Die Diskrepanz zwischen politischen Lippenbekenntnissen und gelebter Wirklichkeit lässt uns nicht los, verfolgt uns geradezu, uns, die wir tagtäglich mit den Unzulänglichkeiten der Kulturfinanzierung konfrontiert werden, wenn wir in langwierigen, mühseligen Haustarifverhandlungen um den Erhalt der Kulturinstitutionen kämpfen. Wenn wir durch den inzwischen schon nahezu institutionalisierten Verzicht der betroffenen Beschäftigten die Versäumnisse der politisch Verantwortlichen auszugleichen versuchen. Sisyphos lässt grüßen! Resignation macht sich breit, sei es in Halle, in Bautzen, in Plauen/Zwickau, Neubrandenburg, Greifswald, Dessau, Weimar, Nordhausen, Annaberg, Hagen, Wuppertal, um nur einige Standorte zu nennen. Sie alle leiden unter einer chronischen Unterfinanzierung, die die jeweiligen Strukturen bedroht. Das Problem bei der Frage der auskömmlichen Finanzierung sind oftmals gar nicht die ohnehin schon allzu arg gebeutelten Kommunen, die eigentlich willens sind, ihre Theater zu halten. Die Länder senken jedoch stetig ihre Kofinanzierungsbeiträge und der Bund gräbt den Kommunen zunehmend die Steuereinnahmen ab. Darüber hinaus leiden die Kommunen unter den ihnen von den Ländern vermehrt zugewiesenen Aufgaben, die es zu erfüllen gilt. Somit bleibt ihnen oftmals gar nichts anderes übrig, als an die „freiwilligen“ Aufgaben heranzugehen. Diese sogenannten freiwilligen Aufgaben sind entgegen ihrem Wortlaut eigentlich nicht „freiwillig“, sondern stellen die Bereiche dar, die in eigener Verantwortung – kommunaler Selbstverwaltung – zu erfüllen sind, bedeuten jedoch formal nicht unmittelbare Verpflichtung zur Finanzierung. Und diese Bereiche sind nun mal in der Regel die sozialen, Bildung und Kultur betreffenden Strukturen. Der größte Irrtum an der ganzen Geschichte ist die Kurzsichtigkeit dieser rigiden Sparvorgaben, denn gerade wirtschaftlich wird der Faktor Kultur und kulturelles Angebot für die Infrastruktur und für die wirtschaftliche Attraktivität einer Region massiv unterschätzt. Man stelle sich vor, wie eine Region wie Dessau-Roßlau ohne das Anhaltische Theater dastehen würde, ein Weltkulturerbe mit seinem Bauhaus-Museum und den Meisterhäusern – ohne Theater?! Theater mit ihren Infrastrukturen haben eine größere ökonomische Bedeutung, als sie sich in Ticketverkäufen und Subventionen messen ließe. Prof. Dr. Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, konstatierte bereits bei der Theaterkonferenz 2007 in Dessau: Nur kulturell erfolgreiche Gesellschaften können auch ökonomisch erfolgreich sein. In seinem Impulsreferat führte er neben vielen anderen für die Gesellschaft nutzbringenden Aspekten auch den wirtschaftlichen Aspekt der sogenannten Umwegrentabilität an: Das durch den Kultursektor hereinströmende Geld stellt einen wesentlichen Teil der Stabilität für das im Umfeld dieser Kulturbereiche liegende Gewerbe dar. Ohne „Subventionen“ im Kultursektor fallen viele Einnahmen weg, und diese Beträge liegen oftmals wesentlich höher als die Unterstützungsleistungen. Politisch gibt es zwar das Bekenntnis zur kulturellen Bildung und zum Erhalt der kulturellen Landschaft; erst kürzlich hob Kulturstaatssekretär Bernd Neumann hervor, dass das Ansehen Deutschlands im In- und Ausland sehr eng mit den Leistungen für Kunst und Kultur zusammenhänge, Kunst und Kultur sei die Hefe im Teig der Kulturnation Deutschland. Indes fehlen die erforderlichen Schritte, dies auch in die Tat umzusetzen. Theater müssen sich vielmehr ständig dafür rechtfertigen, dass sie Geld kosten, in welcher Größe und dass sie überhaupt noch existieren. Die pausenlose Selbstrechtfertigung der kulturellen Einrichtungen muss aufhören. Wir müssen uns endlich davon verabschieden, mit kurzfristigen Sparpaketen das der Gefahr des unwiederbringlichen Verlustes auszusetzen, was erwiesenermaßen jahrhundertelang als der Motor der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung gegolten hat. Die Zukunft der Städte und die Zukunft der Theater, die Zukunft der Kultur und die Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung und Leistungsfähigkeit hängen unmittelbar zusammen: Wir brauchen keine Theatergutachten, wir müssen Theater gut achten, und das bitteschön nachhaltig. Gerrit Wedel |
||||||||||||||||||||||||||
|
|