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Hintergrund

Dem kleinen Mann sein Puccini

Zum 150. Geburtstag von Franz Lehár

Es war Kurt Tucholsky, der Franz Lehár spöttisch „dem kleinen Mann sein Puccini“ nannte. Auch wenn das durchaus abwertend gemeint war, so ist der Vergleich mit Puccini nicht aus der Luft gegriffen. Die beiden Komponisten beobachteten einander und versicherten sich gegenseitiger Wertschätzung. Lehár kokettierte mit der veristischen Oper, Puccini mit der Operette. Nicht zuletzt „La Rondine“ schrieb Puccini unter dem starken Eindruck von Lehárs Operette „Die ideale Gattin“, die er 1909 im Theater an der Wien gesehen hatte. Er wollte für Wien eine komische Oper schreiben, aus der schließlich die wenig erfolgreiche Commedia lirica „La Rondine“ wurde. Dass ausgerechnet Puccinis sonstiger Verleger Tito Ricordi, den er diesmal ausgeschlagen hatte, die Oper nach der Premiere „schlechten Lehár“ nannte, war zumindest ein Kompliment für den Operettenkomponisten, mit dem sich Puccini, der sich unter Wiener Theater- und Verlagsdirektoren umsah, eng befreundete. Die beiden Musiker spielten gelegentlich sogar gemeinsam Klavier. Die Anhängerschaft war durchaus gegenseitig. Noch 1940 betonte Lehár in einem Radiointerview: „Uns verband eine wirklich tiefe, aus innerem Herzen kommende Freundschaft. Sie war begründet auf völliger Übereinstimmung unseres musikalischen Empfindens, auf gegenseitigem Verstehen dessen, was wir in Tönen ausdrücken wollten.“ Puccini sah in Lehár einen Mitstreiter – im gemeinsamen Kampf um „semplicità e melodia“. Er nannte ihn verehrungsvoll „il mio amico Franz Lehár“.

In der Tat waren sich beide Komponisten der Nachwagner-Ära in ihrer Affinität zu Massenet, Bizet und Debussy einig, um ihren je eigenen Weg zwischen zartem Lyrismus, parfümiertem Verismo und klangspielerisch kunstvollem, schmerzlich-süßen Innenleben zu beschreiten. Aber auch das stoffliche Motiv der Entsagung verband Beider Werke. An Orchestrierungskunst stand Lehár Puccini in nichts nach.

Am Staatstheater Saarbrücken wurde Silvester 2019 „Die Lustige Witwe“ gezeigt, mit Valda Wilson als Hanna Glawari und Mitgliedern des Ensembles. Foto: Martin Kaufhold

Am Staatstheater Saarbrücken wurde Silvester 2019 „Die Lustige Witwe“ gezeigt, mit Valda Wilson als Hanna Glawari und Mitgliedern des Ensembles. Foto: Martin Kaufhold

Lehár wurde am 30. April 1870 im ungarischen Komorn geboren und ist in verschiedenen ungarischen Garnisonstädten, als Sohn eines k.u.k. Militärkapellmeisters aufgewachsen. Schon mit zwölf Jahren begann das Wunderkind am Prager Konservatorium zu studieren: Violine, Komposition und Musiktheorie unter anderem bei Antonin Dvorˇák. 1888 wurde er Konzertmeister in Barmen-Elberfeld, 1890 jüngster Militärkapellmeister in Wien, dann in slowakischen, kroatischen, italienischen, slowenischen und ungarischen Garnisonstädten, wo er sich mit der landestypischen musikalischen Folklore vertraut machte.

Sein erstes Bühnenwerk war die Oper „Kukuschka“ (Leip-zig 1896). Es blieb seine einzige Oper, zumal er in Wien Kontakt zur führenden Operettenbühne, dem Theater an der Wien, gewann, was den Abschied von der Militärmusik zur Folge hatte. Daneben komponierte er Lieder, Märsche, Tänze; sein berühmtester ist wohl der Gold und Silber-Walzer (1902). Lehár lebte bis zu seinem Tod in Wien und Bad Ischl, als Komponist und Dirigent seiner Werke, die er seit den 1930er-Jahren auch mit großer unternehmerischer Begabung als sein eigener Verleger betreute (Glocken-Verlag, Wien). „Seine Entwicklung als Protagonist der Wiener und bald auch der europäischen Operette im 20. Jahrhundert begann 1902 mit zwei Stücken, die schon bezeichnende Züge seiner weiteren Produktionen aufweisen: einerseits den mondänen Salonton in ‚Wiener Frauen‘ (Theater an der Wien, Wien), andrerseits die geradezu wahlverwandtschaftliche Aneignung folkloristischer Lokalklänge im slowakisch-ungarisch-wienerisch geprägten ‚Rastelbinder‘ (Carl-Theater, Wien). Internationalen Durchbruch und fortdauernden Weltruhm brachte, nach zwei schwächeren Werken, ‚Die Lustige Witwe‘ (1905).“ (Volker Klotz)

Das Neuartige dieser Operette lag in der offenen Erotik ihres Sujets und in der raffinierten Kühnheit, mit der die vibrierende Sinnlichkeit der Handlung musikalisch umgesetzt wurde. Die Melodien der Partitur singen von nichts als Wünschen und Begierden, Passionen und Trieben, Umarmungen und Küssen. Lehár hatte sie kraft seiner individuellen Orchesterbehandlung ins neuartig Gewagte gesteigert. Er überraschte mit Klangkombination, die man bis dato in Operetten nicht gehört hatte: Orchesterfarben, wie sie im symphonischen Werk von Richard Strauss, Mahler und Debussy aufgeklungen waren.

Der schlagartige internationale Erfolg dieser Operette wurde nie von einem anderen seiner Werke übertroffen und bescherte ihm bis zu seinem Lebensende finanzielle Sorglosigkeit. Bis zum Tod Lehárs wurde das Stück mehr als 300.000 Mal aufgeführt. Er konnte sich ein großes Mietshaus in Wien und eine großzügige Villa in Bad Ischl leisten, in der er 1948 starb. 1931 erwarb er auch noch das 1737 errichtete „Schikaneder-Schlössl“ im Wiener Heurigenort Nußdorf.

„Die Lustige Witwe“ war übrigens (und nicht etwa ein Werk Wagners) das Lieblingsstück Hitlers gewesen. Nur deshalb wurde der strittige, schon wegen seiner engen Zusammenarbeit mit dem jüdischen Tenor Richard Tauber bei den Nazis keineswegs beliebte Lehár (der mit einer jüdischen Frau verheiratet war und dessen Librettisten ausnahmslos Juden waren) geduldet. Er erhielt vom „Führer“ eine Sondergenehmigung zur weiteren Ausübung seines Berufs und zur Aufführung seiner Werke. Er wurde von Hitler zum „Meister der deutschen Operette“, seine Frau zur „Ehrenarierin“ erklärt. Einer seiner Librettisten, der großartige Fritz Löhner-Beda hingegen, dem er wesentliche Erfolge zu verdanken hatte, kam ins Konzentrationslager Auschwitz und wurde dort ermordet. Neueren Recherchen zufolge soll Lehár nichts dagegen unternommen und nach dem Ende der Naziherrschaft sogar beteuert haben, von nichts gewusst zu haben, ja stets unpolitisch gewesen zu sein. Dabei hatte er sich 1941 dem Regime für Propagandakonzerte in Paris zur Verfügung gestellt, hatte für eine Aufführung in Budapest seine „Zigeunerliebe“ arisiert. Auch bei den Aufführungen der „Lustigen Witwe“ während des NS-Reichs erwähnte er die jüdischen Librettisten Victor Léon und Leo Stein nicht. Lehár war – der Karriere wegen – einer jener typischen Mitläufer und Opportunisten, zu denen auch Richard Strauss im Bereich der Oper gehörte. War Richard Strauss der berühmteste und erfolgreichste deutsche Opern-Komponist der Zeit, so war es Franz Lehár im Bereich der Operette. Mit beiden schmückten sich die Nazis. Nicht zuletzt mit seiner starken Präsenz in Rundfunk und auf Schallplatte in den 1930er- und 1940er-Jahren konnte Lehár seine führende Stellung in der Operettenbranche ausbauen.

Lehár hat an die 40 Operetten geschrieben, auf dem nicht ungefährlichen Grat zwischen Militärmusik, multi-kulturellen folkloristischen Erfahrungen, Tanzmusik (wobei ihm lateinamerikanische mehr lag als jazzartige) und opernhaftem Verismo. Immer neue Experimente wagte er, von der Tanzoperette („Die Lustige Witwe“) über die Arbeiteroperette („Eva oder das Fabrikmädel“) bis hin zur Traumoperette („Zigeunerliebe“) und zur exotischen Ausbruchsoperette („Das Land des Lächelns“). Der Verzichtsgestus der meisten seiner Operetten darf als wohlkalkuliertes Eingehen auf sozialpolitische Befindlichkeiten seines Publikums verstanden werden: Stellvertretend fürs kleinbürgerliche Publikum verzichten seine Bühnenfiguren nach großen Gefühlen und erotischen Abenteuern am Ende, um die bürgerliche Normalität wiederherzustellen. Das Geheimnis der Operetten Lehárs liegt (neben deren musikalischer Qualität) in der vorzüglichen Eignung zur Sublimierung der Sehnsüchte eines internationalen modernen Publikums. Kein Wunder, dass Lehárs Operetten bis heute Standardwerke des internationalen Repertoires sind. „Die Lustige Witwe“, „Der Graf von Luxemburg“ und „Das Land des Lächelns“ liegen an der Spitze der Aufführungszahlen.

Dieter David Scholz

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