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Als der finanzielle Druck auf die Theater und Orchester immer
stärker, die Forderungen nach Abschluss von personalkostensenkenden
Haustarifverträgen immer lauter wurden, gaben die in den Theatern
und Orchestern vertretenen Gewerkschaften im November 1999 eine „Gemeinsame
Erklärung“ ab, deren wichtigster Punkt war, dass Haustarifverträge
nur abgeschlossen werden dürften, um einen vorübergehenden,
zeitlich abgrenzbaren wirtschaftlichen Engpass zu überbrücken.
Die Laufzeit eines Haustarifvertrages sollte in jedem Fall mit
der Rückkehr in den Flächentarifvertrag enden.
Doch diese Vorstellung entpuppte sich bald als Traumtänzerei.
24 Haustarifverträge im Osten der Republik, 6 im Westen hat
allein die VdO im Bereich des Musiktheaters abgeschlossen. Keiner
von ihnen endete bisher mit der Rückkehr in den Normalzustand.
Wenn sein Ende nahte, flatterten die Nötigungen der Rechtsträger
des Inhalts ins Haus, es sei erheblicher Personal-, gar Spartenabbau
erforderlich, sollte ein Anschlussvertrag nicht zustande kommen,
oder die Drohungen der Gesellschafter der in eine GmbH umgewandelten
Theater, der Gang zum Insolvenzrichter stehe bevor. Die Beschäftigten,
deren Votum letztlich für die Entscheidungen der Gewerkschaft
ausschlaggebend ist, sahen sich jedes Mal, um ihre Arbeit bangend,
so in die Enge getrieben, dass sie zähneknirschend ihre Einwilligung
zu weiterem Gehaltsverzicht gaben. Weiterer Verzicht ist im doppelten
Sinn zu verstehen: Bei jedem Anschluss-Haustarifvertrag versuchten
die Arbeitgeber, die bereits abgesenkten Vergütungen als die
realen anzusehen, auf deren Grundlage zusätzliche Verzichtsforderungen
erhebbar seien. Nur allzu gern erlagen die Rechtsträger dem
Eindruck, das aus Not sich billig machende Theater oder Orchester
sei vielleicht noch billiger zu haben, was zugleich die Rückkehr
zum Flächentarifvertrag immer schwieriger, weil kaum noch
finanzierbar machen würde. Zu dieser nahe liegenden Erkenntnis kommt auch ein – in der
nächsten Ausgabe unserer Zeitschrift näher zu hinterfragendes – Gutachten,
das die Kulturstiftung des Freistaats Sachsen zu Zustandsbeschreibung
und Weiterentwicklung der Theater und Orchester im Lande in Auftrag
gegeben hatte. Wo die Tarifpartner sich im Rachen des theaterfressenden
Haustarifvertrags-Krokodils wähnen, diagnostiziert das Gutachten
die Haustarifverträge als „Falle“, die durchaus
zutreffend samt ihrer Ausweglosigkeit beschrieben wird: Einschränkung
der Proben- und Spielfähigkeit durch die als Kompensation
für Entgeltverzicht vereinbarte zusätzliche Freizeit,
strukturelle Unbeweglichkeit aufgrund der Personalstandssicherung,
Abwanderung qualifizierter Mitarbeiter, Gefahr des allmählichen
Niveauabfalls. Ob nun Krokodilsrachen
oder Falle – niemanden sollte es erstaunen,
wenn die Gewerkschaften überlegen, wie man solch gefährliche
Aufenthaltsorte wieder verlassen kann. Weiter in sie hinein werden
sie sich gewiss nicht begeben: Höherer Selbstverzicht ist
bei den herausgehobenen Theatern ausgeschlossen.
Kann die Stadt Chemnitz es sich leisten, ihre Theater zur Bedeutungslosigkeit
schrumpfen zu lassen, wenn die Gewerkschaften ihren neuen, den
noch laufenden Haustarifvertrag sogar brechenden Forderungen nicht
nachkommen? Was fällt der Stadt Zwickau ein, ihr Gewandhaus
mit dem Gagenverzicht der Theaterbeschäftigten sanieren zu
wollen? Und wird der Bund tatsächlich die Insolvenz des einzigen
in Deutschland für eine ethnische Minderheit spielenden Theaters
riskieren, indem er die Betriebszuschüsse für das Sorbische
National-Ensemble teils sperren, teils mindern zu können glaubt,
weil er den Ausgleich durch Entgeltverzicht der Arbeitnehmer erwartet?
Kann auch von einer Sanierung der meisten Länder- und Kommunalhaushalte
noch lange nicht die Rede sein, so sollte doch die einsetzende
wirtschaftliche Entspannung dazu ermutigen, den Fallenstellern
und Krokodilen das Handwerk zu legen. Ihr Stefan Meuschel
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