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Portrait

Theater in der Diaspora

Das Theater Nordhausen · Von Christian Tepe

Wer an einem Sonntagnachmittag im menschenleeren Regionalzug in die thüringische Kreisstadt Nordhausen reist, bekommt bereits unterwegs eine Ahnung von den eminenten Schwierigkeiten, mit denen das Theater in dem noch 43.000 Einwohner zählenden Gemeinwesen am Harzrand zu kämpfen hat. Dabei entspricht das Stadtbild mit seiner sensibel restaurierten historischen Bausubstanz und den einladenden Landschaftsparks durchaus nicht dem ebenso dummen wie hartnäckigen Klischee vom grau verhangenen Charme mitteldeutscher Provinzstädte. Was aber jedem Fremden sofort auffällt, ist die Abwesenheit der Menschen. Außerhalb der Hauptgeschäftszeiten wirkt die Stadt, als sei sie urplötzlich von ihren Bewohnern aufgegeben worden. Allenthalben verspürt man eine Art Emigration der Seelen in ihr decouragiertes Inneres. Im weitläufigen Hotel bleibt der Besucher der einzige Gast. Unter solchen soziokulturellen Voraussetzungen kann sich das Theater weder als Sammelstätte kunstsinniger Bürger noch als kritische Gegenöffentlichkeit exponieren, vielmehr fällt ihm die ungleich mühevollere Aufgabe zu, so etwas wie Öffentlichkeit überhaupt erst herzustellen.

Rettung durch die Kommune

 
Das Theater Nordhausen. Foto: Theater
 

Das Theater Nordhausen. Foto: Theater

 

Mithin „wäre es eine Katastrophe für die Stadt, wenn das Theater geschlossen würde“, bringt es Chorvorstand und VdO-Ortsdelegierter Dimitar Radev auf den Punkt. Und doch wäre das Unvorstellbare beinahe geschehen! Als Kultusminister Jens Goebel unlängst seine Abrissbirne auf die Thüringer Theaterarchitektur zurasen ließ, zeichnete sich auch für Nordhausen eine Trümmerlandschaft ab – zumal das im Jahr 1917 eröffnete traditionsreiche Haus vor drei Jahren schon die eigenständige Schauspielsparte demontieren musste. Wenn inzwischen Ballett und Musiktheater doch noch gerettet werden konnten, so ist das namentlich dem entschlossenen Eingreifen von Oberbürgermeisterin Barbara Rinke zu verdanken. Zwar ist der Freistaat Thüringen unter dem massiven Druck aus Bevölkerung und Medien (s. auch „Oper&Tanz“ 5/2006) von seinem ursprünglichen Vorhaben abgerückt, die jährlichen Zuschüsse für das Theater von 4,9 auf 1,5 Millionen Euro einzuschmelzen. Aber bei einem Jahresetat von 10 Millionen Euro drohte die ab 2009 endgültig zur Exekution anstehende Zuschusskürzung durch das Land in Höhe von nunmehr 700.000 Euro die Nordhäuser Bühne immer noch finanziell auszuzehren. In dieser Konstellation bestätigte sich erneut, wie sehr die Existenz eines Stadttheaters von dem Bewusstsein der verantwortlichen Kommunalpolitiker für seinen einzigartigen Wert nicht als Standortfaktor oder touristisches Aushängeschild, sondern als Fokus der Zivilgesellschaft abhängt. Um den Fortbestand des Balletts zu sichern, springt die Stadt Nordhausen als Hauptgesellschafterin ab 2009 mit einem zusätzlichen Festbetrag von jährlich 300.000 Euro ein. Das ist eine beachtliche Summe für eine von hoher Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsschwund und wirtschaftlichen Strukturproblemen gebeutelte Kommune. Oberbürgermeisterin Rinke: „Die Stadt braucht einen Fixpunkt der Identifikation, einen Ort, wo der Freigeist lebt, wo die Kultur ihr Zuhause hat, und – jawohl auch dies, und nicht zu unterschätzen: auch die Bildung. Und für Nordhausen war und ist dies vor allem unser Theater. Ohne Kultur ist kein Staat zu machen – und ohne Theater keine richtige Stadt.“ Den zahllosen zeitgeistigen Kunstignoranten aus Politik und Verwaltung sei es ins Stammbuch geschrieben.

Überregionales Renommee

 
Sidnei Brandão und Irene López Ros in Jutta Wörnes Ballett „RequieMozarTanz“. Foto: Theater Nordhausen
 

Sidnei Brandão und Irene López Ros in Jutta Wörnes Ballett „RequieMozarTanz“. Foto: Theater Nordhausen

 

Natürlich ist für die treue Unterstützung der Bühne durch die Theaterträger, zu denen außerdem zwei umliegende thüringische Landkreise und die benachbarte Stadt Sondershausen gehören, am Ende allein die beachtliche Qualität der einzelnen Produktionen ausschlaggebend. Große Meriten um den künstlerischen Ruf des Hauses hat sich in den letzten Jahren zum Beispiel Ballettdirektorin Jutta Wörne erworben. Für die zwölf Tänzer ihrer Compagnie – das sind immerhin zwei mehr als die fast zum Normalfall gewordene Dezimalschrumpfgröße deutscher Tanztheatertruppen – hat die junge Choreografin einen aus der klassischen Balletttechnik entwickelten Personalstil kreiert. Gastspieleinladungen wie zum Budapester Frühlingsfestival 2007 verdeutlichen die Reputation und Beliebtheit der Compagnie ebenso wie der im September erstmals verliehene und sogleich Jutta Wörne zugeeignete Nordhäuser Theaterpreis. Nicht nur in Nordhausen fiebert man der im Herbst erfolgenden Doppeluraufführung des Balletts „Die Heilige“ entgegen, für das der Komponist Caspar René Hirschfeld die Musik geschrieben hat. Ihre neue Choreografie widmet Jutta Wörne dem Leben der Elisabeth von Thüringen, deren 800. Geburtstag man heuer in der Region und in ganz Deutschland begeht.

Breites Repertoire

 
„Wie peinlich“: Die legendäre Badewannenszene aus Paul Hindemiths Revue-Oper „Neues vom Tage“ in der aktuellen Nordhäuser Inszenierung von Kerstin Weiß mit Sabine Blanchard (Laura), Anja Daniela Wagner (Frau M.) und dem Opernchor. Foto: Roland Obst
 

„Wie peinlich“: Die legendäre Badewannenszene aus Paul Hindemiths Revue-Oper „Neues vom Tage“ in der aktuellen Nordhäuser Inszenierung von Kerstin Weiß mit Sabine Blanchard (Laura), Anja Daniela Wagner (Frau M.) und dem Opernchor. Foto: Roland Obst

 

Im Musiktheater kann das Publikum trotz der quantitativen Beschränkung des Chores auf 18 Profisänger die ganze Bandbreite des Repertoires von „Fidelio“ über die große italienische Choroper bis hin zur Moderne genießen, Musical und Operette nicht zu vergessen. Ermöglicht wird diese Vielfalt auch durch den musikalisch versierten, bühnenerfahrenen Extrachor mit seinen bis zu 25 Stimmen. Es ist keine Schönfärberei des Theateralltags, wenn Dimitar Radev unisono mit allen andern Mitwirkenden, die man befragt, die konstruktive Arbeitsatmosphäre im Haus herausstellt. Anders lässt sich der enorme Produktionsdruck bei extrem knappen Ressourcen kaum bewältigen. Querelen mit Regisseuren, die unzureichend mit den physischen und technischen Voraussetzungen des Singens vertraut oder für den klanglichen Rat der Chordirektion taub sind, kann sich das Haus keinesfalls leisten. Um der Gefahr eines routinierten Automatismus vorzubeugen, wie er sich bei der permanenten Ausschöpfung des Leistungsvolumens der Sänger leicht einschleichen könnte, bringt Chordirektor Friedemann Schulz schon im Chorsaal den geschichtlichen, philosophischen und literarischen Gehalt der Stücke zur Sprache. Neben der genauen Beobachtung der musikalischen Verlaufsformen werden die Sänger mit der Einzigartigkeit des jeweiligen Kunstwerks als komplexem Ausdruck der Gedanken und Gefühle einer bestimmten historischen Situation vertraut gemacht. Entsprechend glänzen die Choristen in Kerstin Weiß‘ humoriger Inszenierung von Paul Hindemiths Revue-Oper „Neues vom Tage“ mit sprühendem darstellerischen Esprit, während sie vokal Hindemiths Stilkopien mit einem hohen Maß an Präzision und Flexibilität interpretieren. Ein Bespiel dafür ist der wundervoll getroffene schwebende Ton im schmalzigen Sang der Tippfräulein. Auch das Loh-Orchester Sondershausen lässt unter der engagierten Leitung von GMD Hiroaki Masuda die raffinierte Komik der farbenreichen Partitur funkeln.

Stadt-Kultur

Mit der Probenarbeit und den Vorstellungen ist für das Nordhäuser Ensemble das Pensum oft noch nicht erfüllt. Intendant Lars Tietje betont im Gespräch die lebenswichtige Präsenz der Künstler in der Region, zum Beispiel durch die aktive Mitgestaltung von Stadtfesten. So präsentiert der Chor im Anschluss an die Hindemith-Aufführung noch ein Liederprogramm unter freiem Himmel, während der Intendant solistische Gesangseinlagen vom Klavier aus begleitet. Inzwischen haben es sich die Bewohner des dem Theaterplatz gegenüberliegenden imposanten Plattenbaus in den Fensternischen bequem gemacht. Von ihren „Logenplätzen“ aus verfolgen sie stoisch das Kommen und Gehen der Opernbesucher. Was sie wohl über ihr Theater mit seinem freundlich zu ihnen herübergrüßenden Intendanten denken mögen? Für den fremden Gast jedenfalls hat die Stadt an diesem Ort und an diesem Abend eine Seele bekommen, vergessen ist der erste Eindruck einer menschenverlassenen Gegend.

Christian Tepe

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