Zuletzt konfrontierte „Oper & Tanz“ Komponisten
und Chorexperten mit der Meinung, Sänger und Chordirektoren
hätten bisweilen gar kein Interesse an Neuer Musik. Die Problematik
dieser Spekulation steckt für Alex Nowitz schon in dem unpräzisen
Begriff von der Neuen Musik: „Dieser entstand nämlich
bereits in den 50er- und 60er-Jahren und wird in der Regel mit
den Protagonisten der Darmstädter Schule in Zusammenhang gebracht.
Wenn also heute Chorleiter und Chorsänger tatsächlich
kein Interesse an aktueller Musik haben sollten, dann ist das aus
meiner Sicht auch das Ergebnis von Missverständnissen, die
sich in jenen Jahren gebildet, in den Köpfen festgesetzt und
sich bis heute zum Teil bizarr gehalten haben. Jeder von uns sollte
sich einmal fragen, was eigentlich mit sogenannter ‚Neuer
Musik’ gemeint ist. Dieser Begriff ist schnell verwendet
und doch ist damit überhaupt nichts ausgesagt. Weder die Musik
noch die Gesellschaft der Gegenwart ist mit derjenigen der 60er-Jahre
zu vergleichen. Dennoch wird alles gerne in einen Topf geworfen.
Es stellt sich auch die Frage, warum das so ist? Weil wir keine
Benennung dafür finden, dass wir längst untergegangen
sind im Strudel des Stilpluralismus, wo alles möglich und
kein Anker mehr weit und breit in Sicht ist? Oder weil es schlicht
bequemer ist, das Unbekannte von vornherein wegzutun und dadurch
abzuwerten, indem man ihm den Stempel des Klischees aufdrückt?“ Es ist jedoch nicht allein die leichtfertige Rede von der Neuen Musik, die nach Auffassung von Alex Nowitz eine reflektierte Aneignung des ganzen Reichtums der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts verhindert. Zudem möchte der Komponist die Hochschulen bei der Heranführung der künftigen Chorsänger an die technische wie stilistische Vielfalt der zeitgenössischen Musik stärker in die Pflicht nehmen. Gewiss sei es richtig, konzediert Nowitz, wenn das Gesangsstudium zunächst einmal dazu diene, „die eigene Stimme einem Klang-ideal anzunähern, das wir als Belcanto-Stil bezeichnen. Da lässt sich auch nichts forcieren. Die Zeit zum gründlichen Studium der eigenen Stimme und ihrer Möglichkeiten muss sein! Ein nicht weniger wertvolles Ziel des Studiums ist es, so viele Stücke wie möglich kennen zu lernen und zu studieren. Um die Belcanto-Stimme zu festigen, werden Werke aus der Klassik und Romantik bevorzugt. Auch die aktuellere Musik ist Bestandteil des Lehrplans, wo sie oft leider nur eine Alibifunktion erfüllt und zudem mit wenig Elan vermittelt wird. Meist werden dann nur Werke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts studiert. Wenn wir nun aber darüber sprechen wollen, inwieweit auch Stimmtechniken unterrichtet werden, die über das Klangideal des Belcanto hinausreichen, muss ich leider ein düsteres Bild zeichnen. Das Vokabular erweiterter Stimmtechniken (Extended Techniques) wird vom Unterricht gänzlich ausgeschlossen. Die Möglichkeiten des modernen Stimm- und Gesangausdrucks sind unerschöpflich und das Repertoire hierfür wächst stetig an. Hier an der Schnittstelle zwischen der Praxis der Ausübung von Kunstmusik einerseits und der Pädagogik, also der Vermittlung der Inhalte, andererseits klafft mittlerweile eine große Lücke. Diese Fehlentwicklung, im wahrsten Sinne des Wortes, muss schleunigst korrigiert werden. Die Aufgabe der Pädagogik ist nicht nur, den Studenten neue Werke nahe zu bringen und sie zu erarbeiten, sondern auch deren zeitgemäße, angemessene und überzeugende Interpretation zu lehren.“ Was aber nützt eine noch so gute Ausbildung, wenn später den Chorsängern kaum Gelegenheit gegeben wird, ihr Können in neuen Stücken auszuprobieren? Aktuelle Opern-Auftragskompositionen sehen oft keinen Chor vor. Den rechtfertigenden Hinweis auf zu geringe Etats weist Nowitz indes zurück: „Ein Theater ist wie jedes andere Unternehmen durchaus in der Lage, durch die Einbindung diverser Sponsoren und Stiftungen den finanziellen Rahmen zu schaffen, damit auch der Chor in eine neue Musiktheaterkomposition integriert werden kann. Alles, was wir dazu brauchen, ist eine Theaterleitung, die mit Mut, Verantwortungsbewusstsein und vor allen Dingen mit Phantasie und Kreativität das Schiff Musiktheater lenken kann und will.“ |
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