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Bunte Bilder, gruselige Geschichten

Durchwachsene Halbzeitbilanz beim Münchner „Ring“ · Von Christian Kröber

Dass sich München seit langer Zeit als musikalisches Gegengewicht zu Bayreuth sieht, davon zeugt nicht nur das 1901 mit Wagners „Meistersingern“ eröffnete und architektonisch dem Grünen Hügel nachempfundene Prinzregententheater. Vielmehr liefert man sich seit Jahrzehnten einen künstlerischen Wettbewerb bei der Pflege des Wagnerschen Erbes. Im Jahrestakt stemmen beide Häuser den kompletten „Ring“, und mit der Inszenierung von „Rheingold“ und „Walküre“ haben Andreas Kriegenburg (Regie) und Kent Nagano am Pult den Versuch eines künstlerischen Neustarts gewagt.

Die Realisierung der Tetralogie in einer Spielzeit ist wohl die größte Herausforderung, der sich ein Opernhaus stellen kann. Die Namenspaare Rennert/Sawallisch, Lehnhoff/Sawallisch, Wernicke/Alden/Mehta und Kriegenburg/Nagano dokumentieren, dass sich die musikalischen Chefs der Bayerischen Staatsoper in zehn- bis fünfzehnjährigen Perioden jeweils persönlich mit diesem großen Stück Musikgeschichte auseinandergesetzt haben. Es wird vielerorts diskutiert, ob die im „Ring des Nibelungen“, in seinem Vorabend und den drei folgenden Tagen, zum Ausdruck kommende Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts Relevanz für uns Heutige besitzt; ob Wagners Endzeitordnung mit Riesen und Göttern, Zwergen und Helden, mit unserem scheinbar entmythologisierten 21. Jahrhundert Beziehungen aufweisen kann. Unbestritten ist jedenfalls die musikalische Potenz und Zeitlosigkeit der Musikdramen, und diese rechtfertigen und verlangen eine aktuelle Auseinandersetzung.

Thorsten Grümbel (Fasolt), Johan Reuter (Wotan), Aga Mikolaj (Freia), Sophie Koch (Fricka) und Phillip Ens (Fafner) in „Das Rheingold“. Foto: Wilfried Hösl

Thorsten Grümbel (Fasolt), Johan Reuter (Wotan), Aga Mikolaj (Freia), Sophie Koch (Fricka) und Phillip Ens (Fafner) in „Das Rheingold“. Foto: Wilfried Hösl

Wenn man die letzten Inszenierungsreihen und die jetzt neu begonnene miteinander vergleicht und die dahintersteckenden Regieansätze in Beziehung bringt, ist festzustellen, dass alle „Ring“-Inszenierungen, die von 1975 genauso wie die von 1987 und 2001, trotz unterschiedlicher Persönlichkeiten ihrer Regisseure eine Gemeinsamkeit aufweisen: Sie sind jeweils Kinder ihrer Zeit. In den 1970er-Jahren, der Nach-Wieland-Wagner-Zeit, steht das Licht als gestalterisches Element der Bühnendramaturgie im Vordergrund. Kostüme und Requisiten befinden sich in einem Zwischenreich von Abstraktion und Verfremdung. Neu-Bayreuth hat die Konkretheit des Bühnenbilds verbannt, und dies war Vorgabe auch für München.

Die 1980er-Jahre mit ihrem Turbokapitalismus und protzigen Aufsteigertum brachten München die Opulenz der Bühnengestaltung wieder, freilich gleichzeitig verfremdet als Cyberspace-Landschaft. Nach Chéreau war der gesellschaftlich-sozialkritische Ansatz gefragt, und so spiegelte sich in Lehnhoffs Visionen das Ende der bürgerlichen und postbürgerlichen Gesellschaft wider. Der von David Alden komplettierte „Ring“ sollte einen sozialkritischen und mythologischen, aber auch gesellschaftskritischen Ansatz verfolgen.

Und nun also Andreas Kriegenburg. Versprochen war ein neues Erzählen, die Verortung des Wagnerschen Mythos in Zeit, Raum und Gesellschaft. Schon im „Rheingold“ wurden daher Schauspielgruppen als auflockerndes Element der Ringerzählung eingeführt. Wie alles anfängt und wieder endet, davon handelt das „Rheingold“ mit seinem berühmten Es-Dur-Auftakt. Den Mythos zu erzählen ist das explizite Anliegen in München: aus der Distanz des Gewesenen – dem Untergang in der „Götterdämmerung“ – sich noch einmal zu vergegenwärtigen, wie alles begann. Und so spielen die Menschen, konkret die fabelhaft agierende Statisterie der Bayerischen Staatsoper (Choreografie: Zenta Haerter), eine wesentliche Rolle bei der Ring-erzählung.

Nagano und Kriegenburg wählen einen kammermusikalischen Ansatz. Die zum Vorspiel offene Bühne ist mit einer Gruppe Ausflügler bevölkert, die mit dem Einsetzen der Musik die rhythmischen Bewegungen des Rheinflusses verkörpern, in dem sich die Rheintöchter (Eri Nakamura, Angela Brower und Okka von der Damerau) tummeln. Die Bühne (Harald B. Thor) ist mit wenigen, aber aussagekräftigen Objekten gebaut.

Wenn Alberich – in dämonischem Schwarz: Johannes Martin Kränzle – dem Rhein das Gold entrissen hat, zeigt sich Walhall als Finanzhypothek des Götter-
ensembles. Es ist bereits alles verkorkst, bevor Wotan (mit hell und leicht klingendem Bass: Johan Reuter) erwacht. Es gibt kein Rezept, um aus der Krise zu kommen, nur Löcher kann man stopfen. Und so liegt es an Loge, dem logos, die Rezepte auszubreiten.

Andreas Kriegenburg bringt ihn uns als alternden Dandy, der mit Stöckchen in der Hand mal auf dieses, mal auf jenes Problem aufmerksam macht. Der präzise artikulierende Tenor von Stefan Margita macht jedes gesungene Wort verständlich. Dies liegt aber auch an den musikalischen Vorstellungen Kent Naganos. Die Musik kommt filigran und niemals dick aufgetragen aus dem Orchestergraben. Die Sänger werden begleitet und nicht zugedeckt. Große Momente gelingen dem Bayerischen Staatsorchester und seinem Chef in den großen musikalischen Bögen der Oper, etwa bei Alberichs Fluch, der sich zu dämonischer Größe steigert.

Das führt im „Rheingold“ und der „Walküre“ in manchen Momenten durchaus zu schönen und plausiblen Stellen, verkleinert Wagners Weltenmythos jedoch auf das Niveau einer Grimmschen Märchenerzählung. In der „Walküre“, in Wagners Bezeichnung der „Erste Tag“ des Bühnenfestspiels, zeichnen sich bereits alle Konflikte ab, die dann in der Apokalypse der „Götterdämmerung“ kulminieren. Doch auf der Bühne ist davon wenig zu finden.

Wo bleibt die Rollen- und Personenentwicklung? Gerade bei Wotans Abschied machen sich die Regiedefizite besonders bemerkbar. Hier muss doch gezeigt werden, wie aus dem rächenden, strafenden Gott und Vater durch Brünnhildes Gesprächskünste der Komplize der Walküre wird, der dafür sorgt, dass nur der furchtlose Held das Feuer zum Felsen durchschreitet. Bei Kriegenburg hierzu Fehlanzeige.

Im Orchestergraben zeigt Kent Nagano einmal mehr, dass er der emotionalen Wucht der Wagnerschen Klangmassen misstraut. Was beim Kammerspiel des „Rheingolds“ durchaus zu überzeugen vermag, zerstört das Innerste der „Walküre“: zurückgenommen die Winterstürme, gebremst die Todesverkündigung, in seine Einzelteile zerlegt der Feuerzauber.

Dem mussten sich die Sänger stellen, und sie gaben ihr Bestes, allen voran Sophie Koch in der Rolle der Fricka. Sie konnte sich im Vergleich zum „Rheingold“ enorm steigern. Untadelig engelsgleich wirkte der Siegmund von Klaus Florian Vogt. Der kurzfristig eingesprungene Thomas J. Mayer gab einen überzeugenden Wotan und Anja Kampe stellte sich tapfer den Herausforderungen ihrer Sieglindenpartie.

Es bleibt zu hoffen, dass sich mit „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ doch noch Spannung und Hörerglück einstellen.

Fortsetzung der Berichterstattung nach Abschluss der Tetralogie.

Christian Kröber

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