Im Belloto-Gang mit Blick auf den Zwinger-Hof musste ich mich durch eine geballte Menge hindurchquetschen, um dann nicht schlecht zu staunen. In Canalettos wohl berühmtester Dresden-Vedute „vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke“ schwebte links oben das Porträt des Bomber-Harris und aus den Dächern der Altstadt, rechts neben der rot glühenden Frauenkirche, auf deren Kuppel eine Hakenkreuzfahne flatterte, schlugen hohe Flammen im Stil bäuerlicher Malerei. Neben der Bildbeschreibung hing eine Pappe mit der Aufschrift: „Zum Tag der aktuellen Bearbeitung“. Beim Weg durch die Rotunde zu den Niederländern geriet ich in einen Menschenstau vor Raffaels „Sixtinischer Madonna“. In deren blauen Mantel hatte ein Witzbold Teile von Pablo Picassos „La pisseuse“ derart einmontiert, dass die beiden Engel am unteren Bildrand, eines der beliebtesten Weihnachtspostkarten-Motive, voll bestrahlt wurden. Das Publikum grinste und grollte zugleich. Die bearbeiteten Bilder ausgenommen, hingen die Niederländer, wohl um der Verfremdung willen, allesamt verkehrt herum. In Adriaen Brouwers „Bauernrauferei“ schlugen die Weltkrieg I-Anheizer Ludendorff und König Ludwig III. von Bayern auf einen weinenden Kaiser Wilhelm II. ein. Als ich entdeckte, dass auf Gabriel Metsus „Selbstbildnis mit Frau“ Franz Müntefering und Angela Merkel zu sehen waren, wachte ich auf. Tagreste waren es wohl, die meinen Traum von den aktualisierten Alten Meistern ausgelöst hatten. Vor dem Einschlafen hatte ich in Tages- und Wochenzeitungen, zuletzt in zwei Ausgaben eines Wochenmagazins die neuesten Kriegsberichte von der Front des deutschen Theaters gelesen, das im „Kulturkampf“ zum „Lieblingsfeind“ von „Boulevardjournalisten, Honoratioren und einer kleinen Schar seriöser Kritiker erwählt“ worden sei. In allen Beiträgen ging es um das Gleiche. Die Kriegsberichterstatter verteidigten oder attackierten das deformierende, angeblich stückaktualisierende „Blut- und Hodentheater“: „Eine linke Heilsarmee aus ichsüchtigen Regie-Despoten … verwandelt nationale Schaubühnen in Schädelstätten der Perversion. Sie pinkeln auf Kruzifixe, schänden den weiblichen Körper … Das deutsche Theater – ein Exzess“ (Die Zeit, 16.03.06). „Jungdeutsche Theaterregisseure sind dabei, die üppigste Theaterlandschaft der Welt mit ihren abgelatschten Schocks endgültig zu ruinieren“ (Der Spiegel, 10/2006). Welch ein bewusstes Missverständnis, welch eine Hybris. Als wüssten die Schreiber nicht, dass alle Kunst aller Zeiten, auch das geschriebene und das in Szene gesetzte Theater, die Sexualität, die Obszönität, ja die handfeste Sauerei mal mehr, mal weniger zu ihrem Gegenstand gemacht hätte. Nur die Rezeption dessen war und ist jeweils unterschiedlich. Unsere angeblich so aufgeklärte Zeit ist angesichts der Kommerzialisierung aller Sauereien vielleicht auf dem Rückzug in die Prüderie. Aber darum geht es beim losemäulig ausgerufenen „Theaterkampf“ gar nicht. Das große Ärgernis sind nicht die Texte der Elfriede Jelinek, die blutige Selbstentmannung des Hofmeisters, das Onanieren des Rodrigo oder die Gewaltausbrüche in der „Schändung“ von Botho Strauß: Das mag ertragen werden oder nicht, es ist stückimmanent gerechtfertigt. Das Ärgernis ist die Respektlosigkeit gegenüber den Autoren und ihren Werken. Wenn Calixto Bieito die Massenvergewaltigung der Azucena zeigt, die Soldaten auf die Leiche einer geschändeten Frau urinieren lässt, dann ist das – selbst bei Einsicht in seine durch das Programmheft vermittelten Beweggründe – doch nur Zweierlei: Ein sträflicher Etikettenschwindel des Theaters, das da behauptet, es brächte Verdis „Il trovatore“ zur Aufführung, statt dem Publikum mitzuteilen, dass es sich um eine freie Darbietung oder Bearbeitung von Motiven der Librettisten Cammerone und Bardera handelt. Vor allem aber ist die wahre Obszönität nicht das auf der Bühne Exekutierte, sondern die Vergewaltigung Giuseppe Verdis durch die Bearbeitung. Wenn Gurnemanz den Toren Parsifal aus dem Saal der Gralsburg weist und das, wie wohl demnächst zu erwarten ist, mit den Worten tut: „Verpiss dich, du dummes Arschloch!“, und wenn dann statt der „Glocken auf dem Theater“ eine furzende Basstuba zu hören ist, wird weiterhin auf dem Theaterzettel stehen: „Parsifal. Ein Bühnenweihfestspiel von Richard Wagner. Text vom Komponisten“. Ihr Stefan Meuschel
|
||||||||||||||||||||||||||
|
|