponisten mit uns zusammengearbeitet haben. Es gibt in Israel nicht diese jahrzehntelang gewachsene Chor-Kultur, da der Staat erst 1948 gegründet worden ist. Das heißt, Chöre funktionieren dort vergleichbar mit kleinen Inseln: Immer da, wo ein qualifizierter Chorleiter ist, ist auch ein guter Kinder- oder Jugendchor.

Schäfer: Inwieweit hat sich die Besonderheit der Staatsgründung Israels noch auf den Chorgesang niedergeschlagen?

Weinberg: Man hat als Staatsbürger zuerst immer nur darum kämpfen müssen, dass man irgendwo seinen Platz finden kann – als Jude, Christ oder Moslem. Erst seit 1950 war dann Chorgesang möglich, und es kamen viele Einwanderer aus Europa, die Chöre gegründet haben; Musiklehrer und Komponisten aus Russ­land, Polen oder Deutschland, die überhaupt mit neuen Projekten beginnen konnten. Gleichzeitig waren es auch sehr viele Menschen aus den arabischen Ländern, die eine ganz andere Tradition mitbrachten: Volksmusik, also eine sehr besondere Tonsprache, die man in Europa so bis dahin noch gar nicht kannte. Aus dieser interessanten Berührung heraus ist oft etwas Tolles entstanden. Innerhalb dieses gesamtgesellschaftlichen und musikalischen Prozesses erwuchsen die Kinder- und Jugendchöre in kleinen Schulen während der 1970er- und 80er-Jahre.

Schäfer: Wann haben Sie sich für Ihren Weg als Dirigent entschieden?

Weinberg: Ich habe mich erst mit 17 oder 18 Jahren – und das ist für einen Musiker relativ spät – dazu entschlossen. Mir wurde klar: Ich will nur dies machen und nichts anderes. Ich hoffte, dass meine Begabung dafür aus­reichen würde und dass dann eines Tages irgendwelche Chöre schon bei mir mitsingen möchten und ich davon leben kann. Genaugenommen entstand mein endgültiger Entschluss damals während eines großen Chorkonzertes. Wir waren hinter der Bühne, das Orches­ter hat gespielt, und in dem Moment, als ich dabei in der Partitur mitlas, bekam ich die innere Gewissheit: Ja, das ist das Richtige für mich, das möchte ich machen.

Schäfer: Mit welchen Lehrern ging es dann bei Ihnen weiter?

Weinberg: Im besagten Alter von 17, 18 Jahren stand ich direkt vor meinem Armeedienst, der in Israel ja drei Jahre dauert. Ich habe aber Glück gehabt, hatte da schon zwei eigene Chöre und konnte mich auf das Studium vorbereiten. Damals in Israel habe ich an der Buchmann-Mehta-Musikschule der Universität Tel Aviv Orchesterleitung und Gesang studiert und sehr viel Harmonielehre, Gehörbildung sowie Klavier geübt. Zwei Jahre Privatunterricht halfen mir dabei, weil ich Lücken hatte zwischen Chor, Klavier und Musikstudium, zumal es in Israel auch nicht diese Art des
Musikschul-Systems gibt wie in Deutschland.

Als Dirigierstudent für Orchester hat mir aber nach einem Jahr der Chor so sehr gefehlt, dass ich mich für meinen Berufswunsch anders ausrichten muss-te. So bewarb ich mich an verschiedenen Musikhochschulen in Europa, konnte auswählen und bin nach Berlin an die Hochschule für Musik Hanns Eisler gegangen. Dort nahm mich Jörg-Peter Weigle im Fach Chordirigieren auf. Weigle war ein richtig toller Lehrer, der mich wirklich sehr viel weitergebracht hat. Und schließlich war ich dann noch an der Norwegischen Musikhochschule in Oslo bei Grete Pedersen, dort habe ich dann meinen Master gemacht.

Schäfer: Wie erleben Sie die verschiedenen Gesangskulturen der Länder untereinander?

Weinberg: Es unterscheidet sich extrem zwischen Profi- und Laienbereich. Professionelle Chöre sind immer ausgebildete Sänger. Egal, wo sie studiert haben: Jeder hat seine Technik gefunden; jeder sollte schlussendlich fit sein, einen Ton laut oder leise, mit oder ohne Vibrato singen zu können. In der Laienchorwelt besteht hingegen ein Riesenunterschied, weil in den unterschiedlichen Nationen jeweils ganz anders gesungen wird. Man singt zum Beispiel in Deutschland zur Adventszeit Weihnachtslieder, die einen bestimmten Umfang haben und die hauptsächlich in Dur und nur manchmal in Moll sind. In Norwegen singt man auch Volkslieder, die gar nicht klassisch klingen. Diese sind nicht in Dur oder Moll, sondern teilweise genau dazwischen. Es kommt also darauf an, wo man aufwächst. Was ich dagegen immer gleich erlebt habe, egal in welchem Land, ist das Engagement der Sänger, wenn es um die Laienchöre geht. Da erscheinen die Chormitglieder engagiert mit Kraft und Leidenschaft zur Probe.

Schäfer: Wie kam der Kontakt zum SWR-Vokal-
ensemble zustande?

Weinberg: In Deutschland fing ich nach dem Studium an, mit professionellen Chören zu arbeiten, zum Beispiel mit dem BR und auch anderen Rundfunkchören. Als ich 2017 mit dem Kammerkoret NOVA aus Oslo in Marktoberdorf beim Internationalen Kammerchor-Wettbewerb war, hat dort das SWR-Vokalensemble das Eröffnungskonzert gesungen. Das Vokalensemble hat mich da gesehen und lud mich daraufhin mal zu einer Probe zu sich ein. Diese Probe lief ganz gut. Und so könnte das Ganze als Liebe auf den ersten Blick bezeichnet werden, denn es hat einfach gepasst.

Schäfer: Warum, denken Sie, hat es gleich so gut harmoniert?

Weinberg: Ich glaube, wir denken relativ ähnlich. Das mag sich nun etwas merkwürdig anhören, denn ein Ensemble an sich denkt ja nicht komplett konform. Aber trotzdem haben wir uns auf einer harmonischen Ebene getroffen. Das Tempo, in dem man beim Singen und Dirigieren denkt, das befindet sich bei uns immer auf der relativ gleichen Ebene. Dies ist ein sehr großer Vorteil, denn da habe ich nicht das Gefühl, dass jemand weit hinter mir oder weit vor mir ist. Da darf ich beim Dirigieren ganz natürlich sein und alle kommen mit. Und nicht nur das, sie folgen mir mit gro­ßem Engagement. Das habe ich in dem Moment gemerkt, als es bereits nach einer Stunde Probe schon ganz wunderbar in der anschließenden Durchführung geklappt hat. Das Ensemble hat gleich so reagiert, wie ich erwartet habe und das ist oft nicht der Fall. Man lernt zwar im Studium, wie man dirigiert, aber trotzdem „lebt“ jeder Chor anders: Ein Chor singt nach dem Schlag oder mit dem Schlag. Es gibt zum Beispiel auch so viele Feinheiten bei der Artikulation von Konsonan-ten, und dies funktionierte ebenfalls sofort. Das alles hat mich positiv überrascht. Wir haben von Anfang an gleich dieselbe Sprache gesprochen.

Schäfer: Haben Sie bei alldem das Gefühl, dass Ihnen Ihr berühmter Vorgänger Marcus Creed gleichsam im Nacken sitzt?

Weinberg: In der Hinsicht bin ich relativ entspannt. Marcus Creed hat so viel selbst aufgebaut, dass einfach niemand erwartet, dass ich die Sachen so machen kann wie er. Sie wissen, ich bin jung und gehe nun an die Werke anders heran. Ich arbeite mit meinem Stil und mache das hoffentlich gut genug. Ich denke, da kann ich offen und unverstellt den Projekten entgegensehen.

Schäfer: Wie wichtig ist es, dass sich die Leute im Chor verstehen? Welche Aufgabe hat ein Dirigent dabei?

Weinberg: Das ist eine Riesenaufgabe. Als Dirigent muss man darauf achten, dass jeder Sänger seinen Platz hat und so sein darf, wie er ist. Da ist nun die Corona-Zeit ein gutes Beispiel dafür, denn es war eine große Umstellung im Mai, als wir mit einem so großen Abstand unter den Chormitgliedern anfingen zu proben. In der ersten Probe mussten jeweils seitlich fünf Meter Abstand zwischen den einzelnen Sängern eingehalten werden. Stellen Sie sich zwölf Menschen mit fünf Metern Abstand vor! Sie brauchen ja ein halbes Fußballstadion dafür. Dazu kommt: Man sieht sich und hört sich nicht. Das ist einfach ein schlechtes Gefühl für jemanden, der Ensemblesänger ist. Ein Chor lebt ja vom Zusammenhalt, weil jeder mit anderen zusammen singen will. Da war ich sehr dankbar, dass die Sänger genug Vertrauen in mich haben, dass ich solche Gegebenheiten als Dirigent bemerke. So wurden die ungewöhnlichen Umstände zu einer intensiven ersten Zusammenarbeit, weil ich die einzelnen Chormitglieder in dieser besonderen Situation ganz persönlich ansprechen musste. Das empfand ich als ziemlich intensiv und fordernd. Aber es hat sehr gut getan, weil ich sofort alle kennenlernen konnte, auch stimmlich und menschlich.

 

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner