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Kulturpolitik

Freax

Oder: Warum der Leopard sich nach dem Singen um seinen Schwanz kümmern muss · Von Nikolaus Kuhn

Sollte die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Idee verfallen, den Ex-Verteidigungsminister und heutigen SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck und den Ex-Finanzminister und heutigen Co-Vorsitzenden der Fraktion der Linken Oskar Lafontaine als Sondierungsbeauftragte der Bundesregierung gemeinsam zu den Taliban nach Afghanistan zu schicken, und endete dieser Auftrag im Vorhof einer Schnellküche in einem Basar in Kabul nach kurzer Prügelei der beiden Herren mit Rückgabe des Sondierungsmandats, so wären sich die Kommentatoren der Presse rasch und weitgehend einig: Das musste ja schiefgehen.

 
Nicht konzertant, sondern halb-szenisch. Kein „experimentelles Musiktheater, sondern Schwarze Spieloper oder Musical“. Die Aufführung von „Freax“ in Bonn. Foto: Thilo Beu
 

Nicht konzertant, sondern halb-szenisch. Kein „experimentelles Musiktheater, sondern Schwarze Spieloper oder Musical“. Die Aufführung von „Freax“ in Bonn. Foto: Thilo Beu

 

Der eine will die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigen, der andere hält Deutschlands Beteiligung an der Terroristenbekämpfung in Afghanistan für eine völkerrechtswidrige kriegerische Handlung – wie konnte die Kanzlerin auf diese, Politkonsens zum Wahnwitz treibende Idee verfallen? Und weshalb haben die beiden Herren sich darauf eingelassen?

Die gleichen Fragen müssen, die Absurdität des erfundenen Vergleichs aus der Politik ins Konkrete des bundesstädtischen Bonner Opernlebens wandelnd, den folgenden Personen gestellt werden. Dem Intendanten des Theaters Klaus Weise, der gerade seinen um 2,4 Millionen Euro gekürzten Etat durch Personalabbau auszugleichen versucht, und der Bonner Beethovenfest-Chefin Ilona Schmiel sowie dem Direktor des NRW-Kultursekretariats Christian Esch, der die Uraufführung einer von Weise und Schmiel in Auftrag gegebenen Oper aus Mitteln des Landes Nord-rhein-Westfalen und des „Fonds Neues Musiktheater“ finanziell kräftig förderte. So weit, so gut, so lobenswert.

Wagnis light

Auftragnehmer war der renommierte Komponist Moritz Eggert, der nun, weiß Gott, nicht als konventionenzerstörender Neutöner und Avantgardist verschrien, sondern als einer bekannt ist, der mit meisterlicher Beherrschung des kompositorischen Fundus’ seinem Publikum verständliche, sogar eingängige zeitgenössische Musik schreibt. Und das mit Erfolg.

Nach dem vermutlich von Tod Brownings Film „Freaks“ aus dem Jahr 1932 inspirierten Libretto von Hannah Dübgen komponierte er ein zweiaktiges Werk, in dem nicht – wie im Film – „echte“ Freaks (gemeint sind hier „Behinderte“, nicht „Besessene“) ihre moralische Überlegenheit gegenüber Normalgewachsenen ausspielen, sondern in dem ihre Behinderungen die Motivationen für übliches Operngeschehen und erprobte Operndramaturgie abgeben. In einer von einem geldgierigen Direktor geleiteten Bühnenshow liebt der Mann des Kleinwüchsigenpaares die große Chorsängerin, die wiederum dem Moderator der Show geil hinterherhechelt – die altbekannte Bühnenfiguren-Konstellation also all derer, die von Commedia dell’Arte bis Feydeau einander so lange nicht kriegen, bis ihre verschmähte Liebe in Hass umschlägt. „Freax“ nennt Eggert seine Oper und spätestens bei Lektüre von Libretto und Partitur hätte mindestens dem angeblich mit der Dramaturgie der Produktion betrauten Jens Neundorff von Enzberg auffallen müssen, dass es sich bei ihr nicht um „experimentelles Musiktheater“, nicht um ein „künstlerisch-ästhetisches Wagnis“ nach Düsseldorfer Förderungskriterien handelt, sondern um eine handfeste, Publikumsgunst erstrebende Mischung aus „schwarzer Spieloper“ und Musical.

Ob nun gezielt Christoph Schlingensief als Regisseur der Uraufführung engagiert wurde, um dem Abend wenigstens bei der szenischen Realisation den Schamlatz des „Wagnisses“ umzuhängen und die finanzielle Unterstützung durch den „Fonds Neues Musiktheater“ zu rechtfertigen, kann allenfalls vermutet werden. Doch da Schlingensief – anders als in Bayreuth – weder von einem alterfahrenen Wolfgang Wagner an die Hand genommen, erforderlichenfalls auch am Ohr gezogen wurde, gerierte er sich selbstgetreu als Schlingensief: Er meinte, die behinderten Freaks müssten – wie im Film – von tatsächlich Behinderten gespielt und gesungen werden, was nun wiederum dem Komponisten nicht gefiel, stellt doch seine Partitur sowohl bei den Gesangsnummern der Solisten als auch in den Chorpartien höchste Anforderungen.

Die Details der daraus resultierenden Auseinandersetzungen sind uninteressant. Die beiden Herren Eggert und Schlingensief trennten sich, es kam zu einer halbszenischen, fälschlich als „konzertant“ angekündigten Premiere, die vom Publikum bejubelt wurde, das sich wie Bolle auch über die zwangsläufigen Ungeschicklichkeiten einer semiszenischen Aufführung amüsierte. Der mit einem Schneeleopardenfell behängte Sänger des „Romeo“ musste jedesmal, wenn er sich auf den Stuhl hinter dem Notenpult zurückzog, sorgsam seinen Schwanz in Position bringen.

Schlingensiefs Motive, nicht halbwegs werkgerecht Regie zu führen, mögen verständlich sein: Er mag es für unvertretbar gehalten haben, theatralische Effekte komischer und tragischer Art aus dem Spiel körperlich Behinderter erzielen zu wollen. Dann erst recht bleibt die Frage: Warum hat er sich auf so etwas eingelassen, weshalb hat Eggert sich auf Schlingensief eingelassen?

Von Schlingensiefs Regie blieben Teile des Bühnenbilds und der Kostüme sowie ein in der Pause der Uraufführung gezeigter, „Fremdverstümmelung, 2007“ geheißener, kurzer Film, der zwischen Abendmahl und Kreuzigung viel Bedenkenswertes zitiert und vor allem einen Beweis dafür liefert, dass seine Freaks und Eggerts „Freax“ nichts gemein haben.

Unbehagen am Unbehagen

Hätte sich das öffentliche Echo darauf beschränkt, den Bonner Theaterstrategen ihren bundesweit betratschten Beinaheskandal zu gönnen und wäre es zu der Einsicht gelangt, dass das Unternehmen angesichts der Fehlentscheidungen und Fehlbesetzungen nur schiefgehen konnte, wäre nichts mehr hinzuzufügen. Doch leider – und das ist der eigentliche Skandal – nutzten die Neunmalklugen des musikalischen Wagnis- und Experimentiertheaters die Chance, nicht den persönlich Verantwortlichen, sondern dem deutschen Opernbetrieb, vornehmlich dem so genannten Stadttheaterbetrieb die Schuld an dem Debakel in die Schuhe zu schieben. Kein gemeinplätziges Vorurteil wurde ausgelassen: Die „Gattung Oper“ sei mit diesem Risiko „zur Diskussion“ gestellt worden, orakelte Ilona Schmiel vom Beethovenfest vorbeugend in einer Art Pressekonferenz. Alles, was radikal und grundsätzlich neue Wege gehe, mache dem Opernbetrieb Schwierigkeiten, stellte die „Süddeutsche Zeitung“ fest, offenlassend, wo sie die „neuen Wege“ in diesem Fall ausgemacht hat. Abgesehen vom „Nummern-Singen“ beschränke sich alles andere „auf die sattsam bekannte Deklamation unmusikalisch konzipierter Stadttheaterdialoge“, kritisierte die „Frankfurter Allgemeine“. Und der Kritiker (ausgerechnet) der „neuen musikzeitung“, der seufzend vom allgemeinen „Unbehagen an der Oper und ihrer Kultur“ schrieb, das die Bonner szenische „Mogelpackung“ bei ihm ausgelöst habe, verriet seine profunden Kenntnisse musikalischer Theaterarbeit, indem er die bei Choreinsätzen – wie üblich – den Dirigenten unterstützende Chorleiterin des „peinlichen Mitdirigierens“ „über den Kopf des im Orchestergraben agierenden“ musikalischen Leiters hinweg bezichtigte.


Dass er dabei Bonns Opernchordirektorin Sibylle Wagner zur „Chorinspizientin“ degradierte, mag ja noch hingehen, dass ihm aber die Unerlässlichkeit „peinlichen Mitdirigierens“ bei sichtbehindernder Positionierung von Dirigent und Ensemble nicht einleuchten wollte, lag vermutlich daran, dass er diese Praxis erstmals bemerkte. Denn normalerweise dirigieren Chordirektoren hinter der Bühne. Bonns Chordirektorin aber musste, um Sichtkontakt zum weit hinten, in erhöhter Position befindlichen Chor zu haben, vor der Bühne die Einsätze geben. Ob dieser Anblick es war, der dem nmz-Kritiker das „Gefühl“ vermittelt hat, das zeitgenössische Musiktheater sei im Umbruch begriffen? Wer weiß.

Nikolaus Kuhn

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