Wolfgang Antesberger: Der Titel ist natürlich etwas humorvoll gedacht. Worum es mir im Kern aber geht, ist die Tatsache, dass Mozart wie kein anderer Komponist eine Epoche bestimmt, während seine Zeitgenossen zum Teil völlig in Vergessenheit geraten sind. Für mich ist es immer wichtig, Musik in ihrem zeitlichen und sozialen Kontext zu verstehen. Als ich vor zehn Jahren das erste Mal in der Situation war, ein Mozart-Festival zu leiten, war es selbstverständlich, dass ich mich mit den Zeitgenossen auseinandergesetzt habe. Natürlich fallen einem zuerst die Namen Haydn, Salieri oder Süßmayr ein. Aber in den folgenden Jahren habe ich mich weiter mit diesem Thema beschäftigt, und am Ende hatte ich zweieinhalbtausend Musiker und Komponisten gefunden. Alle in dem Buch Porträtierten waren zu Lebzeiten mindestens genauso erfolgreich wie Mozart, oft sogar erfolgreicher. Sie kreuzen irgendwann Mozarts Wege, erzählen in Briefen von seiner Existenz oder äußern sich über seine Werke. „Vergisst“ man also für einen Moment die Lichtgestalt Mozart, öffnet sich dem Musikinteressierten ein breites Spektrum ungewöhnlicher Viten und anspruchsvoller Werke seiner Zeitgenossen. Aus dieser Idee sind dann das Buch, knapp 60 Radiosendungen und zwei Musikfestivals in Wien und Salzburg entstanden. Eberhard: Wem begegnet man nun in Ihrem Buch? Antesberger: Es werden zehn Zeitgenossen Mozarts vorgestellt, wobei er selbst immer präsent ist, immer im Hintergrund – wie bei einem Hitchcock-Film. Der Franzose François-André Philidor zum Beispiel, eine hochinteressante Figur, weil er zu gleichen Teilen Musiker und Komponist auf der einen Seite, berühmter Schachspieler auf der anderen Seite war, das eine in Paris, das andere verstärkt in London. Solche Polarisationen interessieren mich. Oder Adalbert Gyrowetz. Der macht sich aus Böhmen auf, kommt nach Wien, lernt Wolfgang Amadeus Mozart kennen, der Sinfonien von ihm dirigiert. Er kommt nach Rom und trifft dort Goethe, der über ihn in seiner italienischen Reise schreibt. Sein Weg führt ihn weiter über Frankreich nach London, wo er Joseph Haydn das Entrée zum dortigen Publikum verschafft. Das alles sind interessante Details, die rückblickend ein anderes Mozartbild ergeben. Eberhard: Es wird zusätzlich zwei Rundfunkreihen bei Bayern 4 Klassik geben, denen Ihr Buch zugrunde liegt. Wie werden die aussehen? Antesberger: Die eine findet wöchentlich statt: authentische Geschichten von Mozart-Zeitgenossen, die sehr plastisch gestaltet sein werden – das sind siebenminütige „Hörbilder“ im besten Sinne. Die zweite Reihe wird aus klassischen Musikfeatures bestehen, insgesamt sechs Sendungen im Format von eineinhalb Stunden. Da kann man mehr in die Tiefe gehen, und hier werden mir auch verschiedene Wissenschaftler, Musiker und Dirigenten als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Eberhard: Welchen Bezug zu Mozart haben Sie als Musiker und Sänger? Antesberger: Mit Mozart verbindet mich in erster Linie seine großartige Musik. Und es ist schon etwas Besonderes, als Sänger im Staatsopernchor bei den Mozart-Aufführungen im Nationaltheater mitzuwirken. Aber ich habe auch seine Kammermusik sehr intensiv kennen gelernt. Und wenn die zu Mozarts Zeit auch eine untergeordnete Rolle gespielt hat – das Zentrum der Musik war die Oper –, die Raffinesse und die Genialität Mozarts lässt sich dort oder in der Orchesterpartitur, am besten erfahren. Eberhard: Schauen wir uns Ihre Biographie an: Sänger, Musiklehrer, Dirigent, Kulturmanager, Arbeiten für Rundfunk und Fernsehen. Sie sind ein Tausendsassa. Woher kommt das? Antesberger: Es gehört zu meinem Wesen, mich für die unterschiedlichsten Dinge zu interessieren. In meinen Augen ist es gar nicht so entscheidend, was man tut – es kommt darauf an, wie man es tut. Und dann entdeckt man in allen Inhalten, mit denen man sich beschäftigt, Ähnlichkeiten. Daher kommt der gewisse Mut, mich in neue Sujets zu begeben. Vielleicht ist auch ein bisschen kindliche Neugierde dabei, die mir in der Sache oft dienlich ist. Eberhard: Aber auch Ihr Tag hat nur 24 Stunden. Wie gehen die unterschiedlichen Aktivitäten mit Ihrem Engagement als Chorsänger zusammen? Antesberger: Da füllen sich natürlich in erster Linie die Leerräume: die Mittagspausen, die Zeit vor der Probe oder auch nach der Vorstellung. Ich denke nicht in Stunden; ich denke, alle diese Projekte sind Kinder und wollen geboren werden. Ich gebe mein Möglichstes dazu und manchmal muss ich aus einer Stunde zwei machen. Eberhard: Ihre Frau ist auch im Staatsopernchor. Das muss ja organisiert werden, wenn beide gleichzeitig proben und Vorstellung haben. Antesberger: Das stimmt. Aber unsere beiden Kinder sind Gott sei Dank schon etwas älter. Dieses Mozart-Projekt ist etwas, was schon seit zehn Jahren in mir wühlt, also wesentlich länger als mein Engagement hier an der Staatsoper. Mich interessiert hauptsächlich das Ergebnis, nicht der Weg, und dafür mobilisiere ich gerne zusätzliche Kräfte. Das ist für mich auch ein schöpferischer Prozess. Ich habe während der ganzen Zeit mit dem Buch, die wirklich sehr anstrengend war, mehr über die eigene Person erfahren als über die Mozart-Zeitgenossen.
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