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Berichte

Relevanz für die Gegenwart

„Ring“-Koproduktion zwischen Halle und Ludwigshafen · Von Frank Pommer

Man denkt in Ludwigshafen bestimmt an vieles, neben der BASF vor allem an Helmut Kohl. An Wagner dachte bis 2010 kaum jemand. Die Musik des Bayreuther Meis-
ters, das war Sache der anderen Rheinseite, war die Angelegenheit Mannheims und seines Nationaltheaters. Das hat sich seit der „Rheingold“-Premiere 2010 geändert. Seitdem wurde in Ludwigshafen eine Neuproduktion von Wagners opus magnum gezeigt, die in vielerlei Hinsicht einzigartig ist: nicht nur ästhetisch und musikalisch, sondern eben auch organisatorisch – und damit auch ein Stück weit ideell. Schließlich wurde dieser „Ring“ von Beginn an als deutsch-deutsches Projekt verkauft. Getragen, initiiert und mit großem Enthusiasmus verteidigt gegen viele Widerstände von den beiden Protagonisten: Karl-Heinz Steffens und Hansgünther Heyme. Ersterer ist in Personalunion sowohl Generalmusikdirektor der Oper Halle als auch Chefdirigent der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Steffens hatte die Idee zu einer Koproduktion zwischen Halle und Ludwigshafen, nicht zuletzt deshalb, weil er im Ludwigshafener Intendanten des Theaters im Pfalzbau, Hansgünther Heyme, seinen Wunschregisseur gefunden hatte.

Hervorragender Opernchor aus Halle in der „Götterdämmerung“ in Ludwigshafen. Foto: Gert Kiermeyer

Hervorragender Opernchor aus Halle in der „Götterdämmerung“ in Ludwigshafen. Foto: Gert Kiermeyer

So produzierten die beiden Theater also gemeinsam diesen „Ring“, wobei Halle 80 Prozent der Kosten trug, zudem einen Großteil des Ensembles und seinen hervorragenden Opernchor stellte. Kein Wunder, dass Hansgünther Heyme von einem „Göttergeschenk“ für Ludwigshafen sprach, wo sich die Staatsphilharmonie – im Alltag eines der besten Konzertorchester Deutschlands – im Graben zu bewähren hatte, während in Halle die dortige Staatskapelle einen warmen, wenn man das so sagen darf, deutsch anmutenden Wagner-Klang präsentierte. In beiden Fällen am Pult: der Barenboim-Schüler Karl-Heinz Steffens.

Heymes Regie fragt dabei stets nach der Relevanz von Wagners Werk für unsere Gegenwart. Der Regisseur orientiert sich an der Philosophie des Ludwigshafener Philosophen Ernst Bloch – vor Beginn des „Rheingolds“ sehen wir erstmals den von Kindern aus Halle und Ludwigshafen gestalteten „Vorhang der Hoffnung“ – und sucht nach der Zeitgenossenschaft Wagners. Und findet sie in brutalen Bandenkriegen in der „Walküre“ ebenso wie in der Darstellung einer dekadenten Gibichungen-Gesellschaft in der „Götterdämmerung“. Am stärksten ist Heymes Regie, wenn er die Handlung wie in einem Brennglas ganz nahe an uns heranholt. Wenn er Geschichten erzählt wie jene von Siegmund und Sieglinde, wenn er Menschen ineinander sich verkrallen, aufeinander einschlagen oder sich liebend umfangen lässt, dann ist er der Erzähler des Konkreten, Gegenwärtigen, Aktuellen. Die Götter-, Zwergen- und Riesenebene, das Märchenhafte, der Mythos ragt wie ein Zauberhandschuh in diese Welt hinein. Und am Ende reißt Heyme den „Vorhang der Hoffnung“ nieder. Der Neubeginn nach dem Zusammenbruch ist nur mehr eine vage Hoffnung, eine Chance, die man durchaus auch verpassen kann.

Musikalisch gibt es Außergewöhnliches zu erzählen von diesem von zwei Orchestern umgesetzten „Ring“. Karl-Heinz Steffens wird für seine Wagner-Lesart sicherlich immer Kritik einstecken müssen. Weil sie so viele Erwartungen enttäuscht, indem sie sich der breiten, fast schon propagandistisch vorgetragenen Emphase verweigert. Gerade in Ludwigshafen, in der äußerst schwierigen Akustik des Pfalzbaus, ist dies spürbar. Man versteht fast jedes Wort, Steffens musiziert zum Teil kammermusikalisch, trägt seine Sänger auf Händen. Das Ludwigshafener Orchester macht dabei eine erstaunliche Entwicklung durch, bei der es durchaus auch Rückschläge wie die Premiere der „Walküre“ gibt. Aber der „Ring“ ist eine lange Strecke, und am Ende gilt, was Steffens für sich selbst reklamiert, für jedes einzelne Orchestermitglied: „Ich weiß aber, dass dieses Projekt aus mir einen anderen und hoffentlich auch besseren Musiker gemacht hat.“

Und nicht hoch genug zu schätzen ist der Umstand, dass es Steffens gelungen ist, ein Ensemble zusammenzustellen, das bis auf wenige Ausnahmen überzeugt, ja im Falle des fantastischen Andreas Schager als Siegfried begeistert. Das sind keine Wagner-Schwergewichte, sondern stimmliche Gestalter, die beweisen, dass Wagner-Gesang eben nicht nur eine Sache der Kraft ist, wie etwa der großartige Gerd Vogel als Alberich oder das wunderbare Wälsungen-Paar Carola Höhn und Thomas Mohr. Bis auf die zum Übersteuern neigende Lisa Livingston als Brünnhilde beweisen alle, auch der sich steigernde Gérard Kim als Wotan, dass Belcanto und Wagner sich nicht ausschließen müssen. Alleine schon der Sänger wegen lohnt sich ein Besuch in Ludwigshafen oder Halle.

Frank Pommer

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