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Warum im Kirchenchor singen

„Kirchenlieder. Ein Chorprojekt“ am Schauspiel Stuttgart · Von Andreas Hauff

Was interessiert eine Musikzeitschrift am Stuttgarter Schauspielhaus? Auf dem Spielplan steht „Kirchenlieder. Ein Chorprojekt“ in der Inszenierung von Ulrich Rasche. Die Vorankündigung stellt einen ganzen Haufen spannender Fragen: Woher kommt die Vorliebe für geistliche Musik – gerade in Stuttgart und Umgebung? Warum gibt es hier so viele Chöre? Welche Rolle spielt dabei der Pietismus? Und weiter, wörtlich zitiert: „Welche Bedeutung haben Kirchenlieder heute noch? Warum singen Menschen überhaupt Kirchenlieder im Chor – in unserer vermeintlich säkularisierten und hochgradig individualisierten Gesellschaft? Was passiert eigentlich im Moment des Singens – körperlich, intellektuell und spirituell?“

 
Schreitende Sänger und Schauspieler im Projekt „Kirchenlieder“. Foto: David Graeter
 

Schreitende Sänger und Schauspieler im Projekt „Kirchenlieder“. Foto: David Graeter

 

Intellektuell versucht sich Rasche dem Phänomen von verschiedenen Seiten zu nähern. Auszüge aus drei ganz verschiedenen Texten werden während der Aufführung abwechselnd rezitiert. Friedrich Hölderlins „Hyperion“ steht hier für die romantisch-poetische Seite, Max Webers „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ für die nüchtern-analaytische. Ein Interview mit Joseph Beuys unter dem Titel „Christus Denken“ beleuchtet mit mystischem Einschlag die emanzipatorisch-kreative Komponente. Die Auswahl wirkt durchaus treffend. Die Worte werden im Chor von den Schauspielern beim Schreiten gesprochen – langsam, meditativ, ohne besondere Akzentuierung.

Für den Zuhörer ist es anstrengend, hier den roten Faden zu behalten. Was er zunächst vor allem wahrnimmt, ist der unerbittliche Puls, der die Aufführung 75 Minuten lang beherrscht – als durchdringender elektronischer Tonimpuls, und als Lichteffekt, der die quadratischen Segmente der Bühne wechselweise in die Farben Schwarz und Weiß taucht. In konzentrischen Kreisen schreiten Schauspieler und Sänger in einzelnen Gruppen auf verschiedenen Stufen um die erhöhte Bühnenmitte. Manchmal zählt jemand kurz den Takt, dann steigen sie auf, wechseln die Ebene oder verlassen die Bühne wieder. Alle tragen stilisierte Alltagskleidung in gedämpften Farben.

Chorgesang soll zu den Sprechchören hinzutreten. Von Felix Mendelssohn Bartholdy, dem entschiedenen Protestanten, erklingen Auszüge aus „Jesus, meine Zuversicht“, „Mitten wir im Leben“ und „Richte mich, Gott“. Für die römisch-katholische Annäherung an die protestantische Chortradition steht Max Reger mit den Kompositionen „Der Mond ist aufgegangen“, „Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine Zeit“, „Schönster Herr Jesu“, „Mein Odem ist schwach“ und „Ach, Herr, strafe mich nicht“. Auch hier scheint die Auswahl prinzipiell sinnvoll, denn sie bündelt verschiedene stilistische Facetten und Inhalte. Als die erste Chorstimme einsetzt, nach einer Weile die zweite, dann die restlichen beiden, glaubt man zunächst, hier werde der Klangwerdungsprozess im Chorsingen nachgezeichnet. Doch der Gesang erschöpft sich dann in der ein- oder mehrstimmigen Wiederholung je einzelner Phrasen als Endlosschleifen. 75 Minuten lang wechseln auf diese Weise Texte und Gesänge in meditativer Kreisbewegung, dann bricht die Aktion plötzlich ab. Soll es das gewesen sein?

Später, beim sehr angeregten Publikumsgespräch mit der Dramaturgie, berichtet eine faszinierte Zuschauerin, sie habe die ganze Zeit den Weg einer einzelnen Darstellerin verfolgt. Gegen diese und ähnliche Erfahrungen der kontemplativen Versenkung im Theater ist grundsätzlich gar nichts einzuwenden. Allerdings fällt auf, dass die eingangs gestellten Warum-Fragen damit in keiner Weise beantwortet werden, und dass Rasche und seine Mitarbeiter den Gehalt von Text und Musik praktisch nicht nutzen, sondern ihn radikal den „Urphänomenen“ Kreislauf und Pulsschlag unterordnen. Ein Text aber will Sinnzusammenhänge herstellen, eine musikalische Phrase will sich weiterentwickeln, ein Chorsänger erlebt Probe und Auftritt als Prozess, und christlicher Glaube will bewegen.

Das Programmheft endet mit John Cages „Vortrag über Nichts“, und auch Dramaturg Christian Holtzhauer zitiert im Publikumsgespräch begeistert Cages Schweigestück „4’ 33“. Doch Cages buddhistisch geprägte Absichtslosigkeit ist weit entfernt von dem abendländisch-christlichen Zielbewusstsein, dem es hier nachzuspüren gälte, und auch weit weg von dem geistig-intellektuellen Anspruch, der den Protestantismus schon seit Luther charakterisiert. So offenbart die Stuttgarter Aufführung außer beachtlicher handwerklicher Perfektion zweierlei: einerseits die Unerfahrenheit von Theaterleuten im Umgang mit Religion und Religiosität, andererseits jedoch deren neu erwachtes Interesse.

Andreas Hauff

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