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Rezensionen

Bayreuther Programmhefte

Udo Bermbach, Die Entnazifizierung Richard Wagners. Die Programmhefte der Bayreuther Festspiele 1951-1976, Metzler Verlag, 294 S., 39,99 Euro

Der Titel ist irreführend, eine Provokation, die zu Missverständnissen führen könnte, wäre da nicht der Untertitel. Wagner muss nicht, kann gar nicht entnazifiziert werden, da er ja kein Nazi war. Doch der Missbrauch, den die Nazis mit ihm trieben, der das Bild Wagners nachhaltig beschädigte und verfälschte, dem wollten die Programmhefte der Bayreuther Festspiele seit ihrer Wiederöffnung 1951 bis zum „Jahrhundertring“ Patrice Chéreaus 1976 entschieden entgegenarbeiten. Udo Bermbach stellt mit seinem weit ausholenden, achten und nunmehr letzten Wagnerbuch diese Wagnerinterpretationen, die „bisher noch nie Gegenstand der Darstellung und Analyse waren“, ausführlich und kritisch dar. Er betont zurecht, dass Bayreuth stets ein „Seismograph deutscher Befindlichkeit“ gewesen sei.

Udo Bermbach, Die Entnazifizierung Richard Wagners. Die Programmhefte der Bayreuther Festspiele 1951-1976, Metzler Verlag, 294 S., 39,99 Euro

Udo Bermbach, Die Entnazifizierung Richard Wagners. Die Programmhefte der Bayreuther Festspiele 1951-1976, Metzler Verlag, 294 S., 39,99 Euro

Seine Analysen der Programmhefte anhand exemplarisch ausgewählter Aufsätze zwischen 1951 und 1976, zeigen, wie mühselig und lang der Weg von der Vergangenheit eines verfehlten in die Gegenwart eines zeitgemäßen Wagner-Verständnisses war, „um dort anzukommen, wo der Wagner-Diskurs heute steht“. Es sind vier große Kapitel, in denen Bermbach diesen Weg im Einzelnen darstellt. Eine „erschreckende Kontinuität“ lieferten alte NS-belastete Programmheftautoren wie Zdenko von Kraft, Hans Grunsky, Otto Strobel oder Curt von Westernhagen in den ersten Jahrgängen. Bei Autoren wie Wolfgang Schadewaldt, Ludwig Marcuse und Karl-Heinz Volkmann-Schluck zeichneten sich Anfang der 1950er-Jahre bereits erste Konturen eines neuen Wagnerbildes ab. Ende der 50er-Jahre erlangten führende Linksintellektuelle der deutschen Kulturszene wie Theodor W. Adorno, Ernst Bloch oder auch Hans Mayer mehr und mehr Einfluss in Bayreuth. „Sie legten mit ihren Aufsätzen die Grundlagen für das Bild eines revolutionären, utopisch-sozialistischen Komponisten frei.“

Es war gewissermaßen die Vorarbeit zu jenem Jahrhundert-Ring, mit dem Patrice Chéreau und Pierre Boulez den Durchbruch eines „weltanschaulich neuen Wagner-Verständnisses erreichten, das seither von den Bühnen der Welt und aus der weltweiten Wagner-Debatte nicht mehr verschwunden ist“. Die Tetralogie wurde in die Welt der Menschen geholt, der Ring erschien in die Zeit seiner Entstehung versetzt. Aber Chéreau hatte gezeigt, dass die Tetralogie als eine „Paraphrase auf die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft und Politik“ nicht nur des 19. Jahrhunderts verstanden werden darf, sondern als „eine Metapher für die unmittelbare Gegenwart“ der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Damit waren die tradierten Koordinaten des Wagner-Bildes aus dem Lot. Bermbach zitiert Oswald Georg Bauers Festspielgeschichte und sein Urteil nach dem Chéreau-Ring: „Nichts war mehr so wie vorher.“ Die Festspiele 1976 bedeuteten den „point of no return“, folgerichtig endet Bermbachs respekteinflößende Untersuchung mit dem Chéreau-Ring und den ihn begleitenden Schriften und Diskussionen, weil mit dieser epochalen Inszenierung ein säkularer Durchbruch der Wagner-Deutung gelang. Ein Epilog, wertvolle Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Personenregister machen dieses Buch trotz der inzwischen unüberschaubaren Fülle an Wagnerliteratur unverzichtbar.

Udo Bermbach hat eine Lücke der Wagnerforschung geschlossen, denn das Buch belegt detailliert und materialreich den Zusammenhang der Bayreuther Festspiele mit der Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland, die bis heute Richard Wagner und seine Festspiele als nationale Angelegenheit betrachtet, obwohl sie sich inzwischen weit von dem entfernt haben, was Wagner einmal vorschwebte: „die Utopie einer totalen Alternative“ (O.G. Bauer).

Dieter David Scholz

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