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Regie-Farce um groteske Oper

Ligetis „Le Grand Macabre“ in Bremen · Von Christian Tepe

Eines muss man Hans-Joachim Frey, dem zum Teil umstrittenen neuen Bremer Generalintendanten, lassen: mit der Ansetzung von György Ligetis „Le Grand Macabre“ als Eröffnungspremiere ist ihm ein strategischer Coup gelungen. Vorderhand lautet die Botschaft: Das in „Theater Bremen“ umfrisierte Bremer Theater soll ein Ort künstlerischer Zeitdiagnose bleiben. Aktualität soll sich auch künftig nicht allein darin ausdrücken, dass mit Sprechblasen wie „Fundraising und Events“, „Development“ oder gar „Education“ hantiert wird, wenn es um die Bezeichnung der neu zugeschnittenen Leitungsfunktionen geht.

 
Matthias Koch (Go-Go), Sara Hershkowitz (Venus). Foto: Jörg Landsberg
 

Matthias Koch (Go-Go), Sara Hershkowitz (Venus). Foto: Jörg Landsberg

 

Andererseits ist Freys Team daran interessiert, rasch aus dem langen Schatten von Klaus Pierwoß und seiner Mannschaft herauszutreten, deren Arbeit erst dieser Tage nebst der Komischen Oper Berlin mit dem Prädikat „Opernhaus des Jahres“ geadelt wurde. Die Messlatte liegt also enorm hoch. Im Bemühen um eine klare Zäsur setzt die Entscheidung für Ligeti ein deutliches Zeichen. Durch seine biographischen Erfahrungen als Flüchtling aus dem kommunistisch beherrschten Ungarn betrachtete Ligeti die Sympathie vieler westeuropäischer Intellektueller und Künstler für die politische Linke mit Skepsis: „Ich sah, wie diese vielen Leute dogmatisch fertige Meinungen übernommen haben, ohne selbst zu prüfen, was sie bedeuten.“ Als Ligeti später einmal in eine linksradikale Demonstration geriet, fiel ihm auf, wie stramm organisiert alles war: „Es gab einen Einpeitscher mit Trillerpfeife.“ Wer will, kann in der Figur des gro-ßen Makabren Nekrotzar, dem pathetischen Prediger des Untergangs einer dekadenten Gesellschaft, sogar etwas von dem großsprecherischen Sendungsbewusstsein mancher 68er-Protagonisten entdecken. Jedenfalls ist Ligetis Oper eine eindeutige Stellungnahme gegen ideologische Gehirnwäschen jeglicher Couleur und deren Technik, das Leben der Menschen hier und heute durch die Rabulistik düsterer Zukunftsprophezeiungen zu determinieren. Verstand sich das Theater von Klaus Pierwoß noch entschieden als ein von den großen gesellschaftlichen Fragen umgetriebenes, politisch eingreifendes Denken, so kündigt sich jetzt in Bremen eine Umorientierung zu einer Art Besinnung auf das „Carpe diem!“ an, für die Ligeti den Gewährsmann darstellen soll. So weit die Theorie.

Nun hat es bisweilen den trügerischen Anschein, als sei die Zeit der Schauspieler auf der großen Bühne des Welttheaters, wie sich Nekrotzar einmal selbst charakterisiert, ohnehin passé. Das glaubt auch Regisseurin Tatjana Gürbaca. Als Motto ihrer Inszenierung könnte ein Satz aus Becketts „Endspiel“ dienen: „Das Ende ist im Anfang, und doch macht man weiter.“ Der Weltuntergang, von dem im Stück ständig gefaselt wird, hat in ihrer Sichtweise schon stattgefunden, bevor es überhaupt losgeht. Die Sänger halten sich in einer Art Weltraumkapsel oder U-Boot-Blase auf; eine lediglich ironisch verwendete Bühnenbildmetapher, wie sich bald herausstellt, denn drinnen und draußen sind völlig austauschbar. Gezeigt wird die Öde des Lebens im postheroischen Zeitalter ohne Utopien oder Ideale, wo sich alle gegenseitig ohne Hoffnung auf ein Ende als Peiniger und Leidtragende ausgeliefert sind. Eine sinnfällige und zeitgemäße Auflösung für die zentrale Nekrotzar-Gestalt, die über die biedere Kreuzung aus einem Intellektuellen mit einem Entertainer hinausgeht, findet Tatjana Gürbaca in diesem Kontext nicht. Dabei hat doch das große, zynische Spiel mit der Todesangst der Menschen, wie es Nekrotzar betreibt, unentwegt Hochkonjunktur. Man denke nur an die so genannten radikalislamistischen Terrordrohungen und daran, wie sich die politischen Akteure andernorts diese wiederum für ihre eigenen Ziele nutzbar machen. Wie wohltuend hätte der distanzierende Humor György Ligetis an der Einschüchterung der Menschen durch die heute allgegenwärtige Terrorrhetorik seine korrodierende Wirkung entfalten können. Tatjana Gürbaca ist daran gescheitert, da sie aus „Le Grand Macabre“ eine Oper ohne politische Problemstellung gemacht hat.

Im Gegensatz zur Inszenierung nährt die Musik das Fantasiespiel fast von ganz allein, so atemberaubend bringen die Bremer Philharmoniker unter dem neuen ersten Kapellmeister Daniel Montané die ins Paroxystische ausgreifende Klangartistik mit ihren polymetrischen Bündelungen und crescendierenden Clustern zu Gehör. Mit feinnervigem Gespür für die jeweiligen parodistischen Verkleidungen des Vokalsatzes singt der Chor des Bremer Theaters um eine Spur intensiver, wacher und energetischer als gewohnt: ein gelungener Einstand für den von Heidelberg an die Weser gewechselten Chordirektor Tarmo Vaask. Exzeptionelle Leistungen der Gesangssolisten machen den musikalisch rundherum geglückten Premieren-abend perfekt.

Christian Tepe


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