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Choreografie ist ein Abenteuer

Der Movimentos Tanzpreis in Wolfsburg · Von Vesna Mlakar

Zum zweiten Mal wurden in Wolfsburg sechs außergewöhnliche Künstler mit dem Internationalen Movimentos Tanzpreis geehrt. Vor allem mit der Wahl von Lin Hwai-min, der die Auszeichnung für sein Lebenswerk erhielt, hat die Jury ins Schwarze getroffen!

 
Das Cloud Gate Dance Theatre. Fotos: Liu Chen-hsiang
 

Das Cloud Gate Dance Theatre. Fotos: Liu Chen-hsiang

 

Entscheidungen zu fällen ist hart, besonders in Wolfsburg. Nur alle fünf Jahre werden hier (seit 2004) Tanzpreise verliehen, um dem facettenreichen Spektrum einer Kunstsparte Rechnung zu tragen, die ständig in Bewegung ist – und bei der zudem Berufsdauer und Karriereoptimum der Interpreten zeitlich begrenzt sind. Lin Hwai-mins Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan hatte in der Autostadt bereits 2004 begeistert. Den Beweis für ihre Einzigartigkeit erbrachte die 1973 gegründete Truppe bei ihrem Gastspiel im Mai. Unter dem Überbegriff „White“ hatte der heute 62-jährige Lin vier seiner Arbeiten aus verschiedenen Schaffensperioden zusammengefasst und führte so im ausverkauften KraftWerk vor Augen, mit welch stilsicherer Konsequenz seine Auseinandersetzung mit Spiritualität, Bewegungs- und Tanzströmungen aus Ost und West immer komplexer und dabei leichter, ja freier wird.

Oper&Tanz: Herr Lin, woher nehmen Sie ihre Inspiration?
Lin Hwai-min: Meditation hilft mir, mich zu konzentrieren. Sie klärt meinen Körper und Geist, und irgendetwas kommt mir in den Sinn. Ich greife die Idee auf und versuche, das Stück wie aus einem Block heraus zu meißeln. Das kann Jahre dauern. Choreografieren ist eine Art von Abenteuer, und ich muss mir jedes Mal den Weg durch einen Dschungel schlagen.
O&T: Wenn Sie ins Studio kommen, haben Sie da schon eine fixe Vorstellung im Kopf?
Lin: Nein, keinesfalls. Ich beginne in einer Richtung, und dann suchen wir gemeinsam nach Schritten. Manchmal bitte ich die Tänzer über Wochen hin zu improvisieren und Bewegungsmaterial zu (er)finden, welches ich dann ergänze. Oder ich rechoreografiere, was sie mir vorschlagen, und wir setzen es anschließend zusammen. Dabei fordern wir uns ständig gegenseitig heraus. Mehr als sechs bis acht Wochen haben wir dafür jedoch nicht, denn wir müssen Vorstellungen geben. Anders als in Deutschland, wo viele Compagnien vom Staat unterstützt werden, erhalten wir nur zirka 15 Prozent unserer Gesamtkosten, 35 Prozent decken private Sponsoren und Schenkungen ab. Den Rest müssen wir durch Auftritte in Taiwan und im Ausland einspielen. Bei unseren jährlichen Open Airs kommen 50.000 bis 60.000 Menschen, um uns zu sehen. Das ist wie bei einem Rockkonzert – nur dass eben Tanz im Mittelpunkt steht.
O&T: Die Wurzeln des Cloud Gate Dance Theatres liegen in der chinesischen Tradition. Merken Sie Unterschiede in der Rezeption, je nachdem, ob Sie in Asien oder Europa auftreten?
Lin: Ich skizziere Szenen und (auch politische) Erfahrungen aus meinem Alltag in Asien. Mein kultureller Hintergrund ist chinesisch. Aber die Produktionen, die wir machen, sind zeitgenössisch, da wir moderne Menschen sind. Die Wahrnehmung des Publikums ist, denke ich, verschieden. „Moon Water“ beispielsweise, ein Stück zu Musik von Bach, kommt in Berlin ganz anders an als irgendwo in Taiwan auf dem Land, wo niemand Bach kennt. Oder „Cursive“. Selbst Chinesen sind keine Experten in Kalligrafie, anders als Europäer glauben sie jedoch, sich darin auszukennen. Mit welchem Background auch immer – ich bin überzeugt, die Schönheit und Spannung einer Bühnenaufführung ist allen Menschen zugänglich.

Vom Massaker am Platz des himmlischen Friedens in Peking ist Lins Solo „Requiem“ (Musik: Franz Liszt) inspiriert: Die Tänzerin Dung Shu-fen packt alle Tragik, Trauer und Verzweiflung in einen derwischartigen Drehtanz, wobei sich ihr Oberkörper krümmt und wieder aufbäumt. Nur einmal hält sie kurz in ihrem endlosen Kreisen um die eigene Achse inne und führt die geballte Faust zu Boden. Butoh kommt einem in den Sinn, und Wigmans Ausdruckstanz oder „Lamentation“ von Martha Graham, die Lin während seines Studiums in Amerika kennen lernte.

Im zweiten Teil des Gastspielprogramms gewinnt die Kraft der Ästhetik die Oberhand – ein Wechselspiel von Licht und Schatten, das in „White II“ (Musik: Alex Cline) den Blick auf die Tänzer lenkt. Ihre Auftritte unter tief hängenden Scheinwerfertraversen und schwarzen Tüchern wirken in ihrem Energiepotenzial kontrolliert. Nach und nach setzt ein Wandel ein, der Tanz beschleunigt und der Bühnenraum leert sich. Wie in einem Schattenriss aus diagonalen Linien zieht das Ensemble die Klebestreifen des schwarzen Tanzbodens ab, so dass für das unmittelbar folgende „White III“ der darunterliegende weiße Boden sichtbar wird.

Zu den Klängen von Atsuhiko Gondais „The Beginning of the End/After the End“ scheint daraufhin das gesamte Cloud Gate in immer neuen Gruppierungen förmlich zu explodieren: Die Tänzer zischen wie grazile Katapulte durch die Luft. Kampf oder Lebensfreude? Die Wirkung ist jedenfalls großartig.

Vesna Mlakar

Movimentos Tanzpreisträger 2009:

Beste Choreografie: „Entity“ von Wayne McGregor (England). Beste Nachwuchskünstler: Hofesh Shechter (England) und Dave St-Pierre (Kanada). Beste tänzerische Leistung: Mercedes Ruiz (Spanien; Flamenco) und Abou Lagraa (Frankreich).

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