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Kulturpolitik

Auf ein Wort mit Carsten Brosda, Senator der Behörde für Kultur und Medien Hamburg

Im Gespräch mit Barbara Haack, Tobias Könemann und Gerrit Wedel

Oper & Tanz: Sie sind neu gewählter Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Was werden Sie anders machen als Ihr Vorgänger?

Carsten Brosda: Ich habe mir nicht vorgenommen, etwas grundlegend anders zu machen. Es ist ja im Deutschen Bühnenverein gute Tradition, dass der Präsident mal jemand ist, der als Intendant für ein Haus steht, und mal jemand, der als Träger aus der Verwaltung oder Politik kommt. Manchmal stößt Letzteres auf Verwunderung, weil man den Bühnenverein als Lobbyorganisation der Theater, auch gegenüber der Politik, wahrnimmt. Aber seine Rolle ist es ja, die Träger, die Bühnen und die Orchester zusammenzubringen. Das kann man ja durchaus auch nutzen, um zu zeigen, dass es eine Verantwortung der Träger für die Häuser und für die Orchester gibt. Da bin ich mit Ulrich Khuon sehr einig. Ich habe ihn immer als jemanden wahrgenommen, der sich sehr darum bemüht, genau diese Brücken in Richtung gesellschaftliche Relevanz zu schlagen.

O&T: Sie kommen aus der Gruppe der Träger. Gibt es nicht trotzdem unterschiedliche Gewichtungen der Themen, derer Sie sich annehmen?

Brosda: Ich verstehe den Bühnenverein weniger als einen Ort, an dem der Präsident die Themen vorgibt, von denen er sagt: Die wollte ich immer schon einmal angehen. Im Bühnenverein geht es da-rum, das Forum derjenigen zu organisieren, die alle miteinander rund um diese einzigartige Landschaft von Theatern und Orchestern in Deutschland Verantwortung tragen. Sie zusammenzubringen und gemeinsam die Themen zu bewegen, die sich in diesem Kraftfeld ergeben, die Debatten darüber zu organisieren und mögliche Lösungen für Probleme zu finden, darin sehe ich meine Aufgabe.

Carsten Brosda. Foto: Senatskanzlei Hamburg

Carsten Brosda. Foto: Senatskanzlei Hamburg

Der Bühnenverein hat sich in den letzten Jahren unter Ulrich Khuon sehr vielen neuen Themen völlig zu Recht geöffnet. Diese liegen offensichtlich auf der Hand, und der Bühnenverein tut gut daran, für diese Themen, die ja teilweise jenseits der Rolle als Arbeitgeberverband liegen, ein Forum zu bieten. Das werde ich sicher auch weiter tun. Der Unterschied liegt eher in der Akzentuierung der Außenrolle. Das war durchaus eine Debatte, die wir geführt haben, als mich die ersten gefragt haben, ob ich mir denn vorstellen könnte, für dieses Amt zur Verfügung zu stehen. Ich spreche nicht wie ein Intendant quasi aus der Institution Theater heraus für die Institution Theater, sondern bin in der öffentlichen Wahrnehmung ein Kulturpolitiker, der auch für die anderen Bereiche des kulturellen Lebens zuständig ist. Am Ende war die klare Aussage derjenigen im Bühnenverein, die auf der Suche nach einem neuen Präsidenten waren, dass sie genau das als Chance begreifen, weil sie diese Einbettung in ein breiteres kulturelles Leben für die Bühnen durchaus für sinnvoll halten.

O&T: Haben Sie in Ihrem Vorleben eine besondere Beziehung zum Theater, oder ist das nur ein Teil einer Kulturpolitik, der Sie sich widmen?

Brosda: Meine eigenen Versuche, auf Bühnen zu stehen und zu schauspielern, habe ich glücklicherweise schon in Schülerzeiten aufgegeben. Aber ich gehe zeitlebens leidenschaftlich gern ins Theater. Ich komme ursprünglich aus dem Journalismus und habe mir als freier Mitarbeiter auch mit kulturjournalistischer Berichterstattung mein Studium verdient. Ende der 1990er-Jahre hatte ich im Ruhrgebiet eine tolle Theaterzeit, als zum Beispiel das Theater Oberhausen seine große Phase hatte. Ich habe in Gelsenkirchen das Musiktheater im Revier mit allen seinen Höhen und Tiefen miterlebt. Theater hat mich also immer begleitet, aber seit ich in der Politik gelandet bin, nur noch als privater Theatergänger. Seitdem ich kulturpolitische Verantwortung in Hamburg trage, bin ich aufgrund der besonderen Stadtstaatenkonstruktion in der Verantwortung für die großen städtischen Theater und die Oper, kümmere mich aber auch um die vielen privaten und freien Bühnen. Das ist schon etwas, das mir sehr viel Spaß macht.

O&T: In einem Gastbeitrag auf ZEIT ONLINE haben Sie in Bezug auf die Corona-Entscheidungen gesagt: „Es heißt, dass wir darauf vertrauen können müssen, dass die staatliche Exekutive weiß, was sie da tut.“ Ist es für Sie nicht auch ein Interessenkonflikt, wenn Sie quasi Ihren eigenen Vorgesetzten öffentlich kritisieren?

Brosda: Das habe ich gesagt, bevor ich beim Bühnenverein in der Verantwortung war. Der Beitrag versucht, sehr differenziert aufzuzeigen, dass ich die Entscheidung in der Sache richtig finde, dass wir aber als Politik aufpassen müssen, wie wir sie begründen. Politik, gerade auch die Kulturpolitik, muss die Fähigkeit haben, Debattenräume zu öffnen und zuzulassen. Wir tun uns grundsätzlich nie einen Gefallen, wenn wir so tun, als gäbe es eineindeutige Begründungskontexte für alles. In den Begründungszusammenhängen dieser November-Entscheidung, auf die sich ja der Text bezog, hat die Politik nicht auf der Höhe ihrer Möglichkeiten agiert. Dass man diese Restekategorie geschaffen hat, in die man alles einsortiert und „Freizeit“ darüber geschrieben hat, war ein Problem. Ulrich Khuon hat sehr schön in einem Interview in der Berliner Zeitung mal gesagt, ihn habe das an den Protestantischen Pietismus des 19. Jahrhunderts und den Weg zur Hölle erinnert, wo die Spielbanken, die Bordelle und die Theater alle links und rechts des Weges in die Hölle lagen. Da sind wir ja als Gesellschaft eigentlich drüber hinweg. *

O&T: Werden denn konkrete Kriterien entwickelt, die erfüllt sein müssen, um in einen Spielbetrieb der Theater stufenweise wieder einzutreten?

Brosda: Es werden eine ganze Menge Kriterien entwickelt. Die Frage ist ja immer: Welche sind sinnvoll und vernünftig? Wir reden auch über die Frage: Clustern wir die verschiedenen Bereiche und fangen beispielsweise bei den Museen an, weil die eine andere Struktur haben, und gehen dann in einem zweiten Schritt auf Veranstaltungsorte, Kinos, Theater und Konzerthäuser?

Es gilt ja weiterhin, dass die kulturellen Veranstaltungsorte nicht aus sich selbst heraus ein erhöhtes Infektionsrisiko darstellen, dass sie nicht geschlossen werden, weil sie gefährliche Orte sind, zumindest keine infektionsgefährlichen Orte. Manchmal sind sie gefährliche Orte für Vorurteile, aber das ist etwas anderes. Wir haben vielmehr gesagt: Wir wollen generell Kontakte beschränken, wir wollen generell Bewegung im öffentlichen Raum reduzieren, und wir nehmen möglichst viele Anreize, die eigene Wohnung zu verlassen, aus der gesellschaftlichen Gleichung.

O&T: Ist es nicht inkonsequent zu sagen: Wir schließen die Kultureinrichtungen, aber in den Kultureinrichtungen darf weiter gearbeitet werden? Es ist den Akteuren nicht immer zu vermitteln, dass die Theater dicht gemacht, die Künstlerinnen und Künstler aber trotzdem bis zu zweimal täglich hin und hergeschickt werden und sich einem größeren Risiko aussetzen, als es möglicherweise die Zuschauer täten, wenn sie denn kämen.

Brosda: Das ist regional differenziert. Wir haben in Hamburg auch im ersten Shutdown im Frühjahr die Produktionsstätte Theater nie geschlossen, sondern nur den Veranstaltungsort. Es wurde in den Häusern weitergearbeitet. Wenn wir es anders machen, finden beispielsweise auch die Streaming-Angebote nicht mehr statt. Das würde bedeuten, es gibt kein kulturelles Angebot mehr. Ich hielte eine solche Komplett-Schließung für schwierig. Einmal, weil wir damit die Perspektive für das Wieder-Anfahren des Betriebs erheblich nach hinten verlagern. Das zweite ist, dass wir in dem Moment, in dem die Häuser nicht vor Publikum in einem Raum veranstalten dürfen, mit dem Digitalen andere Möglichkeiten haben, aber nur, wenn man in sein Haus rein darf. Wenn wir die Kultur komplett zumachen, anderes aber noch offen haben, würden wir als Gesellschaft sagen: Wir verzichten auf kulturelles Angebot, das brauchen wir nicht, ist nicht so wichtig. Das wäre eine eindimensionale Borniertheit, die wir uns nicht antun sollten.

O&T: Wir erleben von Rechtsträgern im Zusammenhang auch etwas anderes: Kurzarbeit ist ein wunderbares Mittel und wird dafür genutzt, um sich einen Speckgürtel anzulegen. Ich kann Kurzarbeit so fahren, dass ich sehr viel mehr als meine Einnahmenausfälle kompensiere. Das haben die Künstler-Gewerkschaften von vorneherein problematisiert. Das wird vom Bühnenverein zwar nicht direkt geleugnet, aber auch als Thema nicht wirklich diskutiert. Sehen Sie die Gefahr, dass Rechtsträger aus wirtschaftlichen Gründen den Betrieb weiter runterfahren und länger, als es unter Pandemiebedingungen notwendig wäre? Und sehen Sie nicht auch eine Gefahr darin, dass, wenn diese Speckgürtel da sind, die Rechtsträger im nächsten Jahr die Finanzierung senken? Wenn die Finanzierung erstmal weg ist, und im übernächsten Jahr ist der Speckgürtel auch weg, dann gibt es insgesamt vielleicht noch weniger? Ist das nicht letztlich ein Bedrohungsfaktor für die Bühnen?

Brosda: Das sind zwei große Konjunktive auf einmal. Erstens: Da, wo ich als Rechtsträger Verantwortung trage, in Hamburg, gibt es solche Erwägungen nicht. Wir haben im Frühjahr mit den Theatern gemeinsam die Entscheidung getroffen, die Saison zu beenden. Das war rechtlich damals auch noch umzusetzen. Das ist jetzt schwierig, weil wir im Infektionsschutzgesetz nur noch einen Monat Vorlauf für die verordnungsbedingten Schließungen haben.

Unsere Prämisse ist sehr klar: Wenn gespielt werden kann, soll gespielt werden. Und wenn nur unter eingeschränkten Bedingungen gespielt werden kann, müssen wir eben gemeinsam miteinander gucken, wie wir das ermöglichen. Daher bin ich ganz dankbar, dass jetzt der Bund mit der Überbrückungshilfe III plant, auch bei kulturellen Veranstaltungsbetrieben in die Deckung der Defizite einzusteigen, die sich aus beschränktem Betrieb ergeben. Es ist wichtig, dass wir wieder anfangen. Am Ende übrigens auch aus einer ökonomischen Sicht, weil Ihre Gleichung vielleicht stimmt, wenn ich ganz scharf und eng auf das staatliche Haus gucke, das komplett in Kurzarbeit geht. Aber wenn ich das Ökosystem betrachte, stimmt es nicht mehr, weil ich letztlich damit auch den gesamten Bereich der Dienstleister drum herum lahmlege. Wenn wir als Staat Geld ausgeben, sollten wir es wenn möglich dafür ausgeben, dass etwas geschehen kann und nicht dafür, dass Dinge nicht geschehen.

Carsten Brosda in der Elbphilharmonie. Foto: Hernandez für Behörde für Kultur und Medien

Carsten Brosda in der Elbphilharmonie. Foto: Hernandez für Behörde für Kultur und Medien

Die zweite Frage ist, wie es nach der Pandemie weitergeht. Wir wissen alle nicht, wie das Publikum wiederkommt. Es ist denkbar, dass wir keine staatlich verfügte Einschränkung mehr haben, dass wir aber trotzdem nicht sofort in die Auslastung zurückkommen, die wir vorher hatten. Wir wissen nicht, ob es eine Explosion gibt und die Häuser voll sind. Oder ob die Leute zögern, abwarten oder ob sie auch unter Umständen erst einmal wieder überzeugt werden müssen, weil sie sich andere Freizeitgestaltungen erschlossen haben, in denen sie sich jetzt bewegen. Dafür wäre es nicht das Schlechteste, wenn die Häuser Rücklagen hätten, auf die sie zurückgreifen können. In der letzten Spielzeit gab es in einigen Theatern einen Kurzarbeitseffekt, so dass man dort wahrscheinlich weitgehend plus minus null durchgekommen ist. Wenn jetzt aber in der laufenden Saison unter den Corona-Einschränkungen gespielt wird, haben wir voraussichtlich immense Defizite, weil nur noch ein Viertel oder maximal die Hälfte des Saals gefüllt werden kann.

Wir werden in den kommunalen Kontexten sicher überall da, wo Kultur freiwillige Leistung ist, in den nächsten Jahren in ganz schwierige Diskussionen kommen. Ich hoffe, dass wir dann alle die Contenance wahren, vernünftig damit umzugehen. Haushalte sind noch nie durch Kürzungen bei der Kultur saniert worden.

O&T: Im Frühjahr während des ersten Lockdowns wurde sehr viel gestreamt, gerade auch im kulturellen Bereich. Jetzt, im zweiten Lockdown, ist die Tendenz zu beobachten, stumm zu bleiben, um zu zeigen, wie es ohne Kultur aussieht. Ist das der richtige Weg, oder begibt sich die Kultur damit in ein Abseits, aus dem sie schwer wieder herauskommt? Wie hoch wird der Stellenwert der Kultur, des Theaters sein?

Brosda: Der Stellenwert ist ja schon vor der Pandemie nicht so selbstverständlich gewesen, wie er das vielleicht in bürgerlichen Kreisen vor 50 oder 60 Jahren war. Diese Fiktion, dass es sich für ein bestimmtes Milieu einfach gehört, ins Theater zu gehen, und dass man sich auf die konzentriert und den Rest der Stadtgesellschaft ignoriert: Spätestens seit Hilmar Hoffmann wissen wir, dass das nicht mehr trägt. Wir müssen aus den Institutionen heraus viel aktiver in die Stadtgesellschaft hinein kommunizieren oder in den regionalen Zusammenhang, um unser Angebot zu einem plausiblen Bestandteil der Gestaltung von freier Zeit von Bürgerinnen und Bürgern zu machen.

Unsere Prämisse ist sehr klar: Wenn gespielt werden kann, soll gespielt werden. Und wenn nur unter eingeschränkten Bedingungen gespielt werden kann, müssen wir eben gemeinsam miteinander gucken, wie wir das ermöglichen.

Die Häuser müssen sich dabei auch so aufstellen, dass sie nicht von vornherein quasi alle habituellen und bildungsbürgerlichen Codices so abrufen, dass sie einen Teil ihres Publikums gleich schon an der Pforte abschrecken, weil sie ihnen zu verstehen geben, dass sie nicht gemeint sind. Daran wird man intensiv arbeiten müssen, und dabei werden die digitalen Erfahrungen, die wir jetzt alle miteinander gemacht haben, helfen. Man darf nicht glauben, dass wir, wenn alle Beschränkungen vorbei sind, so weitermachen können wie vor Corona.

Ein schönes Beispiel ist die Debatte, die in Hamburg kurz nach Eröffnung der Elbphilharmonie geführt wurde. Wir haben immer gesagt, dass das ein Haus für alle sein soll. Es gab die Konzerte für Hamburg, bei denen Karten nur in bestimmten Hamburger Stadtteilen verkauft wurden, um bewusst ein Publikum zu erreichen, das nicht an die klassische Konzertkasse kommt. Da gab es Konzerte, bei denen das Publikum zwischen den Sätzen applaudiert hat. Der große Affront! Es gab Pro und Contra in der Lokalpresse: Darf man das? Oder darf man das nicht? Uns hat das gezeigt: Wir haben Menschen erreicht, die da wahrscheinlich zum ersten Mal saßen und nicht wussten, wie man sich vermeintlich benimmt. Als Kulturpolitiker hat mich das beglückt. Diese Menschen stärker zu erreichen ist eine Aufgabe, vor der alle Kultureinrichtungen verschärft stehen.

O&T: Wie ist denn, mal abgesehen von der Herausforderung, möglichst viele Menschen an die Kultur heranzuführen, die Aufgabe des Theaters im gesellschaftlichen oder auch im politischen Kontext? Sie schreiben in Ihrem Buch „Die Kunst der Demokratie“: „Es ist allerhöchste Zeit, auf die kulturpolitische Herausforderung von rechts auch kulturpolitisch zu reagieren.“ Ist das auch Aufgabe der Theater?

Brosda: Das Schöne ist ja, dass Theater keine Aufgabe haben. Sobald wir ihnen eine zuweisen, machen wir schon den ersten Fehler. Theater sind, und das macht sie so besonders, öffentliche Räume, gleichzeitig aber geschützte Räume. Sie haben eine Außenhaut, die sie abschirmt von Gesellschaft, die aber durchlässig ist für die Themen, die sich in der Gesellschaft bewegen. Aber sie haben keine programmatische Aufgabe. Natürlich kann sich ein Haus, kann sich ein Ensemble eine Programmatik selber geben. Aber das geschieht dann aus dem Zusammenhang der dort kulturell Arbeitenden heraus und nicht, weil Kulturpolitik sagt: Folgendes müsst ihr jetzt tun. Wenn wir die Contenance wahren als Träger, als Politiker, auch als Gesellschaft, den Kulturorten diese Freiheit zu lassen, auch den künstlerisch Schaffenden, dann können daraus Impulse entstehen, an denen sich gesellschaftliche Debatten entzünden. In dieser Zweischrittigkeit liegt für mich der gesellschaftliche Wert der Kultur. Kultur hat die Offenheit und ist einer der wenigen Räume, die eben nicht mit vordeterminierten Rollen agieren. Das müssen wir als Gesellschaft unbedingt verteidigen. Die kulturpolitische Aufgabe ist es, die kulturellen Orte und die künstlerischen Angebote davor zu schützen, in den Dienst einer Sache genommen zu werden. Übrigens auch in den Dienst einer guten Sache.

O&T: Sie sprechen von der Offenheit des Theaters. Wenn wir uns die Machtstrukturen im Theater anschauen, sehen wir da doch eine Diskrepanz. Würden Sie sagen, dass sich da etwas verändern muss?

Brosda: Es verändert sich ja schon eine ganze Menge, und das muss auch weitergehen. Natürlich braucht auch ein Theaterbetrieb Hierarchien, sonst geht da gar nichts. Aber man muss sich immer wieder miteinander vergewissern, ob man eigentlich den eigenen programmatischen Prinzipien gemäß auch intern seinen Betrieb organisiert. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, mit dem wir gerade auch viel kulturpolitisch zu tun haben. Das ist die Frage der Diversität und Diversitätssensibilität. Wir sind alle einig, dass kulturelle Angebote der Diversität unserer Gesellschaft entsprechen müssen, dass wir alle ansprechen und erreichen müssen mit unseren Angeboten. Eigentlich reicht es aber nicht, das Angebot zu diversifizieren, sondern ich muss auch diejenigen, die das Angebot produzieren, divers gestalten. Da haben wir noch eine ganze Strecke zu gehen. In Hamburg haben wir ein Programm aufgelegt, „Intro“, mit dem wir Künstlerinnen und Künstlern mit einer Fluchtbiografie ermöglichen, ein Jahr lang in Kulturbetrieben zu arbeiten, um einerseits hier einen Anschluss zu finden mit der Tätigkeit, die sie in ihrem Heimatland hatten, andererseits damit aber auch die Vielfalt innerhalb der hiesigen Institutionen zu steigern und neue Aspekte einzubringen. Solche Öffnungen der Häuser brauchen wir viel stärker.

O&T: Andererseits muss die Kunst ja teilweise auch als Rechtfertigung dafür herhalten, dass es in den Hierarchien, in den Häusern etwas rauer zugeht als ansonsten im Wirtschaftsleben. Wir müssen auch zwischen den Sparten der Theater unterscheiden. Im Ballett zum Beispiel haben wir immer wieder Fälle, wo sehr hergebrachte, sehr autoritäre, sehr engstirnige Strukturen problematische Blüten treiben. Das sind Dinge, die man wohl noch gezielter angehen muss. Wie sehen Sie das?

Brosda: Ich glaube nicht, dass das ein Spezifikum von Kulturbetrieben ist. Die Produktion von Kultur ist keine Rechtfertigung dafür, sich schlechter verhalten zu dürfen als der Rest der Gesellschaft. Man kann achtsam miteinander umgehen und trotzdem große Kunst produzieren. Natürlich muss man daran arbeiten, wo das nicht der Fall ist. Das liegt sehr stark in der Verantwortung derjenigen, die für die Häuser Verantwortung übernehmen, und wenn die selbst diejenigen sind, die das nicht vorleben, dann in der Verantwortung der Trägerinnen und Träger.

O&T: Wie sehen Sie den Einfluss des Bühnenvereins auf politische Entscheidungen, auf Finanzierungsfragen, gerade jetzt auch in der Corona-Pandemie?

Brosda: Mit Blick auf Corona müssen wir das jetzt herausfinden. Das kann ich dann ja demnächst auch mit mir selber ein Stück weit verhandeln. Ich glaube aber nicht so sehr an die These, dass die Kultur keine Lobby habe. Wir haben in den letzten Monaten immer wieder sehr intensiv über die Belange der Kultur geredet. Die Bühnen haben dabei einen großen Vorteil: Sie können ihre Relevanz nicht nur behaupten, sondern sie können sie erfahrbar und erlebbar machen. Dieses Erfahrbar- und Erlebbarmachen ist wahrscheinlich das stärkste Argument, das man in den kommenden Monaten in der Diskussion darüber, wie wir die Kultur finanziell ausstatten, haben kann. Ich komme ja aus Gelsenkirchen und bin sehr geprägt vom Musiktheater im Revier. Das hat über Jahrzehnte ums Überleben gekämpft. Ich bin eng befreundet mit Hans-Peter Rose, der über 25 Jahre als Kulturdezernent und auch als Leiter der Stadttheatergruppe im Deutschen Bühnenverein Verantwortung getragen hat. Der hatte den Kampf zu Hause zu führen: Kann sich diese Stadt dieses Haus noch leisten? Diese Bühne so tief im städtischen Bewusstsein zu verankern, dass sie jetzt noch existiert, ist eine immense Leistung, die auch etwas damit zu tun hat, dass er einer Stadtgesellschaft klar machen konnte, welche Bedeutung ein solches Haus hat. Dabei kann natürlich der Bühnenverein helfen, indem er so etwas flankiert. Aber es entscheidet sich sehr viel auch einfach konkret in den lokalen und regionalen Öffentlichkeiten vor Ort und braucht einen guten Schulterschluss zwischen Kulturpolitikern und Künstlerinnen und Künstlern.

O&T: Wenn Sie von der Lobby für die Kultur sprechen, haben wir auf der einen Seite Spartenverbände wie den Deutschen Bühnenverein, auf der anderen Seite mit dem Deutschen Kulturrat einen Dachverband, der sich unter anderem auch für die Arbeitgeber- und für die Arbeitnehmerseite einsetzt. Was ist der erfolgreichere Weg: für die Sparten sprechen und kämpfen oder mit einer Stimme unter einem Dach sprechen?

Brosda: Es braucht beides. Aber ich glaube, wir müssen stärker noch mit einer Stimme sprechen. Wir müssen auch füreinander sprechen. Wir haben gerade über die Öffnungsszenarien gesprochen. Auch Ulrich Khuon hat schon gesagt – und ich finde das sehr richtig –, dass es vernünftig sei, wenn der Bühnenverein sagt: Wir finden es gut, wenn wir in Stufen öffnen, dass die Museen als erstes wieder aufmachen. Das ist etwas ganz Wichtiges, dass wir miteinander gemeinsam dafür streiten, dass kulturelle Orte eine aufklärerische Wirkung in der Gesellschaft haben und nicht nur jeweils für uns selber kämpfen. Da ist der Kulturrat auf einem guten Weg, hat eine ganze Menge in diesem Jahr angezettelt, durchaus auch in den übergreifenden Strukturen, hat Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen, auch Freie und Institutionen zusammengeholt.

O&T: Der Deutsche Bühnenverein hat in der Gesamtgesellschaft ein gewisses Wahrnehmungsproblem. Haben Sie Konzepte, wie man in der Öffentlichkeit noch mehr Präsenz zeigen kann in den nächsten Jahren?

Brosda: Ich teile die Prämisse Ihrer Frage nur sehr eingeschränkt. Ich glaube, in den letzten Jahren hat sich eine Menge getan, und Ulrich Khuon hat dem Bühnenverein eine ganz andere Präsenz und eine diskursive Öffnung gegeben, auch eine Breite der angesprochenen Themen und eine Präsenz im öffentlichen Debattenraum.

O&T: Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit den Künstlergewerkschaften? Wo kämpft man gemeinsam, und wo gibt es unterschiedliche Positionen?

Brosda: Bisher habe ich überwiegend die Perspektive von außen. Ich habe aber das Gefühl, dass man einen ganz guten und vernünftigen Umgang miteinander hat und versucht, viele Dinge miteinander zu klären und es nicht immer auf die sonst üblichen Rituale eines Arbeitskampfes ankommen lässt. Es gibt, glaube ich, ein höheres Maß aller Beteiligten an intrinsischer Bindung an die Institution. Das kann eine große Stärke sein, wenn man wechselseitig achtsam und vernünftig miteinander umgeht. Es wird Sie nicht verwundern, dass ein Sozialdemokrat durchaus eine hohe Sympathie dafür hat, dass sich Interessen gewerkschaftlich organisieren und dass man sie dadurch auch mit Arbeitgebern in einen vernünftigen Ausgleich bringen kann. Das halte ich für etwas, das am Ende die Betriebe und die Institutionen stärkt und nicht schwächt.


*Nachtrag

Das Interview wurde bereits Anfang Dezember geführt. Ein Nachtrag von Carsten Brosda:

„Nachdem dieser Text geschrieben wurde, wurde die Novelle des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, in dem die Kultur nunmehr eigenständig benannt wird. Und im folgenden Beschluss der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, der den Lockdown zwar in den Dezember hinein verlängert, wurde die Kultur eigenständig adressiert und auch darauf hingewiesen, dass die Schließungen nicht länger als unbedingt begründbar notwendig aufrecht erhalten werden dürfen. Die Kulturminister wurden beauftragt, eine Strategie für die Öffnung und die Lockerung zu erarbeiten. Debatten auch über die Begründungszusammenhänge sind wichtig, denn das Vertrauen, dass der Staat weiß, was er tut, kann nur dann aufrecht erhalten werden, wenn wir auch begründen, was wir tun.“


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