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Kulturpolitik

Brennpunkt

Zur Situation deutscher Theater und Orchester

Das gab es noch nie: seit Anfang März wurde an den deutschen Theatern zunächst das Publikum ausgesperrt, in einigen Fällen noch Vorstellungen per live stream unter´s Volk gebracht, dann wurde dies und sukzessive auch der Probenbetrieb weitgehend eingestellt. Der Grund dafür ist ebenso einfach wie einleuchtend: Theater bedingt – auf, vor und hinter der Bühne – extreme körperliche Nähe, und die darf es nicht geben, wenn ein so aggressiv ansteckendes Virus wie SARS-CoV-2 grassiert.

Natürlich ist das bedauerlich, insbesondere da ja nicht nur die Theater, sondern sämtliche Kultur-Institutionen, in denen Menschen zusammenkommen, geschlossen sind, obwohl gerade in Krisenzeiten mentale Rückenstärkung der Gesellschaft sicher guttun würde. Unabhängig davon stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese Situation auf die Institutionen selbst und ihre Beschäftigten hat. Diese soll im Folgenden einmal für den Bereich der öffentlich finanzierten Theater näher betrachtet werden.

Für die Theater selbst sind die wirtschaftlichen Folgen der Zwangsschließungen zunächst überschaubar: Ihre laufenden Etats sind zu durchschnittlich über 80% aus Steuermitteln finanziert. Selbst wenn man anerkennt, dass Personal- und Sachkosten durch den Ausfall des Proben- und Vorstellungsbetriebs nicht signifikant sinken, dürfte die Schließung kurzfristig in der Regel keine existentiellen Nöte auslösen. Viel gefährlicher sind die möglichen langfristigen Folgen: Nicht nur die zu erwartende beispiellose Staatsverschuldung, die durch die angekündigten Nothilfe-Maßnahmen entstehen wird, sondern auch die Einnahmeausfälle der öffentlichen Hand durch ein aufgrund der ebenfalls zu erwartenden Rezession drastisch reduziertes Steueraufkommen werden bei allen Trägern öffentlicher Ausgaben ab dem nächsten Jahr wieder die Frage laut werden lassen, wo man denn noch „sparen“ könne. Und es wäre schon erstaunlich, wenn da keiner an die Kultur und dort an die Theater denken würde.Für die Festangestellten einschließlich der nach NV Bühne Beschäftigten gibt es kurzfristig kaum Grund zur Sorge. Die vorübergehende Schließung der Theater berechtigt die Arbeitgeber weder zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen noch zur einseitigen Absenkung laufender Vergütungen. Letzteres gilt allerdings nicht, wenn sich Betriebsräte (in Häusern, in denen Personalvertretungsrecht gilt, besteht diese Möglichkeit regelmäßig nicht) von der Leitung ihrer Häuser dazu nötigen lassen, ohne auf das entsprechende Gesetz zu warten übereilt Betriebsvereinbarungen über die Zulassung drastischer Kurzarbeitsregelungen abzuschließen, wie das leider mit Ausnahme weniger positiver Beispiele vielfach zu beobachten ist. In Anbetracht des Umstandes, dass die aktuellen Lohnkosten der Häuser weitgehend gedeckt sind, sind die Voraussetzungen etwa für „Kurzarbeit Null“ nicht wirklich gegeben. Wie die Bundesagentur für Arbeit, die letztlich über die Gewährung von Kurzarbeitergeld zu entscheiden hat, dies bewertet, wird abzuwarten sein.

Sinnvoll könnten in der Tat Vereinbarungen sein, die den Einnahmeausfall der Häuser in Bezug auf die Lohnkosten kompensieren. Solche Vereinbarungen brauchen aber über eine Reduzierung von ca. 30% der Arbeitszeit im Wege der Kurzarbeit nicht hinauszugehen. Wie das dann im NV-Bühne-Bereich, wo es weithin keine geregelte Arbeitszeit gibt, umzusetzen ist, muss diskutiert werden. Zu dieser und anderen Fragen im Zusammenhang mit möglichen Kurzarbeitsregelungen für das künstlerische Personal sind der Deutsche Bühnenverein (DBV) und die Künstlergewerkschaften DOV, GDBA und VdO in ständigem Kontakt, auch im Hinblick auf mögliche Tarifverhandlungen, wenn sich die Einführung von Kurzarbeit als sinnvoll erweisen sollte und sofern die zuständigen Gremien zustimmen.

Besorgniserregend ist die Situation der freischaffenden Künstler*innen, die regelmäßig auf Produktionsdauer oder durch produktionsbezogene Werkverträge verpflichtet werden. Durch die Einstellung des Spiel- und Produktionsbetriebs können bei diesen Personen existenzbedrohende Honorar-Ausfälle entstehen. Ob die für sie von Bund und Ländern vorgesehenen Sofort-Maßnahmen (s. dazu aktuelle Hinweise auf www.nmz.de) sowie die vom DBV seinen Mitgliedern empfohlene kulante Handhabung der Honorarfrage bei unklaren Vertragsbeziehungen ausreichen werden, hier schweren menschlichen wie kulturellen Schaden zu vermeiden, wird sorgfältig zu beobachten sein.

Insgesamt sind die Theater so aufgestellt, dass es – bei aller Enttäuschung darüber, gerade in einer so angespannten gesamtgesellschaftlichen Situation die Tore schließen zu müssen – keine akuten wirtschaftlichen Probleme gibt, die kurzatmigen Aktionismus rechtfertigen könnten. Dabei ist natürlich auch an die Beschäftigten und ihre Vertretungen zu appellieren, nicht um jeden Preis auf Rechtspositionen zu beharren, sondern auch – etwa was die Frage der Verrechnung bestehender Freizeitansprüche mit der pandemiebedingten Zwangsfreistellung angeht – angemessene Solidarität mit ihren Arbeitgebern zu praktizieren.

Die wirklich gravierenden Folgen der Pandemie für die Kultur werden zeitversetzt einsetzen, wenn die unausweichlichen Turbulenzen der globalen Wirtschafts- und Finanzsysteme ihre Dynamik entwickeln und den Rechtsträgern und Zuwendungsgebern der kulturellen Institutionen wie so oft die Frage in den Mund legen, ob man sich denn Kultur noch leisten wolle. Hierfür schon jetzt durch Verzicht auf schon gesicherte Finanzmittel etwa im Wege der Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld eine Steilvorlage zu liefern, ist ein Akt der Kurzsichtigkeit und mangelnder Solidarität. Vielmehr sollten alle, Theater, Beschäftigte und deren Verbände die gegenwärtige Situation nutzen, auch gemeinsam Strategien zu entwickeln, um den bedrohlichen Nachwirkungen der Pandemie zu trotzen.


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