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Zur Situation deutscher Theater und Orchester

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Opernstudios in Deutschland

2017 hat die in Hamburg ansässige Körber-Stiftung anlässlich eines Symposions zu Opernstudios eine Studie durchgeführt und dazu 19 Einrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt, darunter etwa solche in Frankfurt, die Oper am Rhein, Stuttgart, oder das Opernstudio NRW – einem Verbund von vier Opernhäusern. Der einhellige Tenor, der sich ergab, war folgender: Trotz unterschiedlicher Traditionen und Strukturen „herrscht große Einigkeit vor allem im Hinblick auf den Nutzen des Opernstudios für junge Sängerinnen und Sänger, der überwiegend positiv bewertet wird. Die Einrichtung stellt für alle Befragten generell den idealen Übergang zwischen Ausbildung und Berufspraxis dar: Auf der einen Seite wird zwar noch Rücksicht auf die besondere Situation von Berufsanfängern genommen, andererseits sind die jungen Sängerinnen und Sänger gleichzeitig gefordert, den realen Alltag an einem Opernhaus zu meistern“, so heißt es in der von Constanze Wimmer, damals Professorin für Musikvermittlung an der Anton-Brucker-Universität in Linz, durchgeführten Studie.

Auch wenn die Zahlen nicht mehr aktuell sind, lassen sich doch Trends aus der Studie ablesen, die durch gegenwärtige Entwicklungen noch gestützt werden. Denn Opernstudios, so viel lässt sich nach einer aktuellen Stichprobe sagen, erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit. Am Gärtnerplatztheater in München etwa steht man in den Startlöchern, um ein neues, den speziellen Bedürfnissen des Hauses angepasstes Opernstudio zu gründen. Im kürzlich gegründeten Münsteraner Studio befindet man sich gerade im ersten Durchlauf. Auch das Studio in Hannover gab es zum Zeitpunkt der Körber-Studie noch nicht. Solchen Neugründungen stehen traditionsreiche Einrichtungen gegenüber, Hamburg oder Köln etwa, in denen die Förderung von Nachwuchstalenten schon eine lange Tradition hat. Der Trend scheint dabei eindeutig zu einer Professionalisierung von Strukturen und Inhalten bei gleichzeitig gerechterer Bezahlung zu gehen, wobei das natürlich keine repräsentative Aussage, sondern nur ein persönlicher Eindruck ist.

An der Kinderoper Köln sind die Mitglieder des Opernstudios im Einsatz, hier in der Inszenierung von „The Musician“ mit Luzia Tietze, Tinka Pypker und Armando Elizondo. Foto: Sandra Then

An der Kinderoper Köln sind die Mitglieder des Opernstudios im Einsatz, hier in der Inszenierung von „The Musician“ mit Luzia Tietze, Tinka Pypker und Armando Elizondo. Foto: Sandra Then

Beispiel Gärtnerplatztheater: Hier macht man in der kommenden Spielzeit ein neues Opernstudio auf, obwohl es bereits an der Bayerischen Staatsoper ein ebenso renommiertes wie traditionsreiches Opernstudio gibt und mit der Theaterakademie August Everding eine Institution vor Ort, die ebenfalls sehr praxisnah ausbildet. Warum also noch ein neues Studio? „Es ist ein neuer Fokus, eine Marktlücke, die wir schließen“, sagt Herbert Hillig, der die Gesamtleitung übernommen hat. Den Schwerpunkten des Hauses entsprechend will man sich hier auf den Bereich Operette und Spieloper konzentrieren. Der Bedarf scheint vorhanden zu sein: Obwohl man die fünf Positionen für Sopran, Mezzo, Tenor, Bass und Korrepetition erst sehr spät ausgeschrieben hatte, bewarben sich über 300 Interessentinnen und Interessenten.

In den kommenden zwei Jahren werden die Mitglieder des Opernstudios dann ihr Repertoire erweitern und mittlere bis kleinere Rollen übernehmen. Hillig weist besonders auf den „Charme des kleineren Hauses“ hin, der gegenüber dem Riesenapparat der Staatsoper zudem keine Konkurrenz, sondern eine schöne Ergänzung sei.

In Münster hat man die akute Gründungsphase hinter sich und befindet sich schon mitten in der Arbeit. Ins Leben gerufen wurde das Opernstudio zur Spielzeit 2022/2023 durch Intendantin Katharina Kost-Tolmein, die an ihrer vorherigen Wirkungsstätte am Theater Lübeck ebenfalls ein Opernstudio zur Verfügung hatte und nun auch in Münster eines gründen wollte. Sie sei direkt Feuer und Flamme gewesen, als sie davon gehört habe, sagt Annette Koch, Gesangsprofessorin an der Musikhochschule Münster, an der das Studio organisatorisch angesiedelt ist. Hier können vier Teilnehmer*innen im Rahmen eines vier Semester dauernden Masterstudiengangs oder eines zweisemestrigen Zertifikatsstudienjahres zeitgleich studieren und Praxiserfahrung sammeln. Ein bezahltes Praktikum im Theater Münster bietet den ausgewählten Mitgliedern des Opernstudios die Gelegenheit in professionellen Produktionen mitzuwirken und erste praktische Berufserfahrungen zu sammeln. „Diese Praxiserfahrung ist mit nichts zu bezahlen“, so Koch, aber eine angemessene Bezahlung erhalten die Teilnehmer natürlich trotzdem. „Das ist eine Win-Win-Situation für das Theater und die Teilnehmer.“ In Münster seien die Teilnehmer*innen ins Ensemble integriert, der Unterricht laufe aber weiter. Zu diesem Programm kommen dann noch Workshops, zum Beispiel Auftrittstraining und eigene konzertante oder szenische Formate.

In Münster sind die Teilnehmenden im Rahmen ihrer Hochschulausbildung somit zusätzlich am Theater engagiert. „Das ist aber nicht immer einfach, es gibt viele Termine und Interessen zu koordinieren“, so Koch, weshalb man andernorts versucht dies zu vermeiden, etwa am Staatstheater Hannover, wo das Opernstudio vor zwei Jahren neu gegründet wurde. Dort achtet man darauf, dass die Teilnehmenden mit dem Studium fertig sind, damit sie sich ganz dem Opernstudio widmen können. „Uns ist außerdem wichtig, dass sie gute Teamplayer sind“, sagt Francesco Greco, Leiter des Opernstudios und selbst Korrepetitor. In Hannover gibt es zusätzlich zu vier Plätzen für Sängerinnen und Sänger noch einen für den Korrepetitor/die Korrepetitorin. Das hat gute Gründe wie Greco findet. Gerade Pianisten brauchen in seinen Augen eine klare berufliche Perspektive: „Die Stellen werden weniger. Sänger arbeiten ja häufiger freischaffend, bei Korrepetitoren ist das selten“. Die seien zumeist angestellt. Wichtig sei zudem auch die Praxis: „Um den Job zu lernen braucht man jeden Tag Flexibilität, auch das Vom-Blatt-Spiel verbessert sich jeden Tag.“ Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor ist in seinen Augen das kollegiale Umfeld: „Man lernt sehr viel von den Kollegen, die Erfahrung haben, es ist wie in einer Werkstatt.“

Immer mehr Studios sind dazu übergegangen, auch Pianisten in ihre Reihen aufzunehmen. An der Hochschule für Musik und Theater in Köln geht man sogar noch einen Schritt weiter. Hier hat man den Masterstudiengang Opernkorrepetition etabliert, eine Alternative zum oft eingeschlagenen Weg, das Korrepetieren auf dem Weg einer klassischen Kapellmeisterausbildung quasi mitzunehmen. „Um wirklich sattelfest zu werden, um also von der Pike auf die Sachen zu lernen, halte ich das nach wie vor nicht für schlecht. Es gibt zwar Leute, die sagen, das wäre ein antiquiertes Bild. Aber das, was man selbst gespielt hat, das vergisst man nie wieder“, ist Stephan Wehr, Professor an der Kölner Musikhochschule und musikalischer Leiter der Opernabteilung ebendort, überzeugt. Ferner pflegt man Kooperationen mit dem jungen Ensemble des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen, der Kinderoper Köln, dem Theater Aachen, die Sängern wie Korrepetitoren zu Gute kommen.

Während Leuchtturmhäuser wie die Hannoveraner Staatsoper eher große Tanker sind, führen regionale Häuser wie das Theater Krefeld/Mönchengladbach eine zwar vermeintlich unscheinbare Existenz. Doch muss das weder qualitativ noch im Hinblick auf das Repertoire ein Makel sein, schlummern oft genug doch gerade hier die Perlen der Opernlandschaft. Davon ist auch Andreas Wendholz, Leiter des „Opernstudios Niederrhein“, überzeugt. Hier ist das Opernstudio etwas anders, nämlich spartenübergreifend organisiert. Insgesamt gibt es 12 Plätze, von denen zwei auf das Ballett, einer auf das Schauspiel, vier auf das Orchester und fünf (vier Sänger*innen und ein oder eine Korrepetitor/-in) auf die Oper entfallen. „Wir wollen über die Sparten hinausblicken. Den Austausch finde ich sehr wertvoll“, so Wendholz. Sein Motto: „Herausfordern, nicht überfordern.“ Opernstudios sind für ihn eine Schnittstelle zwischen Studium und Beruf. Die Mitglieder können an ihrem Repertoire arbeiten, bekommen spezielle Fortbildungen, in die alle Abteilungen des Hauses eingebunden sind, und wertvolle Tipps von kollegialen Mentoren. Am Ende haben sie eine Zusatzqualifikation. Das, so die einhellige Meinung an den befragten Opernhäusern, erhöht die Chancen eingeladen zu werden ungemein. In Krefeld/Mönchengladbach gibt es zudem die Besonderheit, dass eine der Stellen des Opernstudios mit einem Musicalsänger oder einer Musicalsängerin besetzt ist, ein Repertoire, das zunehmend Einzug auf deutschen Bühnen hält beziehungsweise vielerorts schon dort angekommen ist.

Wir schauen immer: Wie kann die Stimme gesund bleiben? Wie kann man sie noch mehr zum Erblühen bringen? Welche Bewegungen helfen, welche Bewegungen stören? Und wie kann man noch mehr Ausdruck schaffen?

Was aber tun, wenn während der Zeit im Opernstudio Probleme auftauchen? Noemi Schmidt, musikalische Leiterin des Opernstudios am Nationaltheater Mannheim, bleibt gelassen: „Das ist unser täglich Brot. Wir schauen immer: Wie kann man die Stimme noch mehr mit dem Körper verankern? Wie kann die Stimme gesund bleiben? Wie kann man sie noch mehr zum Erblühen bringen? Welche Bewegungen helfen, welche Bewegungen stören? Und wie kann man noch mehr Ausdruck schaffen? Wie kann man authentischer auf der Bühne stehen? Das ist ja alles Teil unseres täglichen Jobs. Wir haben es zum Beispiel bei einem Kollegen innerhalb eines Jahres geschafft, dass er einen Fachwechsel vollzogen hat und sich plötzlich phänomenal präsentieren kann. Wir haben konstruktiv daran gearbeitet und ein Fach gefunden, bei dem derjenige jetzt sagt: Ja, wow! Und alle, die ihn hören, sagen das auch.“ Im Opernstudio bleibt genügend Zeit für so einen Fachwechsel, der allerdings auch bei arrivierten Sängern im Ensemble auftreten kann.

Das sieht auch Rainer Mühlbach, Leiter des bereits seit 62 Jahren existierenden Kölner Opernstudios: „Sänger sind ja nicht fertig für alle Ewigkeiten, sondern da geht es immer weiter. Die Stimme entwickelt sich, und sie kann sich in verschiedene Richtungen entwickeln. Das Problem haben Instrumentalisten nicht. Die wissen dann mit 20: Ich kann jetzt alles spielen oder ich kann es nicht. Der Sänger muss jederzeit in der Lage sein, sein Repertoire in einer anderen Richtung wieder neu zu denken. Manchmal ist es auch hinderlich, dass es in Deutschland so ein Schubladendenken gibt. Ich habe selber hier im Studio oft Leute erlebt, die mit einer Vorstellung von sich gekommen sind und bei denen ich gesagt habe: Ja, wenn ich das so höre, kann das schon sein. Und dann habe ich trotzdem festgestellt: Im Laufe der zwei Jahre verändert sich das. Und am Ende steht eine ganz andere Stimmfarbe oder eine ganz andere Flexibilität.“ In Köln gibt es das Spezifikum, dass das Opernstudio für die Kinderoper zuständig ist. Natürlich übernehmen die derzeit sieben Mitglieder auch Partien im großen Haus, doch einen Namen gemacht hat man sich vor allem mit großer Oper für kleine Leute, etwa Richard Wagners „Ring“ in einer Version für Kinder oder Carl Orffs durchaus anspruchsvollem Werk „Die Kluge“. Das läuft in Köln so gut, dass das Ensemble der Kinderoper sogar mit zwei Mitgliedern aus dem großen Ensemble verstärkt wurde.

Nicht für alle Sänger*innen ist ein Opernstudio jedoch der Weisheit letzter Schluss. „Manche verlieren auch Zeit im Opernstudio. Wir haben bei den letzten Vorsingen ungefähr zehn Personen aussortiert, bei denen wir gesagt haben: Die können direkt auf die Bühne, die brauchen uns nicht. So wie die sich präsentieren, sind sie reif für ein Ensemble“, sagt Claudia Plaßwich, szenische Leiterin des Opernstudios am Nationaltheater Mannheim. Wer aber in das Opernstudio kommt, ist spätestens dann dem Opernvirus verfallen: „Ich glaub, die sind alle angefixt. Wenn die mal auf der Bühne gestanden sind, dann gibt es da wenig Alternativen.“

Und die Chancen, dass es nach dem Opernstudio mit der Opernkarriere klappt, dürften deutlich besser sein. Rainer Mühlbach: „Das ist quasi eine Fortsetzung oder eine Zwischenstufe zwischen Studium, Ausbildung und dem späteren Bühnenleben. Es ist Ausbildungsstätte und Auffangbecken in kleinstem Rahmen. Der Markt ist ja total eng, und der wird nicht besser.“ Ob es daran liegt, dass die Zahl der Opernstudios in Deutschland ständig wächst? Corona hat natürlich ein Übriges dazu getan, die Berufsaussichten für professionelle Sängerinnen und Sänger nicht unbedingt rosig erscheinen zu lassen. Die Opernstudios haben darauf reagiert, etwa indem manche Verträge über die übliche Dauer von zwei Jahren hinaus verlängert wurden.

Doch wie sieht es mit den Opernstudios eigentlich aus der Perspektive der Teilnehmenden aus? Beantworten kann diese Frage Marcel Brunner, einst Mitglied des Opernstudios am Nationaltheater Mannheim, heute ebendort im Ensemble. Er hat sich verschiedene Einrichtungen angeschaut und verglichen: „Während der Corona-Zeit hat man mich als ehemaliges Opernstudiomitglied gebeten, über meine Zeit im Opernstudio zu sprechen. Und dann habe ich gedacht, ich erweitere das Ganze und habe mich deutschlandweit mit der Opernstudiolandschaft beschäftigt.“ Sein Fazit: Alle über einen Kamm scheren kann man nicht, man sollte sich aber ganz genau anschauen, wie die Arbeitsbedingungen und Anstellungsverhältnisse an jedem Studio sind. „Es gibt Opernstudios, die wirklich was bringen. Es gibt Opernstudios, die sind zwar nett für den Lebenslauf, wo man auch Glück haben und entdeckt werden kann. Aber es kann auch sein, dass man zwei Jahre lang nur mal einen Satz auf der großen Bühne singt. Und dann gibt es natürlich auch noch den unschönen Fall, dass man einfach eine billige Arbeitskraft ist.“ Das aber dürfte glücklicherweise die Ausnahme darstellen, denn auch bei den Opernhäusern ist die Einsicht gewachsen, dass der Nachwuchs von irgendetwas leben muss.

Guido Krawinkel

 

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