Als Einheitsbühnenbild, als Stillleben, das in der Wucht, wie sich dieses Riesengefährt in der Jahrhunderthalle quergestellt hat, etwas Schicksalhaftes hat. Und zum Schicksal dieser Inszenierung wird. Mal hebt sich das Ungetüm, vom Kran geliftet, mal dreht es sich. Dann wieder geht es zu Boden. Aber es verschwindet nicht. Die Poesie, die Musik, die Bilder, die bald anheben, die dekorativen Arrangements, die sich reckenden Arme und Hände am Bauch des Lasters, sterbende Krieger auf der Kühlerhaube – sie alle kommen nicht dagegen an. Was fehlt, ist die Kraft zur Opposition. Eine, die stärker, listiger, erotischer wäre als dieses stumme Menetekel einer Welt auf dem Irrweg der Gewalt. Die kommt überfallartig. Explosionslärm schießt durch die Weite der Jahrhunderthalle. Kampfhubschrauber flattern über dem Dach. Hollywoods idiomatische Kriegsfilmbilder. Es wummert und blitzt, dass es jedem Game-Kid an der Playstation eine Freude wäre. Einen Schalter umlegen, ein akustisches Gewitter auslösen. Sobald der Sturm vorbei ist, werden wir Zeugen der Visionen des komatösen Soldaten Salam, unseres Alter Ego. Ein Gutmensch, ein Pazifist im Kampfanzug liegt da im Sand. Salam („Frieden“) hat Großes vor. Er will Leila und Madschnun zusammenbringen. Dann wäre Frieden. Was im Okzident „Tristan und Isolde“ ist, das kennt der Orient als Geschichte der Kinder Qeis und Leila, die auseinandergerissen werden, woraufhin sie zwangsverheiratet wird und er fantasierend durch die Wüste irrt, um zu Madschnun, zum „Wahnsinnigen“ zu werden. Salam, der allzu brave Soldat, hat „Leila und Madschnun“, das Epos des altpersischen Poeten Nizami (1141–1209) während der zweistündigen Decker-Inszenierung immer griff- und lektürebereit im Tornister. Glaubensstark ist er allzeit bereit, sich in den Sand zu werfen, um mit bebenden Lippen zu rezitieren. Nichts ist geblieben von der Härte der Mutter Courage, nichts von der List des anderen Soldaten namens Schweijk. Eine Figur wie aus der Retorte. Aleksandar Radenkovic deklamiert denn auch die expressiv-geläufige Verskunst des Librettisten Albert Ostermaier, als ob er im Beichtstuhl säße. Eindimensional. So ist es ein kleiner Schritt vom Krieg-nicht-wollen zum Gar-nichts-mehr-wollen. Am Ende, als Leila ihn, Salam, irrtümlich für Madschnun hält, kapituliert er, geht den Weg der Selbstverbrennung. Samir Odeh-Tamimi, damit beauftragt, die Musik zu diesem Sentimental-Drama
zu schreiben, hatte hörbar ein Problem. Da Hilflosigkeit,
Unglaubwürdigkeit schlecht zu komponieren sind, hat er sich
entschieden, das Verbissene nach außen zu kehren. Dies macht
das Gepresste, Panisch-Manische seines Orchester- und Chorsatzes.
Stotternde, explosionsartig abgeschossene Sechzehntel, Zweiunddreißigstel.
Wobei er zur Pression auch ihr Gegenteil fügt. Lallende, halb
gesungene, halb gesprochene Endlosbänder ohne bestimmte Tonhöhen,
glänzend gemeis- Und schließlich tritt zum Gestoßenen das Gezogene. Immer wieder bekommen es die Bläser, Streicher und Sänger mit einer Art Glissandi-Gestrüpp zu tun, dem Klang gewordenen Wahnsinn Madschnuns. Mit Linien, die wie Sägeblätter nach oben, nach unten geführt werden. Solches geht am Ohr zwar nicht spur- und schmerzlos vorüber, ist aber kein Problem für die Solisten des Ensembles musikFabrik unter einem energisch Dampf machenden Peter Rundel. Zudem hat man sich mit einer herausragenden Margit Kern (Akkordeon) und einem ihr darin nicht nachstehenden Jeremias Schwarzer (Blockflöte) sinnvoll verstärkt. Nur: „Leila und Madschnun“, inszeniert als „theatralische
Erzählung“ zwischen
Schauspiel, Action und Musiktheater, hilft dies nicht. Ein Dauer-Espressivo
macht noch kein Durcharbeitungsangebot. Tristan hatte Isolde. Madschnun,
tapfer gesungen vom Counter Hagen Matzeit, hat in der mädchenhaft
wirkenden Nadine Schwitter eine sprechende, keine singende Leila.
Dieses Bündnis aber bräuchten er und Regisseur Willy
Decker mindes-tens, um den Karren, der im Sand der Jahrhunderthalle
feststeckt, herauszuziehen.
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