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Editorial

Theater und Gewissen

Viele Länder dieser Welt, darunter ein großer Teil der größten und wichtigsten, werden von narzisstisch gestörten, korrupten, machtbesessenen Schurken regiert, denen an so etwas wie Gemeinwohl – gar jenseits ihrer Grenzen – nichts gelegen ist. Das ist nicht neu. Bemerkenswert ist jedoch, dass ein Großteil dieser Machthaber zumindest formal mehr oder weniger demokratisch gewählt oder gar wiedergewählt worden ist. Dies lässt denn doch ernsthafte Zweifel am Zustand unserer Demokratien und der sie tragenden Gesellschaften aufkommen.

Gesellschaft ist Kommunikation, und diese scheint seit der Verbreitung der „social media“ einschließlich „fake news“, „Bots“ und ähnlicher ebenso leicht zu handhabender wie zu missbrauchender Äußerungsformen deutlich gestört zu sein. Und hier kommt – als mögliches kleines, aber feines Korrektiv – das Theater in einer seiner gesellschaftlichen Grundfunktionen ins Spiel.

Tobias Könemann. Foto: Johannes List

Tobias Könemann. Foto: Johannes List

Das Theater, auch das Musiktheater, soll, es muss sogar auch zu aktuellen politischen Themen Farbe bekennen, sie mit seinen künstlerischen Mitteln durchleuchten, hinterfragen, provozieren, zum Nachdenken, zum Widerspruch, zur Diskussion anregen, so wie es etwa das Theater Bonn zu Beginn des Beethovenjahres mit seiner „Fidelio“-Inszenierung (s. Bericht in O&T 1/20, S. 30) getan hat.

So gut, so schön! Aber es gibt nun einmal nicht nur „die richtige“ Aussage oder Meinung. Theater wird von Menschen gemacht, ist dabei aber (fast) immer ein Gemeinschaftsprodukt. Und diese Menschen haben vielleicht sehr divergierende Ansichten, Gefühle, Religionen, Weltanschauungen oder Gewissenspostulate. Eine Theaterproduktion aber ist – jedenfalls an den etablierten Bühnen und schon gar im großen Musiktheater – in aller Regel notwendigerweise ein durchaus hierarchischer Prozess. Damit drängt sich die Frage auf, inwieweit ein Bühnenkünstler gezwungen werden kann, mit seiner Person öffentlich Inhalte zu transportieren, die seinen Überzeugungen, seiner (religiösen oder nicht religiösen) Weltanschauung oder seinem Gewissen zutiefst zuwiderlaufen.

Hier wird der verfassungsmäßig gleich durch ein Bündel persönlicher Grundrechte garantierte Bereich der Freiheit und Integrität der Persönlichkeit unmittelbar berührt. Relativ klar dürfte die Sache unter dem Aspekt der Kunstfreiheit sein: Diese steht nach herrschender Auffassung im Großen, also hinsichtlich der künstlerischen (Gesamt-) Aussage primär dem Theater als „Tendenzbetrieb“ zu; der Künstler, der sich in dessen künstlerische Konzepte nicht einbringen kann oder mag, muss sich ein anderes Wirkungsfeld suchen. Andererseits hat er im Kleinen ein Recht darauf, in der Wahl seiner künstlerischen Ausdrucksmittel nicht völlig entmündigt zu werden.

Viel sensibler als dieser das künstlerisch-berufliche Verhältnis betreffende Aspekt sind die zutiefst persönlichen Aspekte der Meinung, des Glaubens, der Weltanschauung, des Gewissens. Hier würde das Argument der – im Kern ja künstlerischen und nicht politischen – „Tendenz“ weit überstrapaziert, würde man die uneingeschränkte aktive Unterwerfung des Künstlers unter die auch noch so legitime politisch/gesellschaftliche Aussage des Theaters oder eines Regisseurs fordern. Hier muss – jedenfalls in einem Kernbereich – der einzelne Mensch Vorrang haben.

Stehen wir also vor einem Dilemma? Ich glaube nein! Überzeugend kann eine Aussage, insbesondere eine profilierte/dezidierte, ohnehin nur zum Publikum „herübergebracht“ werden, wenn sie von denen, die sie transportieren sollen, auch wirklich mitgetragen wird. Eine Theaterleitung ist daher nicht nur rechtlich verpflichtet, sondern im Interesse der Qualität und Glaubwürdigkeit des eigenen Produkts gut beraten, jedenfalls bei heiklen Projekten mit dem eigenen Ensemble abzuklären, wer in welcher Form welche Aussage bereit ist mitzutragen. Dies ist nicht nur dem Theater absolut zumutbar, sondern kann auch zu fruchtbaren Diskussionsprozessen im Vorfeld der eigentlichen Produktion führen, von denen diese dann maßgeblich profitiert, jedenfalls solange das Ergebnis nicht der „kleinste gemeinsame Nenner“ der Beteiligten ist.

Wir brauchen ein lebendiges Theater. Das lebendigste Theater ist aber ein authentisches Theater. Wir hoffen sehr, dass es in Deutschland bald wieder seine Pforten wird öffnen können...

Tobias Könemann

 

 

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