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Portrait

Kindertrompete und Lolita

Anja Silja zum 80. Geburtstag

Mehr als ein halbes Jahrhundert, seit 1956 stand die am 17. April 1940 in Berlin geborene Anja Silja auf der Bühne, eine der faszinierendsten Sängerdarstellerinnen des Musiktheaters. Dann wurde es still um sie in den zehn letzten Jahren. Das „Wunderkind“ gab schon im zarten Alter von zehn Jahren Opern-Konzerte in seiner Heimatstadt. Mit 16 wurde Anja Silja ans Braunschweiger Theater engagiert und sang die Zerbinetta in Richard Strauss‘ „Ariadne“, die Rosina in Rossinis „Barbier von Sevilla“. An der Württembergischen Staatsoper sang sie die Königin der Nacht. Zwei Jahre später war sie an der Stuttgarter Staatsoper engagiert, wo sie Wieland Wagner kennenlernte. Sie war gerade 20 Jahre alt, als sie bei den Bayreuther Festspielen 1960 als Senta in Wielands Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ debütierte und Publikum wie Presse erstaunte. Es war der Auftakt einer einzigartigen Liebes- und Arbeitsbeziehung bis zu Wielands Tod im Jahre 1966.

„Es ist das prägende Erlebnis gewesen, für mein ganzes Leben. Und nicht nur als Sängerin, auch persönlich. Ich glaube, das war die dominierende Figur meines Lebens, neben meinem Großvater, der mich ausgebildet hat, sowohl im Singen als auch im Schulischen. Ich war ja nie in der Schule, durch dieses frühe Studium. Also diese beiden waren wirklich bis zu meinem 26. Lebensjahr prägend.“

Foto: Artists Management Zürich

Foto: Artists Management Zürich

Es waren von früh an die Männer, die das Leben Anja Siljas bestimmten. Da war zunächst ihr Großvater Egon Friedrich Anders, er war Maler und Sänger, ausgebildet übrigens bei demselben Lehrer, der schon Beniamino Gigli ausgebildet hatte – dann kam Wieland Wagner, der geniale Regie-Spross des Wagnersohnes Siegfried, der nach dem Zweiten Weltkrieg Neubayreuth initiierte. Sechs Jahre lang verkörperte Anja Silja, die „Kindertrompete“, wie er sie nannte, seine künstlerischen Träume auf der Bühne nicht nur Bayreuths: blutjunge, ganz und gar unheroinen-, eher lolitahafte Wag-nerheldinnen: Senta, Eva, Elsa, Elisabeth, Venus, Freia und später in Brüssel und Bologna sogar Isolde. Anja Silja und Wieland Wagner verband (neben seiner Ehe mit Gertrud Reissinger) eine heftige Liebesbeziehung, die damals am Grünen Hügel für Aufregung und in den Klatschkolumnen der Printmedien für Skandale sorgte. Die Silja hat darüber bereitwillig Auskunft gegeben in ihren Memoiren, die sie vor elf Jahren veröffentlichte. Ein sehr persönliches Buch der Rückschau auf ein an Liebhabern, an Erfahrungen und an Rollen reiches und vielschichtiges Leben.

„Ich habe immer, nicht nur zuletzt, die vielschichtigen Rollen gerne gesungen. Für mich waren die wichtigsten Figuren die Janácˇek-Partien, vor allem die Emilia Marti in der ‚Sache Makropulos‘. Das ist für mich eine Schlüsselrolle geworden, weil ich mir sehr verwandt vorkomme mit dieser Frau, mit meiner Endloskarriere. Und weil ich so viel Menschlichkeit in dieser Rolle sehe, und das fasziniert.“

Wer die Silja je in dieser Partie einer 337 Jahre alten Diva mit dem erotischen Äußeren einer jungen Frau (die der Formel eines Elixiers, das ewige Jugend verleiht, nachjagt) erlebte, weiß, wie sehr sie ihr auf den Leib geschrieben ist. Eine Rolle, die wie nur wenige andere Rückschau auf ein gelebtes Leben zum Thema hat. Für Anja Silja ein zentrales Moment ihres Lebens.

„Na ja, ich schaue immer nur zurück! Weil, wie gesagt, mein Theaterleben hat eigentlich mit dem Tod von Wieland Wagner aufgehört, wirklich zu sein. Wieland Wagner und sein Bayreuth waren mein eigentliches Leben. Und das war unglückseligerweise schon vorbei, als er 1966 starb und ich 26 war. Das ist, wenn man so will, die Tragödie meines Lebens, und damit muss man fertig werden.“

Anja Silja ist damit fertig geworden! Und sie hat auch nach Wielands Tod weiterhin Wagner gesungen, und nicht nur Wagner. Einen besonderen Stellenwert in ihrem Repertoire nahmen die Partien von Leosˇ Janácˇek ein. Anja Silja war gerade in den Partien der sich aufopfernden Heroinen eine der ausdrucksstärksten Persönlichkeiten des Musiktheaters. Nicht zuletzt, weil Singen für sie mehr ist als nur Schöngesang. Eine „schöne Stimme“ hatte sie nie. Ihr Ex-Ehemann Christoph von Dohnányi brachte es in einem Gespräch auf die zynische Formel: „Die Anja ist eine grandiose Darstellerin, sie hätte nur nie singen dürfen.“

Das Überwältigende ihrer singschauspielerischen Ausnahmeerscheinung, der Furor und das Attackierende ihres wortorientierten Singens wird in keiner ihrer Schallplatten-Aufnahmen so zum Ereignis wie im Bayreuther Mitschnitt ihrer Senta unter Wolfgang Sawallisch sowie in ihrer Studioaufnahme unter Otto Klemperer.

„Die ganze Singerei ist für mich völlig witzlos, wenn die Sprache und die Darstellung nicht in den Vordergrund gesetzt wird. Das Wort ist entscheidend, die Wortverständlichkeit! Und wenn man das gesungene Wort nicht nur illustriert, sondern überhöht durch Darstellung, dann wird Oper wirklich interessant.“

Sie sang deutsches, italienisches und französisches Repertoire, nicht immer ihrer stimmlichen Grenzen eingedenk. Darunter waren Opern von Beethoven, Berlioz, Puccini, Verdi, Offenbach und Richard Strauss. Sie sang sie in Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, Köln, San Francisco, Zürich, Brüssel und Paris, um nur einige zu nennen. Viele ihrer Interpretationen sind auf CD und DVD konserviert und dokumentieren eine erstaunliche stimmliche Überlebenskunst, die nicht immer den Ohren schmeichelte. Aber die Silja hatte eine Bühnenpräsenz und darstellerische Faszination, die einen mit klanglichen Irritationen und falschen Noten versöhnte. Zu ihren eindrucksvollsten Partien gehören fraglos Bergs Marie und Lulu sowie Schönbergs „Pierrot Lunaire“ und „Erwartung“.

Nach dem Tode Wielands erlebte die Silja noch einmal eine romantische Liebesgeschichte mit dem Dirigenten André Cluytens. Auch er war verheiratet. Er sei ihr bester Liebhaber gewesen, wie sie in ihren Erinnerungen freimütig bekennt. Dann kam die scheiternde Ehe mit dem Dirigenten Christoph von Dohnányi. Die Silja ist nicht geschaffen für die „Nur-Mutter-und-Hausfrau-Rolle“. Es kamen Theaterjahre in Frankfurt, Hamburg und nach ihrer Scheidung die große internationale Karriere. Noch heute hat die im Umgang saloppe, unkompliziert-forsche Anja Silja einen jugendlich-spröden „Alters-Charme“. Sie ist das Paradebeispiel einer willensstarken wie sensiblen, selbstbewussten, aber auch selbstkritischen Frau, die große Kunst mit großer Liebe zu verbinden suchte. In beidem war sie getrieben von der „Sehnsucht nach dem Unerreichbaren“. So hat sie auch ihre Memoiren überschrieben. Sie ist die letzte noch lebende „Neubayreuther“ Musiktheater-Tragödin alten Schlages, gerade auch mimisch-gestisch. Man könnte sie als die „Duse“ unter den Wagnersängerinnen bezeichnen. Freilich: Ihre große Zeit liegt hinter ihr. Inzwischen lebt sie ganz in ihrer Vergangenheit. Für sie ist das kein Grund zur Trauer.

„Worüber ich wirklich traurig bin, dass ich … eigentlich keine Wünsche mehr habe, weil ich alles gemacht habe. Und das ist wirklich ein großes Problem, das ist traurig!“

Dieter David Scholz

 

 

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