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Junges Musiktheater heute

Eine Bestandsaufnahme

Der Bereich „Junge Oper“ hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung erfahren und steht nun vor neuen Herausforderungen.

Früher bestand das einzige Angebot der Theater und Opernhäuser für junges Publikum oftmals darin, große Opernwerke als „Papageno spielt auf der Zauberflöte“ oder „Hänsel und Gretel“ für die Kleinen in vermeintlich kindgerechten Häppchen darzubieten. Kindern und Jugendlichen, die Einblicke hinter die Kulissen gewinnen wollten, blieben neben Führungen und Probenbesuchen nicht viele weitere Möglichkeiten. Das Kind nahm damit die Rolle eines kleinen, defizitären „Zuschauers von morgen“ ein, der an das große Opernrepertoire herangeführt wird und sich so hoffentlich zu einem treuen und zahlungsfreudigen Opernfreund entwickelt. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem jungen Zuschauer, seiner Lebenswelt, seinen Erwartungen und Ideen wurde dabei weitestgehend vernachlässigt.

„Gold“ an der Staatsoper Hannover mit Hanna Larissa Naujoks als Jacob und Philipp Kohnke am Schlagzeug. Foto: Jörg Landsberg

„Gold“ an der Staatsoper Hannover mit Hanna Larissa Naujoks als Jacob und Philipp Kohnke am Schlagzeug. Foto: Jörg Landsberg

Im Laufe der letzten zehn Jahre hat das Junge Musiktheater jedoch eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen: An Opernhäusern und Stadttheatern sind in den letzten Jahren eigene Bereiche oder Abteilungen „Junge Oper“ entstanden, die sich an ein junges „Publikum von heute“ richten – getreu der Auffassung, dass das Theater als Ort der Begegnung und Teilhabe jedem Mitglied der Gesellschaft, also auch den Jüngsten, eine künstlerische Auseinandersetzung bieten sollte.

Nach dem Vorbild des Kinder- und Jugendtheaters wird nun auch im Musiktheater nach Wegen gesucht, Kinder und Jugendliche nicht länger als zu Belehrende sondern als kompetente Kommunikationspartner zu betrachten, die mit eigenen Vorstellungen und Fragen in die Welt treten. Ein Programm für Kinder und Jugendliche kann nur dann gut sein, wenn es diese eigenen Vorstellungen ernst nimmt und Angebote bietet, die auf die besondere Sensibilität und Lebendigkeit der jeweiligen Altersgruppe eingeht – und sie einlädt, sich einzubringen. Das bezieht sich auf die Auswahl und Inszenierung der Bühnenwerke, vor allem aber auch auf eine Erweiterung des Verständnisses von Musiktheater im Allgemeinen, auf eine Öffnung für partizipative Formate, die weniger das abgeschlossene Werk als den künstlerischen Prozess im Sinne eines Austausches in den Mittelpunkt des Geschehens rücken.

„Flowers of Carnage“ in Mannheim. Foto: Christian Kleiner

„Flowers of Carnage“ in Mannheim. Foto: Christian Kleiner

An vielen Opernhäusern gibt es neben Kinderchor und Kinderstatisterie vielfältige Angebote, in denen junge Menschen vor oder hinter den Kulissen mitmischen und so aktiv an künstlerischen Prozessen teilhaben können: Jugendclubs, die an zahlreichen Häusern als aktive Spielclubs unter Leitung eines Musiktheaterpädagogen oder Regieassistenten eigene Stücke entwickeln; Backstage-Angebote wie die Opernmäuse (Deutsche Oper Berlin) oder die Opernguides (Staatsoper Hannover), in denen junge Menschen die Arbeit hinter den Kulissen entdecken und gleichzeitig dem Opernhaus als wichtige Ansprechpartner und Experten dienen; Musikgruppen wie das Mannheimer Geräuschorchester und das Mainzer Geräuschensemble oder das Freiburger Heim und Flucht Orchester, bei denen technisches Können und Virtuosität zugunsten einer kreativ-spielerischen Auseinandersetzung mit Klang und Raum in den Hintergrund treten; Recherche-Projekte wie das Winterferien-Musiklabor der Deutschen Oper Berlin, das Kindermusikfestival klong (Freiburg) oder die Projekte von MEHR MUSIK! (Augsburg), bei denen Schüler gemeinsam mit Künstlern zu unterschiedlichen Themen auf Klangentdeckungsreise gehen. Daneben bietet beinahe jedes Theater nach wie vor ein breites musiktheaterpädagogisches Angebot für Schulklassen – angefangen von der Führung hinter den Kulissen und dem einführenden spielpraktischen Workshop zum Vorstellungsbesuch über mehrwöchige spielplanbegleitende Projekte bis hin zu jahrelangen partnerschaftlichen Kooperationen.

Auch an den Werken für Kinder und Jugendliche, die in den letzten Jahren an deutschsprachigen Bühnen zur Uraufführung gelangten und langsam zum Aufbau eines kleinen Repertoires beitragen, lässt sich beobachten, dass dem jungen Publikum inhaltlich einiges mehr zugetraut wird als die Heile-Welt-Szenarien aus den Oper-Light-Versionen der Vorgeneration: „Ente, Tod und Tulpe“ von Leo Dick und Gordon Kampes „Kannst du pfeifen, Johanna?“ thematisieren den Tod als integralen Bestandteil des Lebens. Das in zahlreichen Spielplänen zu findende „Gold“ des jungen niederländischen Komponisten Leonard Evers nach dem Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ setzt sich mit der menschlichen Gier und der Frage auseinander, wieviel Besitz wir brauchen, um glücklich zu sein. Juliane Kleins „Der unsichtbare Vater“ beschreibt die Probleme einer Patchwork-Familie aus der Sicht eines Jungen, der sich mit dem neuen Partner seiner Mutter arrangieren muss. Diese Stücke sind alle für kleinere Besetzungen geschrieben, sodass sie problemlos auf einer kleinen Bühne gezeigt werden können. Durch die räumliche Nähe zur Bühne können Kinder, Sänger und Musiker besser miteinander kommunizieren.

„Kannst du pfeifen, Johanna?“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Leo Seidel

„Kannst du pfeifen, Johanna?“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Leo Seidel

Das Beispiel „Der unsichtbare Vater“ zeigt auch, dass Bühnenwerke und Partizipation sich nicht gegenseitig ausschließen müssen: Im Stück nimmt das Publikum an festgelegten Stellen eine aktive Rolle ein und kann sich in einem unmittelbar vor dem Vorstellungsbesuch stattfindenden Workshop darauf einstimmen. Partizipation als Interaktion zwischen Bühne und Publikum wird auch in vielen sogenannten „mobilen“ Produktionen großgeschrieben, die immer häufiger für sehr junge Zuschauer mit minimaler Ausstattung und Besetzung vor Ort in der Kita gespielt werden (zum Beispiel in Hamburg, Mannheim, Berlin). In professionellen Bühnenproduktionen, in denen Jugendliche als Sänger, Tänzer oder Schauspieler gemeinsam mit Profikünstlern auf der Bühne stehen, ist hingegen eine spannende Vermischung zwischen Prozess und Produktion zu spüren. Eine ganz besondere Form der Verschmelzung entsteht, wenn der Aspekt der Partizipation sich nicht nur auf die Einstudierung, sondern auf die komplette Entstehung von Bühnenwerken bezieht, indem zum Beispiel Komponisten als „Artists in Residence“ gemeinsam mit Laiengruppen und professionellen Künstlern ein Stück entwickeln, wie in „Give-A-Way“ (Deutsche Oper Berlin 2015), bei der musiktheatralen Kung-Fu-Performance „Flowers of Carnage“ (Mannheim 2015) oder in den Bürgeropern „Gilgamesch“ (Wiesbaden 2011) und „Die gute Stadt“ (Freiburg 2015).

Musikalisch werden sowohl in den partizipativen Formaten als auch in den Bühnenwerken neue Akzente zugunsten einer zeitgenössischen, spielerischen Klangsprache gesetzt, die imstande ist, uns aufhorchen zu lassen und Verbindungen zu anderen theatralen Ebenen zu setzen, statt diese nur zu untermalen oder zu wiederholen. Denn anders als im Alltag nur zu berieseln, hat Musik im Musiktheater die Aufgabe und Chance, im Mittelpunkt zu stehen und junge Ohren für neue, fremde, einzigartige Klänge zu öffnen. Ob das mit seriellen, atonalen oder tonalen Anklängen, mit Elektronik oder mit Alltagsgegenständen funktioniert, ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass die Musik imstande ist, sich dem jungen Zuschauer sinnlich zu vermitteln.

Die Entwicklung der Jungen Oper stellt den Theaterbetrieb vor neue Herausforderungen. Es mangelt nicht an Motivation und Engagement, jedoch an finanziellen und personellen Ressourcen.

So positiv man diese dynamische Entwicklung der „Jungen Oper“ bewerten mag – sie stellt den Theaterbetrieb auch vor neue Herausforderungen, Probleme und Fragen: Es mangelt vielerorts nicht an Motivation und Engagement, jedoch an finanziellen und personellen Ressourcen. Die Verantwortlichen der „Jungen Oper“ sind nicht mehr „nur“ Übersetzer der großen Oper, sondern Kuratoren, Manager und pädagogische Experten eines eigenen Spielplans, arbeiten jedoch vielerorts unter den gleichen personellen Bedingungen wie einst. Darüber hinaus kosten Auftragskompositionen, Stückentwicklungen und partizipative Projekte Geld, das an vielen Häusern über Drittmittel erst eingeworben werden muss – und damit nicht nur zusätzlichen Aufwand bedeutet, sondern auch langfristige Planungen erschwert. Koproduktionen, wie sie seit 2013/2014 zwischen den Opernhäusern Düsseldorf/Duisburg, Dortmund und Bonn entstehen, könnten aber auch andern orts nicht nur fachliches Know-How, sondern ebenso Ausgaben bündeln. Kooperationen mit externen Institutionen wie Schulen oder Jugendeinrichtungen stellen Opernbetriebe nicht selten vor dispositionelle Probleme und Hürden in der Kommunikation, zumal die Berücksichtigung anderer Probenzeiten und allgemeiner Tarifvorgaben die Beteiligung von Sängern und Orchestermusikern des Hauses ohnehin erschwert. Und last, not least, mangelt es nach wie vor an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten: Komponisten, Regisseure, Sänger und Orchestermusiker sollten sich schon im Studium beziehungsweise auch außerhalb ihres Jobs grundlegend mit „Junger Oper“ auseinandersetzen und erste praktische Erfahrungen in Projekten sammeln können. Den ersten eingerichteten Weiterbildungsprogrammen „Musiktheatervermittlung“ (Mozarteum Salzburg) und „Kompositionspädagogik“ (HfM Saar und Jeunesses Musicales) werden hoffentlich weitere, auch grundständige Studienangebote folgen.

Es ist also höchste Zeit, dem Bereich „Junge Oper“ nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch die nötige personelle und finanzielle Ausstattung zukommen zu lassen – damit das ehrliche Interesse am „Zuschauer von heute“ kein Lippenbekenntnis bleibt.
Katharina Loock arbeitet als Musiktheaterpädagogin, Dramaturgin und (Co-)Regisseurin schwerpunktmäßig in Produktionen und Projekten für und mit Kindern und Jugendlichen und in Kooperationen mit Bildungsinstitutionen. Seit der Spielzeit 2012/13 ist sie an der Deutschen Oper Berlin als Künstlerische Leiterin Kinder & Jugend verantwortlich für die Projekte der Jungen Deutschen Oper. Von 2008 bis 2012 wirkte sie am Theater Freiburg und war dort Mitgründerin und Co-Leiterin der Sparte Junges Theater.

Katharina Loock

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