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Hintergrund

Ohne Berührungsängste

Ein Interview mit Peter Spuhler, Generalintendant des Badischen
Staatstheaters, zum Symposium „Opern- und Medienkunst“ in Karlsruhe

Wie könnte die Oper im Jahr 2070 aussehen? Und wie verändern die digitalen Medien schon heute das Musiktheater? Darum ging es bei einem großen Opern- und Medienkunstsymposium in Karlsruhe, veranstaltet vom Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) und dem Badischen Staatstheater. Eingeladen waren Medienkünstler und Theatermacher. Mit Peter Spuhler, dem Generalintendanten des Staatstheaters, sprach Britta Bürger (Deutschlandfunk Kultur) im Interview.

Britta Bürger: Warum drängt sich das Thema „Opern- und Medienkunst“ im Jahr 2020 auf?

Vortrag von Kay Voges, Intendant des Schauspiels Dortmund und Direktor der Akademie für Theater und Digitalität. Foto: Chris Fruehe

Vortrag von Kay Voges, Intendant des Schauspiels Dortmund und Direktor der Akademie für Theater und Digitalität. Foto: Chris Fruehe

Peter Spuhler: Die wunderbare Traditionskunstform Oper war immer ganz besonders geschickt darin, die modernsten Techniken mit ihrer eigentlichen Kunst, also mit dem Gesang und der Bühnendarstellung, zu verbinden. Daran hat auch Kay Voges in seiner Keynote erinnert: Ab dem Moment, in dem es um Oper ging, ging es auch um Maschinen: Theater als Maschinenraum. Es ging um Zauber, es ging um Verwandlung, im Barocktheater mit den klassischen Theatermitteln. Später, bei Meyerbeer, kam dann die erste Glühbirne auf der Bühne zum Einsatz – ein Sonnenaufgang – und heute interessiert sich die Oper natürlich für die neuen Medien, für die digitalen Techniken, um ihre Kunstform zu bereichern.

Bürger: Opernregisseure und -regisseurinnen arbeiten zunehmend nicht mehr nur mit klassischen Bühnenbildnern zusammen, sondern immer häufiger mit Medienkünstlern. Auch werden Opern immer häufiger von Schauspielregisseur*innen inszeniert. Ist der Einsatz digitaler Technologien in der Oper vielleicht auch ein Trend, der vom Schauspiel herüberschwappt?

Spuhler: Ich glaube, das ist ein Trend, der eigentlich schon viel älter ist. In der Bühnenkunst als Gesamtkunst geht das schon mit Piscator los. Dann gab es Josef Svoboda, diesen genialen Techniker, Erfinder und Bühnenbildner mit der Laterna Magica nach dem Zweiten Weltkrieg. Das heißt, die Ursprünge liegen immer 40 oder 50 Jahre früher, als wir das gemeinhin wahrnehmen. Manuel Braun, einer der gefragtesten Videokünstler, der gerade den „Tannhäuser“ in Bayreuth mit seiner Filmkunst ausgestattet hat, hat kritisch gefragt: Warum ist Video eigentlich noch so etwas Besonderes? Es ist doch eigentlich etwas Selbstverständliches, ein Ausdrucksmittel unserer Zeit.

Sehr spannend fand ich, was der Musikwissenschaftler Stefan Mösch sagte, nämlich: Es ist langweilig, wenn wir Medienkunst als Bebilderungsinstrument nehmen, wenn also die Medienkunst die historische gemalte Dekoration ersetzt. Das wäre nur wieder Dekoration mit gemalten Bildern. Interessant wird es dann, wenn es ein enges Zusammenwirken gibt zwischen Komponisten, digitaler Technik und optischer Digitalität. Interessant ist, dass wir alle, als wir das Symposium konzipiert haben, erstmal an die optischen Mittel gedacht haben. Aber natürlich gibt es Digitalität und Medienkunst auch in der Komposition. Es gibt kompositorische Algorithmen, wo der Computer selbst komponiert. Und es gibt kompositorische Unterstützung durch Computer und Digitalität.

Bürger: Sie haben auch viele internationale Teilnehmer zu dem Symposium eingeladen, aus Linz, aus Helsinki, aus Moskau und St. Petersburg. Welche Impulse, welche Innovationen sind für Sie aus diesem internationalen Kontext besonders interessant?

Spuhler: Spannend ist, dass wir Deutschen ja oft das Gefühl haben, dass wir in allem relativ weit vorne sind, sei es im Umweltschutz, sei es in ästhetischer Entwicklung, auch auf dem Gebiet der Oper und auf dem Gebiet der Digitalität. Dann stellen wir auf einmal fest: Andere Länder sind weiter, haben weniger Berührungsängste. Da gibt es einen viel freieren Umgang in der Kombination „Oper und Digitalität“. So zum Beispiel in Finnland: Die Intendantin der Nationaloper hat uns erklärt, dass sie ein regelmäßiges Festival haben, bei dem sie Medienkünstler aus der ganzen Welt einladen, sich an einem Wettbewerb zu beteiligen, und dort auch zusammenarbeiten mit den Forschungslaboratorien von Nokia, die sie mit ihrem Knowhow unterstützen. Das ist natürlich unendlich interessant: der Blick auf das Theater nicht nur als ein modernes oder klassisches Museum, sondern dass Theater auch ein Labor sein kann. Dieser Gedanke war für mich einer der stärksten Impulse aus dem Symposium heraus: dass wir an unseren Häusern in Deutschland Forschungsabteilungen brauchen. Das Interessante am Forschen ist auch das ziellose Forschen. Oder dass man etwas anderes bekommt, als man ursprünglich erreichen wollte. Wir kennen alle dieses wunderbare Beispiel: August der Starke will Gold haben, und seine Forscher re-erfinden das Porzellan, ein anderes Gold, ein weißes Gold. Ich habe für mich mitgenommen, dass wir eigentlich – und da wäre Karlsruhe ein wunderbarer Ort – ein solches Forschungslabor brauchen für digitale Kunst und Oper/Musiktheater. Zum einen ist Karlsruhe gerade „city of media arts“ geworden... Zum anderen gibt es hier einige hochinteressante Player: das Zentrum für Medienkunst, ZKM, eines der Top Ten Museen in der Welt und in seiner Form relativ einzigartig… Dann die Hochschule für Musik, die Hochschule für Gestaltung und das Staatstheater, die wir jetzt eine Reihe „Opern- und Medienkunst“ aufgelegt haben, wo wir einmal im Jahr eine entsprechende Inszenierung auf die Bühne bringen wollen.

Bürger: … Was bedeuten denn diese digitalen Veränderungen für die Sängerinnen und Sänger und für das Orchester? Damit sind ja viele neue Herausforderungen verknüpft, und die bekommen nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit.

Spuhler: Es war sehr interessant, was der kluge Dramaturg Carl Hegemann gesagt hat: Es geht letztendlich beim Theater – und damit meinte er Oper und Schauspiel – immer um körperliche Koexistenz, darum, dass lebendige Zuschauer in einem Raum den lebendigen Künstlerdarsteller spüren und erleben. Das ist der Kern. Bei allem Interesse an neuen Medien dürfen wir nicht vergessen, dass da Theater entsteht. Dem hat Kay Voges widersprochen, der als Intendant in Dortmund momentan vielleicht der innovativste Intendant ist, was den Einsatz neuer Medien in Deutschland betrifft. Er hat seine Inszenierung erwähnt, die er zusammen mit dem Berliner Ensemble realisiert hat. Die Aufführung findet gleichzeitig in Berlin und in Dortmund statt und wird über Glasfaserkabel übertragen, ist also an zwei Orten erlebbar. In Dortmund in der digitalen Übertragung aus Berlin und dem Dortmunder Live-Teil; in Berlin mit dem Berliner Live-Teil und der Dortmunder Übertragung. Er hat dafür plädiert, dass wir in Zeiten, in denen wir nicht mehr von drei Dimensionen reden, in denen physikalische Erkenntnisse – Einstein! – uns zeigen, dass es viel mehr Dimensionen gibt, diese Idee der Mehrdimensionalität der Gleichzeitigkeit und des nicht mehr „normalen“ Verstehens von Raum ins Theater einfließen lassen müssen. Und dass wir uns möglicherweise auch von dem Gedanken verabschieden müssen, dass wir mit den aktiven Künstlern im gleichen Raum sind. Vielleicht treffen wir sie in einem virtuellen Raum.

Bürger: Würden Sie sagen, dass die traditionelle Oper, bei der vor allem die Musik im Mittelpunkt steht, ein Auslaufmodell ist?

Spuhler: Überhaupt nicht. Die ist stark wie immer. Da war ein Panel mit den Komponisten spannend. Ich sehe hier die größte Möglichkeit, Türen zu öffnen, was die traditionelle Kunstform betrifft: in der Frage des Komponierens. Wir wissen alle, dass in der Oper die Musik das Wichtigste ist: prima la musica. Die Frage ist: Wie werden sich Komponisten in der Jetztzeit, in der Zukunft des Computers, der Künstlichen Intelligenz bedienen, um zu komponieren? Ich mache mir ansonsten um die Oper gar keine Gedanken. Sie ist lebendig wie immer, sie ist klug genug, sich der neuen Medien zu bedienen. Es hat jemand sehr schön gesagt, dass die Zauberoper, also Mozarts „Zauberflöte“, natürlich alle damaligen Möglichkeiten für die Wasserprobe, für die Feuerprobe eingesetzt hat, die zur Verfügung standen. Und wenn Mozart und Schikaneder damals schon über Medienkunst verfügt hätten, hätten sie sie wahrscheinlich eingesetzt, um die Menschen zu verzaubern, und zwar ohne Berührungsängste. Das wurde auch immer wieder betont: Die Oper hatte nie Berührungsängste und sie hat nie ihren Kern, ihre eigentliche Wesenheit verloren, weil sie so stark ist.

Bürger: Wer war denn Ihr Publikum bei diesem Symposium?

Spuhler: Das war erstaunlich: Ich hatte vielleicht 50 interessierte Fachleute aus dem Theater erwartet. Stattdessen waren wir ungefähr 200 Menschen, und die meisten davon kannte ich nicht: sehr viele junge Leute, offensichtlich Medienkünstler aus ganz Deutschland. Es war für mich ein Zeichen, dass wir unseren „bubble“ verlassen haben, in dem wir Theaterleute auch sind, und uns in Begegnung begeben haben mit neuen Leuten. Das ist für mich eigentlich das großartigste Ergebnis dieses Symposiums.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Deutschlandfunk Kultur (Sendung vom 25. Januar 2020)

Britta Bürger

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